Schwere Erdbeben sind in Graubünden selten, aber möglich. Die Erdbebengefährdung in Graubünden wird nach Informationen der Gebäudeversicherung Graubünden im weltweiten Vergleich als gering bis mittel eingeschätzt. Graubünden ist auf der aktuellen Erdbebengefährdungskarte der Schweiz verzeichnet, wobei vor allem im Churer Rheintal und im Engadin eine leicht höhere Erdbebengefahr besteht.
Zur Erdbebensicherheit stellen sich im Lichte der jüngsten Ereignisse und im Sinne einer bedrohungsgerechten Prävention nachfolgende, die statische Sicherheit betreffende Fragen:
1. Wie beurteilt die Regierung die heutige Erdbebensicherheit der Schlüsselinfrastrukturen, wie Stauseen, Stromversorgungseinrichtungen, öffentlich zugängliche Bauten (z.B. Spitäler), Verkehrsverbindungen (Brücken, Tunnel) und Trinkwasserversorgungen?
2. Für welche Richtwerte (Magnitude) sind die Bündner Schlüsselinfrastrukturen ausgerichtet?
3. Besteht aus Sicht der Regierung bei den Schlüsselinfrastrukturen Handlungsbedarf für weitere Vorkehrungen in konstruktiver, resp. statischer Hinsicht? Wenn ja, inwiefern?
Chur, 19. April 2011
Rathgeb, Sax, Felix, Aebli, Albertin, Barandun, Baselgia-Brunner, Berther (Camischolas), Bezzola (Samedan), Blumenthal, Bondolfi, Bucher-Brini, Burkhardt, Caduff, Casutt, Cavegn, Clalüna, Clavadetscher, Darms-Landolt, Della Vedova, Dermont, Dosch, Engler, Fallet, Florin-Caluori, Foffa, Frigg-Walt, Furrer-Cabalzar, Gartmann-Albin, Gasser, Giacomelli, Grass, Gunzinger, Hartmann (Champfèr), Hartmann (Chur), Heiz, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jeker, Jenny (Arosa), Joos, Kappeler, Kasper, Koch (Tamins), Koch (Igis), Krättli-Lori, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Locher Benguerel, Mani-Heldstab, Marti, Michael (Donat), Michael (Castasegna), Müller (Davos Platz), Nick, Niederer, Niggli (Samedan), Noi-Togni, Papa, Parolini, Pedrini (Roveredo), Peyer, Pfäffli, Righetti, Rosa, Steck-Rauch, Stiffler (Chur), Tenchio, Thöny, Tomaschett (Breil), Trepp, Troncana-Sauer, Valär, Vetsch (Pragg-Jenaz), Waidacher, Wieland, Zanetti, Zweifel-Disch, Gugelmann, Jenny-Marugg (Klosters Dorf), Michel (Igis), Monigatti, Vincenz
Antwort der Regierung
Die Eintreffens- und die Intensitätswahrscheinlichkeit von Erdbeben ist in Graubünden massiv tiefer als in stark erdbebengefährdeten Gebieten wie Kalifornien oder Japan. Die Auswirkungen werden deshalb wohl etwas unterschätzt und von der Bevölkerung auch als wenig bedrohlich wahrgenommen. Die Erdbebenauswirkungen werden nicht mit der in den Medien verwendeten, nach oben offenen Richterskala, welche die freigesetzte Energie im Epizentrum misst, sondern mit der 12-stufigen EMS98-Skala (europäische makroseismische Skala), welche die Intensität, also das Mass der Zerstörung an Gebäuden und Infrastrukturen beurteilt, dargestellt. Gut verspürte Beben der Intensität V mit einer kantonalen Periodizität von fünf Jahren verursachen noch keine Schäden. Bei einer Intensität von VI (30 Jahrperiodizität) entstehen leichtere Schäden (Risse). In den letzten 1000 Jahren gab es in Graubünden zwei Beben mit der Intensität VII (mittlere Gebäudeschäden) und eines der Intensität VIII (schwere Gebäudeschäden, Churwalden 1295).
Erdbebenschäden sind von der Leistungspflicht der Gebäudeversicherung ausgeschlossen. Der Erdbebenpool der kantonalen Gebäudeversicherungen übernimmt Gebäudeschäden im Kanton ab der Intensität VII mit einem Selbstbehalt von Fr. 50‘000.-- zu 90 %, beschränkt auf 2 Mia. Franken, was für Graubünden eine recht gute Absicherung darstellt.
