Kürzlich hat die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) den nationalen Bildungsbericht Schweiz 2010 publiziert. Er richtet sich in erster Linie an die für die Steuerung des Bildungssystems verantwortlichen Behörden, mit dem Ziel, eine datengestützte Basis für politische Entscheidungen zu erarbeiten. Zu diesem Zweck stellt der Bericht Wissen aus Forschung, Statistik und Verwaltung zusammen.
Vor dem Hintergrund der Ablehnung des HarmoS-Konkordats durch den Kanton Graubünden wird die Regierung angefragt, welche Konsequenzen sie aus den Ergebnissen des Bildungsberichts Schweiz 2010 für den Kanton Graubünden und deren Gemeinden zieht.
Insbesondere:
• es ist davon auszugehen, dass der frühe Zugang von Alkohol und die Häufigkeit seines Konsums das Sucht- und Problemverhalten Jugendlicher stark prägen. Dieses Problemverhalten kann sich im schulischen Bereich durch vermehrte Gewalt und in schlechteren Leistungen äussern. Es kann bei Schweizerischen Jugendlichen eine wesentliche Zunahme des Konsums der meisten illegalen psychoaktiven Substanzen festgestellt werden. Die von den Jugendlichen am meisten konsumierte psychoaktive Substanz ist Alkohol (S. 45 ff.). Besteht für den Kanton Graubünden Handlungsbedarf, gegen diesen Trend (vermehrte Jugenddelinquenz und gesteigerter Alkoholkonsum) verstärkter vorzugehen?
• Die Tatsache, dass Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in den Kindergarten/Vorschule eintreten, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Bereich der frühen Kindheit, und es wird festgestellt, dass nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht Nachholbedarf besteht. Erforderlich erscheint insbesondere ein ganzheitliches, umfassendes Entwicklungs- und Bildungskonzept für den Frühbereich. Neben dem Ausbau erschwinglicher institutioneller Angebote wird auch eine stärkere Bildungsorientierung in den familienergänzenden Einrichtungen verlangt (S. 67, 83). Erwägt der Kanton diesbezüglich etwas zu tun?
• Bezüglich der durchschnittlichen, jährlichen Unterrichtszeit auf Primarschulstufe 2008/2009 (S. 70) sowie auf Sekundarstufe I (S. 96) rangiert unser Kanton an drittoberster Stelle aller Kantone bezüglich der meisten Unterrichtszeit. Welche Konsequenzen zieht der Kanton daraus?
• Die prognostizierte Veränderung der Schülerbestände für die Sekundarstufe I, 2007–2017, liegt für den Kanton Graubünden bei mehr als 20% minus (S. 90). Welches sind die Konsequenzen insbesondere in zeitlicher Hinsicht für den Kanton und die Gemeinden Graubündens?
• Der Kanton Graubünden verfügte 2005/2006 über rund 6% an Stellenbesetzungen auf Sekundarstufe I mit Lehrpersonen, die nicht über die für die entsprechende Stufe benötige Lehrbefähigung verfügten (S. 228). Verfügt der Kanton über neuere Zahlen und stellt dies nach Ansicht der Regierung ein Problem dar, welches kantonal angegangen werden sollte?
Chur, 16. Februar 2010
Tenchio, Bondolfi, Arquint, Baselgia-Brunner, Berther (Sedrun), Blumenthal, Bühler-Flury, Caduff, Cahannes Renggli, Casutt, Cavigelli, Darms-Landolt, Dermont, Fallet, Fasani, Federspiel, Feltscher, Florin-Caluori, Frigg-Walt, Geisseler, Jaag, Jäger, Koch, Kollegger, Loepfe, Menge, Mengotti, Meyer Persili (Chur), Niederer, Noi-Togni, Pedrini, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Pfister, Portner, Righetti, Thöny, Thurner-Steier, Trepp, Troncana-Sauer, Tuor, Candinas (Disentis/Mustér), Cattaneo, Furrer-Cabalzar, Locher Benguerel, Mainetti
Antwort der Regierung
Die Regierung betrachtet den ersten nationalen Bildungsbericht 2010 als einen wichtigen Bestandteil des Bildungsmonitorings Schweiz. Wie alle Elemente dieses noch jungen, der Steuerung des Schweizer Bildungssystems dienenden Prozesses ist auch der vorliegende Bildungsbericht als ein dynamisches Element zu sehen, welches in Zukunft immer wieder Anpassungen erfahren wird. Nach Ansicht der Regierung wäre es nicht im Sinne des Bildungsmonitorings, für den Kanton Graubünden bereits aus dem ersten ordentlichen Bildungsbericht einen detaillierten Handlungsbedarf abzuleiten. Die Beantwortung der im Vorstoss gestellten Fragen erfolgt vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Einschätzung.
