Im Dezember 2009 hat die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für das Berggebiet „SAB“ zu dieser Thematik ein sehr bemerkenswertes Grundlagenpapier veröffentlicht. Es zeigt die absehbare dramatische Verschärfung der medizinischen Grundversorgung in den erwähnten Gebieten auf.
Neueste Berichte in den Bündner Medien bestätigen diese Entwicklung. Aktuell müssen sowohl im Unterengadin als auch in der Surselva Arztpraxen aufgegeben werden, weil sich trotz intensiver Suche keine Nachfolge finden lässt. Gemäss dem Präsidenten des Bündner Ärztevereins Hansjakob Michel besteht dringender Handlungsbedarf, wenn die Situation in Bezug auf die medizinische Grundversorgung in den Berggebieten und ländlichen Räumen nicht noch prekärer werden soll.
Mögliche Gründe für diese Entwicklung sind:
• Unzeitgemässe Arbeitsbedingungen wie hohe Belastung für Bereitschaftsdienste und Notfalleinsätze;
• Zu geringer Verdienst unter anderem wegen vergleichsweise tiefen Taxpunktwerten und wegen der Senkung der Labortarife;
• Dazu kommt, dass dank dem Numerus clausus für Medizinstudien zu wenig Schweizer Ärzte und Ärztinnen ausgebildet werden und dass das Interesse, sich durch Weiterbildung in Allgemeinmedizin zum Hausarzt weiterzubilden bei den Studenten und Studentinnen gering ist.
Um dem Hausärztemangel entgegenzuwirken, schlägt die SAB in ihrem Papier eine Reihe von Massnahmen vor. Unter anderem sind dies:
• Erstellung eines kantonalen Konzepts für die medizinische Grundversorgung;
• Erleichterungen beim Eröffnen einer Praxis oder beim Aufbau von Gemeinschaftspraxen wie erleichterte Bewilligungsverfahren, Gewähren von rückzahlbaren Darlehen (ähnlich den Massnahmen zur Ansiedlung neuer Unternehmungen im Rahmen der Wirtschaftsförderung);
• Abschaffung des Numerus clausus;
• Erhöhung der Tarmed-Tarife, Vereinheitlichung der Taxpunktwerte.
Die Unterzeichneten gehen davon aus, dass sich die Bündner Regierung der beschriebenen Problematik bewusst ist und stellen deshalb folgende Fragen:
1. Mit welchen Massnahmen will die Regierung dem drohenden Hausärztemangel auf kantonaler Ebene begegnen?
2. Ist die Regierung bereit, sich bei den zuständigen Bundesstellen für gezielte Massnahmen wie die Abschaffung des Numerus clausus und die Vereinheitlichung der Taxpunktwerte einzusetzen?
Chur, 16. Februar 2010
Darms-Landolt, Portner, Peer, Barandun, Baselgia-Brunner, Berni, Berther (Sedrun), Bezzola (Zernez), Bleiker, Blumenthal, Bondolfi, Brandenburger, Brüesch, Bucher-Brini, Buchli, Bühler-Flury, Butzerin, Caduff, Cahannes Renggli, Castelberg-Fleischhauer, Casty, Casutt, Caviezel (Pitasch), Caviezel-Sutter (Thusis), Cavigelli, Christoffel-Casty, Dermont, Dudli, Fallet, Fasani, Federspiel, Feltscher, Florin-Caluori, Geisseler, Giovanoli, Hardegger, Jaag, Jäger, Jeker, Jenny, Kleis-Kümin, Kollegger, Krättli-Lori, Loepfe, Mani-Heldstab, Märchy-Michel, Marti, Menge, Mengotti, Meyer Persili (Chur), Meyer-Grass (Klosters Dorf), Michel, Niederer, Noi-Togni, Parolini, Parpan, Pedrini, Peyer, Pfister, Plozza, Quinter, Ragettli, Ratti, Rizzi, Sax, Stiffler, Stoffel (Hinterrhein), Tenchio, Thomann, Thöny, Thurner-Steier, Trepp, Troncana-Sauer, Vetsch (Pragg-Jenaz), Wettstein, Cattaneo, Clalüna, Gunzinger, Hartmann (Küblis), Locher Benguerel, Loi, Mainetti
Antwort der Regierung
Die Regierung ist sich der Problematik der hausärztlichen Versorgung der Randregionen bewusst. Eine gute ärztliche Grundversorgung ist auch in den Randregionen zu gewährleisten.
Interessenten geben für den Verzicht auf die Übernahme einer Talarztpraxis insbesondere die zu hohe Präsenzzeit in der Praxis, den "geringen" Verdienst, die fehlenden Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die langen Distanzen in die Zentren, das fehlende Kulturangebot, die fehlende Bereitschaft der Lebenspartnerin beziehungsweise des Lebenspartners, in den Bergen zu wohnen, und den hohen Übernahmepreis an.
Die Problematik der hausärztlichen Versorgung in den Randregionen ist sowohl durch Massnahmen auf Bundesebene als auch auf kantonaler und kommunaler Ebene anzugehen.
