Im Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden (BR 548.300) vom 18. Mai 2003 regelt Art. 4 die Zuständigkeit der Gemeinden wie folgt:
„Die Gemeinden legen in Zusammenarbeit mit den anerkannten Anbietern den Bedarf an familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten fest.“
Der Fachverband Kinderbetreuung Graubünden koordiniert die Erhebung des Bedarfs bei den anerkannten Anbietern. Das kantonale Sozialamt legt den Gemeinden die daraus resultierende Bedarfsplanung für das folgende Jahr zur Anerkennung vor. Die Auslegung von Artikel 4 erfolgt bei den involvierten kantonalen Amts- und Fachstellen unterschiedlich, was bei den Gemeinden denn auch zu unterschiedlicher Handhabung geführt hat. Dieser Umstand dürfte in absehbarer Zeit zur Folge haben, dass in dieser Frage eine gerichtliche Klärung angestrebt wird.
Auslegung 1: Die Gemeinden haben den gemeldeten Bedarf für das Folgejahr ebenso vollumfänglich anzuerkennen wie den nachträglich gemeldeten Bedarf für das laufende Jahr.
Auslegung 2: Die Gemeinden haben den gemeldeten Bedarf für das Folgejahr vollumfänglich anzuerkennen. Es steht ihnen frei, den nachträglich gemeldeten Bedarf für das laufende Jahr ganz, teilweise oder gar nicht anzuerkennen.
Auslegung 3: Den Gemeinden steht es frei, den gemeldeten Bedarf ganz, teilweise oder gar nicht anzuerkennen.
Damit die Gemeinden einen allfälligen Handlungsspielraum nutzen können, muss diesen zudem das Recht eingeräumt werden, Angaben über die Erziehungsberechtigten, wie deren Einkommen und Vermögen oder deren Beschäftigungsumfang, bei den Anbietern einzuholen.
Aus den sich ganz oder teilweise widersprechenden Auslegungen resultiert eine Rechtsunsicherheit über den Handlungsspielraum der Gemeinden für diese selbst, für die Anbieter der familienergänzenden Kinderbetreuung und für die Erziehungsberechtigten, welche diese Angebote in Anspruch nehmen.
Aus diesem Grund ersuchen die Unterzeichneten die Regierung, das Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung zu revidieren mit dem Ziel, den Handlungsspielraum der Gemeinden in Bezug auf die Anerkennung der Bedarfsplanung klar zu regeln.
Chur, 19. Oktober 2010
Casanova-Maron, Kleis-Kümin, Parolini, Bondolfi, Caluori, Claus, Conrad, Engler, Gunzinger, Heiz, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Kappeler, Kollegger (Chur), Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Lorez-Meuli, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Donat), Michel, Nick, Niederer, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Pedrini, Perl, Pfäffli, Rathgeb, Righetti, Steck-Rauch, Tenchio, Tomaschett-Berther (Trun), Troncana-Sauer
Antwort der Regierung
Das Gesetz zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden (Gesetz; BR 548.300) regelt die Mitfinanzierung von Angeboten für Kinder im Vorschulalter und für schulpflichtige Kinder ausserhalb der obligatorischen Unterrichtszeit durch die Gemeinden und den Kanton. Für die Förderung der familienergänzenden Betreuung im Sinne einer modernen Familien-, Gesellschafts- und Sozialpolitik unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und arbeitsmarktlichen Erfordernisse (Familienpolitik) sprechen primär folgende Gründe:
1. Die Anzahl der Kinder, die sich selber überlassen bleiben und somit in ihren Entwicklungsmöglichkeiten gefährdet sind, wird verringert und für Kinder, die in schwierigen Verhältnissen leben, sind zusätzliche soziale Kontakte besonders wichtig.
2. Bessere Existenzsicherung für Familien und weniger öffentliche Unterstützung.
3. Der Arbeitsmarkt in der Schweiz ist in zunehmendem Masse auf das Know-How und das berufliche Engagement der Frauen angewiesen.
Im Familienbericht Graubünden (Botschaft der Regierung an den Grossen Rat, Heft Nr. 15/2002-2003) wurde das Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsfähigkeit sei zu verbessern, erneut bestätigt.
Laut Art. 4 des Gesetzes legen die Gemeinden den Bedarf an familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten in Zusammenarbeit mit den anerkannten Anbietern fest. Bis am 31. Mai des Vorjahres reichen die Gemeinden die Ergebnisse der Bedarfsplanung für das folgende Jahr dem kantonalen Sozialamt ein (Ausführungsbestimmungen Art. 3). Damit kann die Mitfinanzierung ordentlich budgetiert werden, aber nachträgliche Bedarfsmeldungen erschweren die Planung der Mitfinanzierung.
Grundsätzlich ist mittelfristig mit weiterem Wachstum des Bedarfs zu rechnen. Die Altersstruktur der betreuten Kinder lässt noch keine Austritte erwarten und die Anschubfinanzierung des Bundes ist bis Ende 2015 verlängert worden. Nachträgliche Meldungen entstehen hauptsächlich durch eine gemeindeüberschreitende berufliche Mobilität junger Familien, Umzügen zwischen Gemeinden im Kanton, Zuzügen aus anderen Kantonen und die in der Privatsphäre erfolgende Familienplanung. Die Festlegung des Bedarfs aufgrund dieser Meldungen hat im Sinne der vom Grossen Rat beschlossenen modernen Familienpolitik zu erfolgen.
Der Grosse Rat hat sich bei der Ausgestaltung der Finanzierung für einen Sockelbeitrag von Kanton und Gemeinden entschieden, ungeachtet der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern. Demzufolge dürfen Entscheide betreffend Festlegung des Bedarfs nicht auf die Erwerbstätigkeit, das Einkommen oder das Vermögen der Erziehungsberechtigten abgestützt werden. Nach Angaben des kantonalen Datenschutzbeauftragten ist das Einholen von subjektorientierten Angaben wie Einkommen, Vermögen sowie Beschäftigungsgrad der Erziehungsberechtigten durch den Kanton und die Gemeinden nicht zulässig. Will eine Gemeinde die Festlegung des Bedarfs abgesehen von der ausgewiesenen Nachfrage steuern, ist es ihre Sache, geeignete Kriterien zu definieren oder Anträge für zusätzliche Plätze zu verweigern.
Die Regierung anerkennt die für die Gemeinden und den Kanton derzeit bestehenden Herausforderungen für die Planung der Beiträge für die Mitfinanzierung der Angebote. Sie verfolgt weiterhin die Zielsetzungen der vom Grossen Rat beschlossenen modernen Familien-, Gesellschafts- und Sozialpolitik unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und arbeitsmarktlichen Erfordernisse. Aus Sicht der Regierung ist eine Revision des Gesetzes zur Mitfinanzierung der Angebote zur Verbesserung der Planungssicherheit nicht zielführend. Aus den dargelegten Gründen ist die Regierung gegen eine Revision des Gesetzes über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden und beantragt dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.
20. Dezember 2010