Es wird von verschiedenen Seiten immer wieder erwähnt, dass zu wenig Mittel vorhanden sind, um die Strassen des Kantons zu erhalten. Wenn die vorhandenen Mittel effizient eingesetzt würden, gerade durch die Einsparungen in Kunstbauten, könnte diesem Umstand entgegengewirkt werden.
Es kann vielerorts beobachtet werden, dass im Strassenbau mit hohem Aufwand an Material und Finanzen ästhetische Verschönerungen oder Planervisionen verwirklicht werden. Hier kommt zwangsläufig die Frage auf, ob es immer das Maximum an Qualität und Ästhetik sein muss oder ob nicht vielmehr das Kosten-Nutzen-Verhältnis als Zielsetzung dienen sollte.
Als Beispiel möchte ich zwei Objekte hinterfragen, nicht mit dem Anspruch der Vollständigkeit. Eines davon befindet sich im Unterengadin. Es handelt sich dabei um die Sanierung der Strasse Susch - Scuol. An dieser wurden talseitig die Mauern als Bruchsteinmauern ausgeführt. Diese können höchstenfalls von der gegenüberliegenden Talseite von Fussgängern eingesehen werden.
Das zweite Beispiel ist Serneus - Mezzaselva. Dort werden kilometerlange Bruchsteinmauern erstellt. Es wird eine Betonmauer hochgezogen und mit Natursteinen verblendet. Also auch hier ein riesiger Aufwand, um allenfalls gewissen ästhetischen Regeln zu genügen.
Fragen
1. Kann die Regierung Aussagen machen zu gesetzlichen Verpflichtungen solcher Luxuslösungen?
2. Gibt es festgelegte Kriterien in der Praxis für die Entscheidungsfindung solcher Kunstbauten?
3. Wie hoch sind die Kosten für den gesamten Strassenbau des Kantons, inklusive Anteil Nationalstrassen, die für ästhetische Verschönerungen aufgewendet werden?
4. Ist die Regierung bereit, an oberster Stelle die Wirtschaftlichkeit eines Projektes und nicht die Wünschbarkeit als Zielsetzung zu definieren und welche Massnahmen gedenkt sie zu veranlassen, um diesen Luxusbestrebungen Einhalt zu gebieten?
Chur, 21. März 2012
Zweifel-Disch, Niggli-Mathis (Grüsch), Jaag, Casanova-Maron, Engler, Fontana, Furrer-Cabalzar, Giacomelli, Hartmann (Chur), Heiz, Holzinger-Loretz, Jenny, Koch (Igis), Kunz (Chur), Marti, Meyer-Grass, Michel, Nick, Pfäffli, Righetti, Troncana-Sauer, Waidacher, Wieland, Müller (Haldenstein), Patt
Antwort der Regierung
Was als schön, sinnvoll, notwendig oder luxuriös beurteilt wird, hängt zu einem guten Teil von der subjektiven Wahrnehmung jedes Einzelnen ab. Der Strassenbau stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Tatsächlich ist es zudem so, dass viele frühere und aktuelle Bauten als erhaltenswert bzw. gar als Vorzeigewerke oder Wahrzeichen bekannt sind. Bei diesen Objekten handelt es sich in der Regel nicht um minimal geplante und möglichst kostengünstig materialisierte Bauwerke. Dies trifft zum Beispiel auf Passstrassen (Albula, San Bernardino) oder einzelne Bauwerke (Salginatobelbrücke, Viamala etc.) zu.
Zu den konkreten Fragen äussert sich die Regierung wie folgt:
1. Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz und das kantonale Natur- und Heimatschutzgesetz verpflichten den Kanton, bei der Erfüllung seiner Aufgaben dafür zu sorgen, dass das heimatliche Landschafts- und Ortsbild geschont und, wo das allgemeine Interesse an diesen überwiegt, ungeschmälert erhalten wird. Diese Pflicht gilt unabhängig von der Bedeutung einer Landschaft. Zudem gibt es ein Inventar der historischen Verkehrswege, welches in einzelnen Fällen konkrete Vorgaben macht. Die Erfahrungen - nicht nur im Strassenbau - zeigen, dass sich ein Bauwerk umso besser in die Umgebung einfügt, je mehr natürliche Materialien verwendet werden. Steinverkleidete Elemente treten weniger auffällig in Erscheinung als Sichtbetonelemente. Die Steinverkleidung von Stützmauern dient der besseren landschaftlichen Einpassung von Bauwerken und damit der Erfüllung von bundesrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung von Bauten und Anlagen.
