Die der heiligen Maria Magdalena geweihte Kapelle ist eine von vier
Kapellenbauten in der Gemeinde Rueun. 1983/84 erfolgte die Restaurierung der Kapelle
St. Franziskus, die an der Strasse nach Pigniu/Panix liegt. Die katholische Pfarrkirche
St. Andreas ist in den Jahren 1993 bis 1995 einer umfassenden Gesamtrestaurierung
unterzogen worden.
Zur Geschichte der Kapelle
Die Kapelle St. Maria Magdalena im ehemaligen Weiler Gula liegt auf der rechten
Seite des Tobels gegenüber von Schnaus. Erwin Poeschel der Kunstdenkmälerinventarisator vermutet eine flachgedeckte Vorgängerkapelle des 16. Jahrhunderts. Es
fällt auf, dass die neu gebaute Kirche der Nachbargemeinde Schnaus seit 1522 neben
St. Sebastian und St. Jörg an erster Stelle der heiligen Maria Magdalena geweiht war.
Bereits vier Jahre nach dem Neubau im Jahre 1526 trat Schnaus zur Reformation über.
Vielleicht ist damals durch die Nachbarn in Gula, jenseits des Val da Mulin, des
Mühlbachs, ein neues Gotteshaus und damit eine neue Heimat für die aus Schnaus
vertriebene heilige Maria Magdalena gebaut worden.
Der Stumpf eines ehemaligen Glockenjoches im Dachraum über dem Chorbogen in
der Kapelle deutet auf einen Umbau hin. Ebenso könnte der massive Schub des
Gewölbes auf einen nachträglichen Einbau hinweisen. Beide Glocken aus dem
(Neubau?)Jahr 1643 mit der Inschrift "SANCTA MARIA ET SS. FRANZISCE ET SANCTA
MA. MAG. (Maria Magdalena) ORATE PRO NOBIS A. DO. 1643" sind erhalten. Die
grössere im wohl damals neu gebauten Turm in Gula, die kleinere im Dachreiter der
Kapelle St. Antonius in Rueun.
Das Jahr 1643 als Datum eines Um- oder gar Neubaus der Kapelle wird bestätigt
durch die Gewölbemalerei, die zwar nicht signiert ist, die wir trotzdem aufgrund ihrer
formalen und stilistischen Eigenheiten Giovanni Battista Macholino oder seiner
Werkstatt zuweisen möchten. Macholino aus dem Val San Giacomo bei Chiavenna hat
seine Wandmalerei signiert und datiert, und zwar 1636 in der Kirche Pigniu/Panix und
1639 in der evangelischen Pfarrkirche von Sagogn. Vermutlich stammt auch die weniger
gekonnte Malerei in der Kapelle St. Franziskus und vielleicht auch jene im Chor der
Pfarrkirche Rueun aus der Werkstatt Macholinos, der dort das rechte Seitenaltarbild mit
dem Gekreuzigten 1635 signierte. Das älteste bekannte Werk Macholinos in der Region
ist das kolossale Leinwandbild der Schlacht bei Lepanto in der Kirche St. Vincentius in
Pleiv, das signiert und 1630 datiert ist.
Konservierung und Restaurierung
Eine umfassende Konservierung und Restaurierung der Kapelle Maria Magdalena
in Gula drängte sich kurz nach der Pfarrkirchenrestaurierung auf, weil das reich bemalte
Schiffsgewölbe der Kapelle einzustürzen drohte. Das Blechdach und die
Dachanschlüsse an den Turm waren schadhaft, aber auch aufsteigende Feuchtigkeit
setzte dem Mauerwerk und dem Verputz zu. Neue Rinnen, Fallrohre und eine
Sickerleitung rund um die Kirche sorgen für das Abfliessen des Dachwassers und sollen
die Feuchtigkeit im Sockelbereich vermindern. Neu ist auch eine Blitzschutzanlage
eingebaut. Anstelle der schadhaften Dachhaut aus Weissblech deckte man den
Turmhelm mit handgespaltenen Lärchenschindeln, Schiff und Chor dagegen mit einem
Rautendach aus Uginox-Stahlblech. Die moderne Metallhaut wurde anstelle der
historisch nachgewiesenen Schindeldeckung gewählt, weil im Dachraum Fledermäuse
unter der wärmenden Metallhaut Zuflucht gefunden hatten. Dank der besseren
Abdichtung im Dachfussbereich wurde das Klima im Dachraum so geeignet, dass im
Sommer 2000 erstmals wieder Weibchen der Kleinen Hufeisennase den Kapellendachraum als Wochenstube benützten.