Neben dem Bund und dem Kanton können auch die Gemeinden für bessere Rahmenbedingungen ihrer Hausärzte sorgen, beispielsweise mittels Arztwartverträgen und Arzthäusern.
Eine aus Vertretern des Grossen Rates, der Hausärzte und des Gesundheitsamtes bestehende, von der Kommission für Gesundheit und Soziales eingesetzte Arbeitsgruppe hat im Dezember 2005 einen Bericht zur Sicherstellung der ärztlichen Grund- und Notfallversorgung im Kanton vorgelegt. Dieser Bericht wurde im März 2006 vom Ratssekretariat allen interessierten Kreisen zur Kenntnis gebracht. Der Bericht listet mögliche Massnahmen im Einflussbereich der Politik, der Krankenversicherer, der Spitäler, des Bündner Ärztevereins und der einzelnen Spitäler auf.
Die im Papier der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für das Berggebiet vorgeschlagenen Massnahmen, um dem Hausärztemangel in den Berggebieten und ländlichen Räumen entgegenzuwirken, sind nicht neu und – soweit sie den Kanton betreffen – in weiten Teilen bereits umgesetzt.
Beantwortung der Fragen
1. Die Regierung beziehungsweise das zuständige Departement hat folgende Massnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung im Kanton ergriffen:
- Die Regierung unterstützt den ärztlichen Notfalldienst der frei praktizierenden Ärzte durch Gewährung von Beiträgen an die Ausbildung in der Höhe von Fr. 2'000.-- für den Grundkurs, respektive Fr. 500.-- für den Refresherkurs sowie für die Dienstarztausrüstung in der Höhe von jährlich Fr. 2'000.-- pro Arzt.
- Das zuständige Departement hat den Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern im April des vergangenen Jahres ersucht, die Senkung der Labortarife wieder rückgängig zu machen. Die Senkung der Labortarife stehe quer in der Landschaft zu dem allseits anerkannten Postulat der Förderung der Attraktivität der Grundversorgertätigkeit. Leider blieb dem Vorstoss der Erfolg verwehrt.
- Mit Beschluss vom 25. August 2009 hat die Regierung das Projekt "Capricorn" genehmigt, welches zum Ziel hat, für angehende Grundversorger Ausbildungsstellen in Praxen zu schaffen und so den Nachwuchs für die Hausarztmedizin in unserem Kanton zu gewinnen. Um den Bestand der heute existierenden Grundversorgerpraxen zu sichern, werden vier Ausbildungsplätze für Assistenzärzte für je ein halbes Jahr durch den Kanton mitfinanziert.
- Die Regierung und das zuständige Departement haben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür ausgesprochen, dass die Bündner Ärzte den gleichen TARMED-Taxpunktwert erhalten wie ihre Ostschweizer Kollegen. Seit Anfang dieses Jahres ist dieses Anliegen umgesetzt. Seit diesem Zeitpunkt verfügen die Bündner Ärzte und Ärztinnen über den gleichen TARMED-Taxpunktwert wie ihre Ostschweizer Kollegen.
- Der Zulassungsstopp für Grundversorger wurde per 1. Januar 2010 aufgehoben.
- Das Verfahren für die Erlangung einer Berufsausübungsbewilligung im Kanton wurde vereinfacht.
- Der vom Bündner Ärzteverein vorgeschlagenen Reorganisation des den Ärzten obliegenden regionalen Notfalldienstes (Sicherstellung des Notfalldienstes in Zusammenarbeit mit dem Regionalspital) wurde zugestimmt.
- Als aktuellste Massnahme zur generellen Stärkung der Hausarztmedizin sieht die Regierung vor, in den nächsten Wochen einen Entwurf für eine Teilrevision des Gesundheitsgesetzes, mit welcher die Beschränkung des Selbstdispensationsrechtes der Ärzte in Ortschaften mit den Notfalldienst sicherstellenden Apotheken aufgehoben werden soll, in die Vernehmlassung zu geben.
Die Regierung und das zuständige Departement sind bereit, weitere in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Massnahmen zu prüfen.
2. Die Regierung engagiert sich auf Bundesebene durch das zuständige Departement insbesondere im Rahmen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren (GDK) für die Anliegen der Bündner Hausärzte. Sie ist der festen Überzeugung, dass gemeinsame Interventionen der Kantone bei den zuständigen Bundesstellen erfolgversprechender sind als Interventionen eines einzelnen Kantons. Hinsichtlich des Taxpunktwertes ist festzuhalten, dass dieser gemäss der Ordnung des KVG zwischen den Versicherern und den Ärzten zu verhandeln und zu vereinbaren ist. Das zuständige Departement setzt sich in der GDK im Rahmen seiner Möglichkeiten auch für die Aufhebung des Numerus Clausus ein. Der Numerus Clausus ist mit ein Grund, weshalb in den Spitälern bald jeder zweite Assistenzarzt wie auch ein erheblicher Teil der Kaderärzte in der Schweiz über ein ausländisches Arztdiplom verfügt.
12. Mai 2010