Kriege, Konflikte und Perspektivlosigkeit weltweit und insbesondere in unmittelbarer Grenznähe des Schengenraums treiben unzählige Menschen in die Flucht. Gemäss UNHCR sind es über 50 Millionen, so viele wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder afrikanischen Staaten suchen sich in Europa in Sicherheit zu bringen, auch mit lebensgefährlichen Mittelmeerüberfahrten. Angesichts der Feldzüge des menschenverachtenden IS wird die Anzahl Schutzsuchender aus dem Zweistromgebiet noch zunehmen. Die italienische Marine lässt diese Flüchtlinge nicht mehr länger einfach ertrinken, sondern rettet sie. Über 100'000 erreichen so seit Anfang Jahr unser Nachbarland.
Mit dieser Anzahl Menschen stösst das italienische Asylwesen und folglich das starre Dublinsystem an seine Grenzen. Mittlerweile gelangen immer mehr schutzbedürftige Menschen in die Schweiz, 2,7 Prozent von ihnen weist der Bund dem Kanton Graubünden zur Unterbringung und Betreuung zu. Diese wichtige Aufgabe fordert uns heraus.
In einer Medienmitteilung vom 19. Juni vermeldet die Regierung, an der Praxis der kollektiven Unterbringung in kantonalen Zentren festzuhalten. Sie habe sich bewährt. Allerdings herrscht nun akuter Platzmangel in den kantonalen Zentren. Das abgelegene Ausreisezentrum Flüeli wird vorübergehend in ein Transitzentrum umgewandelt, die bisherigen, männlichen Bewohner werden ins oft kritisierte Minimalzentrum Waldau verlegt. Mittels Inseraten sucht der Kanton dringend Liegenschaften, die sich als Kollektivunterkünfte im Asylwesen eignen. Auf Individualunterbringungen beispielsweise von Familien verzichtet er hingegen.
Die Unterzeichnenden der Anfrage möchten angesichts dieser Situation folgendes von der Regierung wissen:
1. Wie lange dauert die provisorische Nutzung des Minimalzentrums Waldau als Ausreisezentrum und der Liegenschaft in Valzeina als Transitzentrum?
2. Wie werden die Hausordnungen dieser Zentren angepasst?
3. Als Sofortmassnahme sieht der Kanton die Unterbringung von Asylsuchenden in Zivilschutzanlagen und militärischen Luftschutzanlagen vor. Wie lange ist eine solche Unterbringung unter Tage für die einzelnen Asylsuchenden zumutbar?
4. Art. 40 der Verordnung zum Einführungsgesetz zur Ausländer- und Asylgesetzgebung besagt, dass das Amt für Migration und Zivilrecht beim Fehlen von genügend Kollektivzentren Personen des Asylbereichs den Gemeinden zur Unterbringung und Verpflegung zuweist. Wann müssen die Gemeinden mit Zuweisungen rechnen?
5. Prüft der Kanton Individualunterbringungen, bevor er die Gemeinden in die Pflicht nimmt?
Chur, 29. August 2014
Perl, Locher Benguerel, Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Deplazes, Gartmann-Albin, Jaag, Monigatti, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pult, Thöny
Antwort der Regierung
1. Die Umnutzung der beiden Zentren wurde als Sofortmassnahme nach dem sprunghaften Anstieg der Zuweisungen des Bundes erforderlich und führte, wie auch die Inbetriebnahme der Reserveliegenschaft "Schiabach" in Davos, zu einer ersten Entschärfung der Unterbringungsproblematik. Sobald die erforderlichen kantonalen Kapazitäten (Inbetriebnahme des TRZ Rustico in Laax und einer weiteren Liegenschaft) vorhanden sein werden und/oder die Zuweisungen wieder abnehmen, werden die nun anderweitig genutzten Asylzentren in Valzeina und Landquart wieder ihrer ursprünglichen Nutzung als Ausreise- beziehungsweise Minimalzentrum zugeführt. Das Amt für Migration und Zivilrecht hat ein grosses Interesse, wieder über die entsprechenden Infrastrukturen (für Nothilfebezüger und für die Sanktionierung von Personen, die in anderen Zentren nicht mehr tragbar sind) zu verfügen.
2. Die einzelnen Hausordnungen wurden entsprechend den neuen temporären Nutzungen und individuellen Bedürfnissen der beiden Objekte angepasst und haben sich bewährt. Bei Bedarf können die Hausordnungen jederzeit auch bei veränderten Bedürfnissen überarbeitet werden. In den letzten Wochen hat sich aber kein diesbezüglicher Anpassungsbedarf gezeigt.
3. Das Amt für Migration und Zivilrecht wird ab 28. Oktober 2014 die militärische Anlage für Luftschutztruppen (ALST) Plankis an der Emserstrasse in Chur als temporäre Notunterkunft für maximal 100 Asylsuchende in Betrieb nehmen. Eine unterirdische Unterbringung ist für eine beschränkte Zeit akzeptabel. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen allerdings jeweils so rasch als möglich, spätestens aber nach zwei Monaten, in ein oberirdisches Transitzentrum verlegt werden (oder in Ausnahmefällen und sofern die Kapazität vorhanden ist, wieder ins Erstaufnahmezentrum Foral in Chur). Im Normalfall sollte es jedoch möglich sein, sie einem Transitzentrum zuzuweisen. Wie lange die ALST Plankis als temporäres Transitzentrum betrieben werden muss, hängt wesentlich von den Zuweisungszahlen und der Verfügbarkeit der neuen geplanten Transitzentren ab. Der zweimonatige maximale Aufenthalt entspricht im Übrigen auch der Praxis des Bundes in temporären Bundeszentren (Sufers, Lukmanier, etc.).
4. Die momentanen und für die nächsten Monate prognostizierten Zuweisungen des Bundes werden mit den angepassten vorhandenen kantonalen Strukturen bewältigt werden können. Das bewährte Konzept der kollektiven Unterbringung von Personen des Asylbereichs wird demnach nicht geändert werden müssen. Der Kanton wird lediglich in ausserordentlichen Ausnahmesituationen von diesem Grundsatz abweichen und Asylsuchende auf die Gemeinden verteilen. Eine solche Situation kann natürlich eintreten, sie ist allerdings zurzeit nicht absehbar und mit den kantonalen Strukturen konnten bereits frühere (teilweise sogar höhere) Schwankungen bewältigt werden.
5. Individualunterbringungen sind möglich. Sie können in extremen Ausnahmefällen zur Bewältigung eines sehr grossen, insbesondere auch kurzfristig auftretenden, Unterbringungsbedarfs in Betracht gezogen werden. Wie unter Ziffer 4 erwähnt, werden Individualunterbringungen aktuell aber nicht erwogen, da die kantonalen Strukturen für den momentanen und prognostizierten Bedarf voraussichtlich genügen.
29. Oktober 2014