Der Dachstuhl über dem Schiff war in schlechtem Zustand, was den Einzug eines
neuen, gebogenen Metallquerträgers in der Schiffsmitte im Dachstuhl nötig machte. Die
einsturzgefährdete gemörtelte Tonnendecke im Schiff hat man an zahlreichen
eingebohrten Stahlstäben punktweise fixiert und am Dachstuhl, bzw. am neuen
Querträger aufgehängt. Eine bewährte Methode zur Deckensicherung, die der planende
Ingenieur Jürg Buchli bereits in der Klosterkirche in Pfäfers und in der Pfarrkirche
Disentis angewandt hatte.
Bei der letzten Renovation der Kapelle vor etwa 60 Jahren hatte man versucht mit
einem Zementgussboden der Feuchtigkeit im Rauminnern Herr zu werden. Dieser
Zementboden wurde jetzt längs der Wände aufgefräst um den Luft- und
Feuchtigkeitsaustausch zu gewährleisten. Der unschöne Zementboden ist mit oberseits
gespaltenen Valserplatten abgedeckt worden. Die Fichtenholzbänke der letzten
Renovation hat man lediglich abgelaugt. Die schlichten Holzsprossenfenster im Schiff
mit kostbarem mundgeblasenen Flachglas stammen wohl vom Anfang des 20.
Jahrhunderts, jene im Chor könnten noch hundert Jahre älter sein. Die Fenster der
Südwand konnten sorgfältig instandgestellt werden, jenes der Westwand mit dem reich
bemalten Rollwerkrahmen war so stark beschädigt, dass nur eine Kopie des
Holzrahmens möglich war. Passend zum gemalten Rahmen wählte man hier die
typologisch ältere Butzenscheibenverglasung des 17. Jahrhunderts.
Die absandenden Steingewände des Eingangsportals aus grünem Verrucanostein
der Gegend sind mit Füllungen und Rosetten geziert, sie wurden vom Restaurator Jörg
Joos mit Kieselsäureester konserviert. Die barocke Doppelflügeltüre erhielt nach der
Instandstellung durch den Schreiner wieder einen geschmiedeten Stossriegel.
Das barocke Altarretabel aus Holz ist mit Marmorimitation bemalt und teilweise
vergoldet. Zwei kannelierte Säulen mit Kompositkapitellen tragen einen gesprengten
Giebel mit reich profiliertem, verkröpftem Gebälk. Das Frontispiz ist eine Kartusche mit
dem plastisch geschnitzten und gefassten Kapuzinerwappen (die gekreuzten Arme
Christi und der Franziskus mit den Wundmalen). Der Altaraufsatz stammt aus derselben
Werkstatt, wie jener in der Kapelle St. Franziskus, der anhand der datierten Bildtafel
wohl im Jahre 1642 entstand. Eine besondere Überraschung bot das auf Leinwand
gemalte Altarbild der Magdalenakapelle. Es zeigt den Gekreuzigten begleitet von Maria
und Johannes, zu Füssen Christi kniet die Kappellenpatronin Magdalena und hat die
Füsse des Herren umschlungen, daneben kniet Franziskus. Die, verglichen mit der
Deckenmalerei der Kappelle, unbeholfene, ja qualitätlose Malerei dieses Altarbildes
wirkte stets fremd und störend. Sie ist, wie die Untersuchungen des Restaurators
nachgewiesen haben, eine neuere, schwache Kopie der original barocken Darstellung
auf der Leinwandrückseite. Grund für diesen Bildersatz auf der Rückseite war ein
beträchtlicher Schaden, nämlich eine Fehlstelle im Bereich der oberen Körperhälfte
Christi, wohl als Folge eines Wasserschadens.
Die gekonnte Malweise, aber vor allem die Initialen J.R.S. am unteren Bildrand
bestätigen, dass es sich um das Werk Johann Rudolf Sturns, des Churer Hofmalers
handelt. Dies führte zum Entscheid, die bedeutende, leider beschädigte
Rückseitenmalerei zu restaurieren, wobei der Restaurator in reversibler Technik die
Fehlstelle nach dem Vorbild des Seitenaltares von Cabbiolo (1645 von J.R. Sturn gemalt)
ergänzte.