Stützmauern sind ein stark prägendes Element. Sie stellten bereits beim Bau der ersten Kunststrassen anfangs des 19. Jahrhunderts einen unentbehrlichen und bestimmenden Bestandteil des Strassenbaus dar. Sie erlaubten den Bau auch im schwierigen Gelände und wurden zumeist in Trockenbauweise erstellt. Heute wird diese Art von Mauern mehrheitlich als schön sowie als Bereicherung der Landschaft empfunden. Viele Teile des bündnerischen Strassennetzes bilden denn auch Bestandteil des Inventars historischer Verkehrswege. Grundsätzlich besteht die Pflicht, bei Neubauten Stützmauern in ihrer Struktur und ihrem Material wieder an die ursprüngliche Erscheinungsform anzugleichen, was bei den beiden in der Anfrage aufgeführten Beispielen im Unterengadin und im Prättigau der Fall ist. Im Übrigen handelt es sich bei Steinverkleidungen nicht primär um reine Verschönerungen. Sie schützen auch tragende Betonelemente gegen Einflüsse durch die Witterung und Schadstoffe, was sich positiv auf die Lebensdauer dieser exponierten Bauwerke auswirkt.
2. Bereits vor 20 Jahren wurde in der Öffentlichkeit die Frage nach der Ausgestaltung der Stützmaueroberflächen intensiv diskutiert. Damals wurde dem Tiefbauamt angekreidet, die historische Bausubstanz der einzelnen Strassenzüge bei Neubauten zu vernachlässigen. In der Folge beauftragte das Tiefbauamt ein spezialisiertes Ingenieurbüro damit, Regeln für die Ausgestaltung der Stützmauern zusammenzustellen. Dabei wurden neben den technischen und wirtschaftlichen neu auch die ästhetischen und historischen Aspekte berücksichtigt. Diese Regeln dienen seither als Grundlage bei der Projektierung und Ausführung von Stützmauern. Sie haben sich bewährt. Für verschiedene Strassenzüge des kantonalen Strassennetzes bestehen Mauerkonzepte. Betreffend die Steinverkleidung neuer Mauern bildet der historische Ausgangszustand in einem bestimmten Abschnitt eines Strassenzuges ein zentrales Entscheidungskriterium.
3. Konkrete Angaben über die Kosten von Steinverkleidungen im gesamten bündnerischen Kantons- und Nationalstrassennetz können nicht gemacht werden. In jenen Fällen, bei denen die Steinverkleidung gleichzeitig mit der Betonmauer hochgezogen werden kann, fallen im Übrigen aber keine grösseren Differenzkosten an. Auf die Sichtschalung kann verzichtet werden und es kommt ein weniger hochwertiger Beton zum Einsatz.
4. Gemäss einer Studie des Bundes stellen nicht die technischen Normen und die gesetzlichen Vorgaben zum Schutze der Natur und Landschaft die kostentreibenden Faktoren im Strassenbau dar. Vielmehr sind es die gesellschaftlichen Anforderungen an die Strassen. Würde die Regierung an oberster Stelle die Wirtschaftlichkeit eines Projekts berücksichtigen, hätten sämtliche Tunnelumfahrungen und zahlreiche weitere Projekte keine Realisierungschance. Für grössere Brücken wird seitens der betroffenen Regionen, Gemeinden und Bevölkerung vor Ort analog wie bei Hochbauvorhaben oft die Durchführung eines Projektwettbewerbs gefordert, wo die Kosten jeweils nicht das massgebendste Entscheidungskriterium bilden können.
Die Regierung ist weiterhin bestrebt, beim Strassenbau die verschiedenen Anforderungen und Anliegen bei der Interessenabwägung angemessen zu berücksichtigen. Das Tiefbauamt ist seinerseits angewiesen, besonders bei talseitigen, nicht einsehbaren Stützmauern die wirtschaftlichen gegenüber den historisch-ästhetischen Aspekten höher zu gewichten.
29. Juni 2012