Erdbebensicheres Bauen wird heute besonders von den SIA-Normen 260-269 beeinflusst. Die Anwendung dieser Normen ist für die Baufachleute zwingend. Bis 1970 gab es keine Erdbebenbestimmungen und jene von 1970-1989 waren nach heutiger Beurteilung ungenügend. Deshalb dürften auch einige öffentliche Anlagen, welche bis 1989 gebaut wurden, eine ungenügende Erdbebensicherheit aufweisen. Die seit 2003 geltende SIA Norm 261, welche für Hochbauten und Infrastruktur gilt, ist auf ein Ereignis mit einer rund 500-Jahr Eintreffenswahrscheinlichkeit ausgerichtet. Für die Bestimmung der Erdbebenresistenz anhand der Norm SIA 261 werden zwei Gefährdungsparameter für einen Standort benötigt: die Erdbebenzone und die Baugrundklasse. Der westliche Teil Graubündens wird der Zone 1 (500-Jahrereignis max. VII), der zentrale und östliche Teil der Zone 2 (500-Jahrereignis max. VIII) zugeordnet. Die Baugrundklasse muss hingegen lokal bestimmt werden. Die Präventionsmassnahmen werden auf Schwerpunktgebiete mit vergleichsweise hoher Bevölkerungsdichte, grossen Sachwerten, Gebäuden mit lebenswichtigen Infrastrukturfunktionen und Gebiete mit erhöhter Erdbebengefährdung fokussiert.
Zu den drei Fragen der Anfrage nimmt die Regierung wie folgt Stellung:
1./2. Bei Stauanlagen wird die Erdbebensicherheit bei Neu- und Umbauten direkt und bei bestehenden Anlagen mindestens alle 20 Jahre überprüft. Gross-Anlagen der Klasse III mit über 40 m Stauhöhe und einem Volumen von über 1 Mio. m3 müssen ein Beben mit der Intensität von XI (Magnitude 7.8-8.7) ertragen, was einer Eintreffenswahrscheinlichkeit von 10'000 Jahren entspricht. Mittlere Anlagen sind auf ein 5000-Jahrereignis ausgelegt und kleinere vom Kanton zu kontrollierende Anlagen sind immerhin noch auf ein 1000-Jahrereignis (Intensität IX, Magnitude 6.9-7.7) vorbereitet.
Neue Verkehrsanlagen der Strasse und der Bahn werden nach den SIA-Normen erstellt. Für ältere Kunstbauten ist der Nachweis der Erdbebensicherheit nach den heute gültigen Normen oft nicht explizit erbracht. Die Erfahrungen und die rechnerischen Untersuchungen im Rahmen von Erhaltungsmassnahmen zeigen jedoch, dass für die meisten normalen Bauten die Erdbebeneinwirkungen für die Bemessung gar nicht massgebend sind. Bei Stützmauern und Böschungen besteht nur eine äusserst geringe Gefahr. Bei den Bahnanlagen könnten Perrondächer, gewisse Bauteile von Hochbauten (z.B. Kamine) und einzelne Stützmauern erdbebengefährdet sein. Energieversorgungsanlagen gelten als erdbebensicher.
Die kantonseigenen öffentlich zugänglichen Liegenschaften wurden bereits vor längerer Zeit auf Personengefährdung hin beurteilt. Für zehn Gebäude wurde ein Massnahmenkatalog definiert, der in einem Fall zu Sofortmassnahmen führte und in den andern Fällen bei Sanierungen umgesetzt wurde oder wird.
Die Gewährleistung der Erdbebensicherheit von Trinkwasserversorgungen und Abwasseranlagen wie auch von Gemeindestrassen und -gebäuden ist eine kommunale Aufgabe. Die Bauten der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung wie Klärbecken und Reservoirs entsprechen den Vorschriften der SIA und dürften auch starken Erdbeben standhalten. Für das Leitungssystem gibt es keine speziellen Normen zur Erdbebensicherheit. Sie dürften oft nicht erdbebensicher sein. Defekte Leitungen lassen sich aber rasch mittels Notleitungen reparieren und ersetzen.
3. Handlungsbedarf auf kantonaler Ebene sieht die Regierung in der Erarbeitung eines umfassenden Schutzzielkonzeptes einschliesslich der Definition von Erdbebenschutzzielen auf Basis entsprechender Risikoanalysen sowie in der konsequenten Umsetzung der SIA-Normen bei Neubauten, bei der Nachrüstung von Gebäuden mit lebenswichtigen Infrastrukturfunktionen und bei Stauseen.
Die Gemeinden sollten ihre bereits bestehenden Gefahrenanalysen mit roten und blauen Gefahrenzonen sowie gelben Gefahrengebieten um eine Beurteilung ihres Risikomanagements erweitern. Dazu müssten kommunale Risiken analysiert und die getätigten Präventionsmassnahmen sowie die Leistungsfähigkeit der Interventionsinstrumente wie Gemeindeführungsstab, Feuerwehr und Zivilschutz periodisch beurteilt werden. Aus dieser integralen Risikoanalyse könnte ein Massnahmenkatalog zur Verbesserung der Elementarschadenprävention und -intervention resultieren. Der Kanton ist bereit, die Gemeinden bei der Risikoanalyse ihrer Versorgungs- und Entsorgungsanlagen zu unterstützen.
4. Juli 2011