Gewölbemalerei
Der wertvollste Schmuck dieser bescheidenen Barockkappelle sind die sehr gut
erhaltenen Deckenmalereien. Die Wände im Schiff und Chor sind weiss gekalkt, jedoch
über dem rundum laufenden Simsprofil sind die Gewölbedecken der Tonne über Schiff
und Chor, aber auch der Triumphbogen und die Bogenwand, über dem Eingang
vollständig bemalt. In der Gewölbezone herrscht ein eigentlicher "horror vacui", also die
"Angst vor der Leerfläche". Das Gewölbe ist mit figürlichen Szenen mit bunten
Blumen und Ranken sowie in Grisaille gemalten Stuckrahmen bedeckt.
Anlässlich früherer Instandstellungen, wohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hat
man nicht nur drei Zugbänder im Schiff eingezogen, sondern die im Gewölbescheitel
von Schiff, Chor und Triumphbogen gefährlich klaffenden Risse mit breiten
Mörtelbändern überdeckt, und dabei die Risse kaum ausgefugt, sondern die
empfindliche wischende Deckenmalerei beidseits des Risses handbreit überpflastert
und diese dabei teilweise zerstört.
Diese unbeholfenen Überputzungen haben die Restauratoren der Firma Joos,
Andeer entfernt, die Risse mit Steinen und Kalkmörtel gestopft und wenn nötig
zusätzlich hintergossen. Anschliessend wurden die fehlenden Bildteile in
Stricheltechnik (tratteggio) ergänzt.
Das Gewölbe im Chor zeigt im Scheitel das rechteckige Bild der von Engeln
erhobenen Maria Magdalena mit dem Salbgefäss aus Alabaster in der rechten Hand.
Eingefasst ist dieses Bild (wie auch jene am Schiffsgewölbe) von einem in Grisailletechnik gemalten Kartuschenrahmen mit Rollwerk belegt mit Blatt- und Perlstabfriesen
als Imitation von plastischem Stuckantrag. Beidseits zum Gesims hin ist der Bildrahmen
durch je drei gemalte Schuppenpilaster abgestützt. Die Pilasterzwischenräume sind mit
bunten Blütenkelchen und Rankenmalerei in der Manier des 17. Jahrhunderts geziert.
Die beiden grösseren Blütenfelder der Nordhälfte waren durch Wassereinbrüche
beim Turmausschluss bis auf Reste zerstört. Diese Ergänzungen wurden in flächiger
Malweise vom Restaurator nach der Vorlage der Südhälfte ergänzt, signiert und datiert.
Die Triumphbogenuntersicht und die am Schiffsgewölbe aufgemalten Gurtbogen
sind beidseits mit einem roten Band gesäumt und ebenfalls mit Blütenkelch- und
Rankenmotiven bunt bemalt.
Am Anlauf der Triumphbogenuntersicht prunken beidseits üppige Blumensträusse
in edlen goldgezierten Henkelvasen, wie sie in ähnlicher Weise die Gewölbezwickel
des Vorchores in Sagogn und den Triumphbogen in Pigniu zieren.
Auch am Schiffsgewölbe sind alle figürlichen Szenen mit Grisaillerollwerkrahmen
eingefasst. Ganz deutlich soll die gekonnt schattierte Grisaillemalerei plastischen
Stuck vortäuschen, wie er in vereinfachter Form in der Pfarrkirche St. Andreas in Rueun
und in reicherer Form in der Kirche St. Maria in Sagogn tatsächlich angetragen
wurde.
An der Stirnwand des Triumphbogens in der Magdalenakapelle wurde unter einer
Kalktünche im Scheitel das Kapuzinerwappen entdeckt und ebenso freigelegt und
retuschiert wie die seitlichen kantigen Blattranken. Auch diese Ranken und das Wappen
haben ihre plastischen Stuckvorbilder in der Pfarrkirche Sagogn.
In der Westwand der Kapelle öffnet sich das einzige Fenster über dem Gesimse
und belichtet direkt das Schiffsgewölbe. Das Fenster ist mit einem reich gemalten
Rahmen eingefasst. In bunten Rot- und Ockertönen ist eine Rollwerkeinfassung mit
einem bekrönenden Putto und Masken im Profil sowie Pflanzengehänge gemalt. Auf den
Zwickeln des Westwandschildbogens ist die Verkündigung an Maria dargestellt, auf der
linken Seite kniet Maria am Betpult mit vor der Brust gekreuzten Händen; auf der
rechten Seite kniet auf einer Wolkenbank der Erzengel Gabriel, der die Rechte zum
englichen Gruss erhoben hat. Entgegen der Schriftrichtung nach links und in
Spiegelschrift ist "AVE MARIA" geschrieben. Ein tiefgründiges Spiel mit Buchstaben,
denn das gespiegelte "AVE" heisst "EVA", womit die Urmutter als Ursprung der
Sünde, der Muttergottes Maria als Retterin vor der Sünde gegenüberstellt wird.