1. Die Problematik des Suchtmittel- bzw. des Alkoholkonsums bei Jugendlichen ist seit längerem bekannt. Bereits heute werden verschiedene Präventionsmassnahmen umgesetzt und durch den Kanton finanziert. Beispiele dafür sind Projekte des ZEPRA Graubünden wie „smart connection“ etc. Grundsätzlich zielt die Alkoholprävention auf Schülerinnen und Schüler. Daneben soll die Sucht- bzw. die Alkoholprävention auch Jugendgruppen im ausserschulischen Bereich erreichen. Dazu sind geeignete Massnahmen aufzubauen, und der gesetzliche Jugendschutz ist verbindlich umzusetzen. Das Sozialamt erarbeitet zurzeit ein kantonales Alkoholprogramm. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, inwieweit zusätzliche Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene notwendig sind.
2. Der Kanton unterstützt zusammen mit den Gemeinden die familienergänzenden Kinderbetreuungsangebote finanziell gemäss dem Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden (BR 548.300). Dieses Gesetz fördert mittels kantonaler und kommunaler finanzieller Beiträge den Ausbau von familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten. Die bestehenden rechtlichen Grundlagen bezüglich qualitativer Betreuungsinhalte sind sehr allgemein gehalten (Verordnung über die Aufnahme von Kindern in Pflege und zur Adoption, PAVO, SR 211.222.338 sowie das kantonale Pflegekindergesetz, BR 219.050). Der Grosse Rat und die Regierung haben in der Diskussion um das neue Pflegekindergesetz (Grossrats-Protokoll vom 14.02.2007) davon abgesehen, erhöhte Anforderungen seitens des Kantons an die Einrichtungen zu stellen. Somit ist auch in naher Zukunft nicht geplant, dass der Kanton in den familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten eine stärkere Bildungsorientierung verlangt. Die Einrichtungen sind frei, ihr Angebot entsprechend auszugestalten.
3. Wie die Statistik zeigt, ist für die Schülerinnen und Schüler der Bündner Volksschule (Primarstufe und Oberstufe) die jährliche Unterrichtszeit im interkantonalen Vergleich hoch. Andererseits ist die Abweichung gegenüber dem Schweizer Mittel nicht dramatisch. Für die Regierung ist es wichtig, dass die Gesamt-Unterrichtszeit der Schülerinnen und Schüler bei jeder Lehrplan- und Stundentafelrevision (wie z. B. aktuell im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21) immer wieder neu überprüft wird. Bei diesem Abwägen ist u. a. zu berücksichtigen, dass sich eine relativ hohe Unterrichtszeit auf die Schulqualität sowie auf eine verlässliche Tagesstruktur auch positiv auswirken kann.
4. Bei dem in Graubünden für die Jahre 2007 – 2017 prognostizierten Rückgang der Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe I um mehr als 20 Prozent handelt sich um einen Durchschnittswert. Das heisst: In einigen peripher gelegenen Regionen des Kantons wird die Abnahme der Jugendlichen über diesem kantonalen Durchschnitt liegen. Seit einiger Zeit sind in verschiedenen Gebieten des Kantons Konzentrationsprozesse (vor allem hinsichtlich Volksschul-Oberstufe) im Gang. Diese Prozesse werden sich fortsetzen. Aufgrund der Topographie sind ihnen aber natürliche Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund bedeutet der prognostizierte Rückgang an Schülerinnen und Schülern für die betroffenen Schulträger eine Fortsetzung der seit jeher bestehenden Herausforderung, ihr Volksschulangebot sich laufend verändernden Bedingungen anzupassen.
5. Im Schuljahr 2009/10 haben 44 (6,3 %) Lehrpersonen, welche auf der Volksschul-Oberstufe 20 Lektionen/Woche und mehr unterrichten, eine Lehrbewilligung. Davon erteilen 27 (3,8 %) kein Vollpensum. Der Arbeitsmarkt der Lehrpersonen wird von zu vielen Variablen beeinflusst, als dass er von einem Kanton allein gesteuert werden könnte. Graubünden kann sich – wie bisher – bemühen, unter Berücksichtigung der interkantonalen Entwicklung für die konkrete Situation die jeweils beste Lösung zu finden.
6. Mai 2010