Praktisch alle Kantone in der Schweiz verfügen über ein kantonales Baugesetz. Eine Ausnahme bildet der Kanton Graubünden.
Dies führt dazu, wie jüngst in der Presse zu lesen war, dass die Bündner Gemeinden bei der Bewilligung von Solaranlagen in der Kernzone im Interessenkonflikt zwischen Ästhetik und Energieeffizienz unterschiedlich handeln. Dieser kommunale Wildwuchs von verschiedenen Praxen ist nicht haltbar. Besonders wenn es um die Verwendung von nachhaltigen und umweltfreundlichen Energieanlagen geht.
Es existiert nun zwar im Kanton Graubünden eine sog. Mustergesetzgebung, an welche sich die Gemeinden aber nicht halten müssen.
Auch die Bestimmungen im kantonalen Raumplanungsgesetz bieten keine genügende Grundlage.
Auf dem Gebiete der kommunalen Baugesetzgebung und deren dazu gehörende Praxis zeigen sich Ungleichheiten und daraus resultierende Ungerechtigkeiten, welche vom Normalbürger und von den betroffenen umweltbewussten Bauherren nicht verstanden werden.
Wie will man den Rechtsunterworfenen plausibel erklären, warum man in Zizers auf die Einschränkung, geneigte oder gestellte Sonnenkollektoren an Fassaden und Schräglagen anzubringen, verzichtet, wogegen die Gemeinde Domat/Ems an einer solchen Einschränkung festhält?
In der heutigen Zeit, wo sogar der Kanton bei der Förderung von erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energie-Effizienz vorangeht (vgl. Solarpanels am Neubau Kanti Halde, Anschluss des Kantonsspitals an die Fernheizung etc.) kann es nicht angehen, dass die Gemeinden je nach ihrem Gusto und aufgrund der Gemeindeautonomie sinnvolle und nachhaltige Projekte z.T. verunmöglichen. Gerade der mancherorts ins Feld geführte Ortsbildschutz muss unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Energieknappheit und der fortschreitenden Entwicklung der Solar- und Windenergietechnologie überdacht werden.
Eine Vereinheitlichung auf Kantonsebene kann somit nur durch Erlass eines kantonalen Baugesetzes herbeigeführt werden.
Die Regierung wird deshalb gebeten, die folgenden Fragen zu beantworten:
1. Wie stellt sich die Regierung zur beschriebenen Problematik?
2. Ist die Regierung ebenfalls der Meinung, dass der Installation von Solar- und Windanlagen auch in den Kernzonen sowenig wie möglich gesetzliche Hindernisse in den Weg gestellt werden sollten?
3. Ist die Regierung bereit, den Erlass eines kantonalen Baugesetzes zu prüfen?
4. Wenn die Regierung dem Erlass eines kantonalen Baugesetzes ablehnend gegenüber steht, ist sie wenigstens bereit, die vorstehend aufgeführte Problematik auf eine andere Art und Weise zu lösen? Wenn ja, wie könnte diese Lösung aussehen?
Chur, 8. Dezember 2009
Menge, Arquint, Barandun, Dermont, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jäger, Krättli-Lori, Loepfe, Marti, Meyer Persili (Chur), Meyer-Grass (Klosters Dorf), Peyer, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Pfister, Trepp, Brasser
Antwort der Regierung
Zu den in der Anfrage formulierten Fragen 1-4 kann wie folgt Stellung genommen werden:
Für die Regierung geht es zu weit, ein „kantonales Baugesetz“ zu fordern, weil zwei Bündner Gemeinden bei der Beurteilung von Sonnenkollektoren an bestehenden Wohnbauten eine unterschiedliche Praxis verfolgen, indem sie bei der vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse am Einsatz erneuerbarer Energien einerseits und die bauästhetischen respektive ortsbildschützerischen Anliegen anderseits unterschiedlich gewichten. Der Erlass eines kantonalen Baugesetzes ist mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie politisch nicht umsetzbar. Für eine einheitliche Regelung von Solaranlagen würde es ohnehin genügen, einen einzelnen, auf diese Thematik beschränkten spezifischen Artikel ins geltende KRG aufzunehmen. Aber selbst der Erlass eines speziellen Solaranlage-Artikels auf kantonaler Ebene ist nicht zu befürworten, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Auch im Falle des Erlasses eines spezifischen Solaranlage-Artikels auf Stufe Kanton käme der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und Schutzbedürfnisse in den Kernzonen nicht umhin, den Gemeinden über eine „offene“ Formulierung respektive über unbestimmte Rechtsbegriffe die nötigen Beurteilungsspielräume für den Entscheid über Solaranlagen zu gewähren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gemeinden in der Rechtsanwendung mit dem Zielkonflikt Energieeffizienz versus Bauästhetik/Ortsbildschutz unterschiedlich umgehen, bliebe folglich so oder anders bestehen.
b) Abgesehen davon existiert für Solaranlagen bereits auf Bundesebene eine schweizweit verbindliche Vorschrift, nämlich Art. 18a des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG). Danach sind Solaranlagen zu bewilligen, sofern sie „sorgfältig in Dach- und Fassadenflächen integriert sind“ und keine Kultur- und Naturdenkmäler von kantonaler oder nationaler Bedeutung beeinträchtigen. Bezüglich der Frage, was „sorgfältig integriert“ bedeutet, kommt den Gemeinden wiederum (zu Recht) ein Beurteilungsspielraum zu.
Letztlich ist zu bedenken, dass nicht nur die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die CO2-Reduktion als wichtige Pfeiler einer nachhaltigen Klimapolitik im öffentlichen Interesse liegen, sondern auch der Schutz von Landschaften, Ortsbildern und Einzelbauten. Entscheide über Solaranlagen oder auch über andere erneuerbare Energieträger wie Windkraft- und Biomasseanlagen erfolgen stets im Spannungsfeld der erwähnten Interessen. Dem Zielkonflikt ist eher mit intelligenten Lösungsansätzen als mit legislatorischen Mitteln beizukommen. Im Zuge der letzten KRG-Revision hat der Kanton im Übrigen bereits einen bedeutenden Beitrag zugunsten der Energieeffizienz geleistet, indem für Aussenisolationen kantonsweit ein Dispens von der Einhaltung der Baupolizeivorschriften statuiert wurde (Art. 82 Abs. 2 KRG).
Fakt ist, dass die Bedeutung erneuerbarer Energieträger wie Solaranlagen, Windkraftanlagen etc. in den kommenden Jahren zunehmen wird, wodurch das Erscheinungsbild von Landschaften, Ortsbildern und Einzelbauten einem nicht zu unterschätzenden (zusätzlichen) Druck ausgesetzt werden könnte. Es gilt, diesen Druck auf überlieferte natur- und heimatschützerische Werte aufzufangen, ohne die klimapolitischen Effizienz- und Sparpotenziale in Frage zu stellen, indem entsprechende Anlagen gut eingeordnet oder örtlich an geeigneten Standorten zusammengefasst werden (Windkraftpärke; Solarstromanlagen in Industriezonen usw.). Für die Beurteilung von Windkraftanlagen haben das Amt für Raumentwicklung und das Amt für Energie und Verkehr einen Leitfaden herausgegeben. Sofern sich in der Praxis grössere Probleme ergeben sollten, wäre allenfalls auch die Herausgabe einer Richtlinie für die Beurteilung von Solaranlagen prüfenswert.
17. März 2010