(Eine vergleichbare Verkündigungsszene hat Giovanni Battista Macholino auch in
der Kirche Pigniu/Panix gemalt. Davon ist nur der Erzengel Gabriel erhalten und nach
der Ablösung im Jahre 1984 von der Schiffsostwand auf die Südwand übertragen
worden. In Pigniu hat Macholino sein Werk signiert und 1636 datiert).
Am Schiffsgewölbe sind sechs wichtige Stationen aus dem Leben der Maria
Magdalena dargestellt, sie alle sind mit Tituli, nämlich lateinischen Zitaten aus den
Evangelien überschrieben.
Im vorderen Rundbild im Gewölbescheitel ist die Begegnung Maria Magdalenas mit
dem auferstandenen Christus dargestellt, das "Noli me tangere". Christus ist mit dem
Lendentuch, einem wallenden roten Mantel und einem breitkrempigen Hut bekleidet. Er
erscheint der vor ihm knienden Maria Magdalena als Gärtner mit der Schaufel in der
linken Hand. Die Szene spielt in einem höfischen Barockgarten italienischer
Manier, dargestellt mit einem Palazzo, rechteckigen Blumenbeeten, Mittelachse,
Nischenhecke und Lattenzaun.
Das untere Rundbild im Westteil des Schiffes zeigt das Gastmahl im Hause
Simons, Maria Magdalena hat sich zu Boden geworfen und trocknet Christus die Füsse
mit ihrem langen Haar.
Das Rechteckbild links vorn stellt die Auferweckung des Lazarus dar. Das
gegenüberliegende Bild gibt die betende Büsserin, Maria Magdalena wieder in der
Einsiedelei, der Grotte von Ste. Baume bei Marseille. Maria Magdalena hält kniend ein
Kruzifix und liest im aufgeschlagenen Evangelium neben dem ein Totenkopf als
Sinnbild der Vergänglichkeit alles Irdischen liegt.
Auf dem Bild unten links trennt sich Maria Magdalena von ihren irdischen Gütern.
Sie steht vor einem Tisch und zerreisst eine dreifache Korallenhalskette und wischt mit
der anderen Hand ein Medaillon mit einem Männerportrait vom Tisch, worauf Spiegel,
Schere, Geschmeide, Ring, Deckelgefäss und Blumenvase als Attribute des Luxus
liegen.
Bereits auf dem Boden liegen Ohranhänger, Korallenperlen und Broschen. Schwere
rote Brokatvorhänge sind wie die grüne Tischdecke goldgesäumt und zeigen den
prunkvollen Innenraum in dem die reuige Sünderin steht.
Das Bild unten rechts gibt den Besuch Christi bei den beiden Schwestern wieder.
Martha dient stehend dem Herrn, Maria Magdalena sitzt lauschend zu seinen Füssen,
damit hat sie "den besseren Teil erwählt".
Diese Wand- und Deckenmalerei ist flüssig und sicher gemalt. Sie verfügt zwar
nicht über die Kühnheit der Verkürzungen und Perspektiven der 1639 von Macholino in
Sagogn gemalten Bilder, die Malerei in der Magdalenakapelle ist allerdings gekonnter
als jene in der Pfarrkirche Rueun. Vor allem die in Grisaillemanier imitierten
Stuckrahmen mit Putten und Fruchtgehängen sind so virtuos gemalt, dass wir die
Malerei der Kapelle Maria Magdalena in Gula dem Meister Macholino oder
mindestens seiner Werkstatt zuschreiben möchten.
Im Zustand fortgeschrittener Gefährdung ist es dank der Initiative der
Kirchgemeinde Rueun und der Bauleitung des Architekten Bruno Indergand gelungen,
dieses reizvolle hochbarocke Sakralkunstwerk für die Zukunft zu bewahren.
Hans Rutishauser, Denkmalpfleger
Gremium: Denkmalpflege Graubünden
Quelle: dt Denkmalpflege Graubünden