Während der Beratung der Totalrevision des Gesetzes über die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung im Kanton Graubünden in der Augustsession 2015 wurde die Frage bezüglich der Rahmenbedingungen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen diskutiert.
In Bezug auf die Industriezone von San Vittore wurde daran erinnert, dass Arbeitsplätze geschaffen wurden und weiterhin geschaffen werden, dass aber aufgrund des freien Personenverkehrs fast alle Stellen mit italienischen Grenzgängern besetzt werden. Daraus folgt, dass nur ein Bruchteil der Stellen mit ortsansässigem Personal besetzt wird.
Die Arbeitgeber beschäftigen somit vor allem Personal aus dem grenznahen Ausland. Die deutlich tieferen Lebenshaltungskosten in Italien erlauben diesen Arbeitnehmern, sich Löhnen anzupassen, welche die Bedürfnisse eines ortsansässigen Arbeitnehmers nicht zu decken vermögen.
Es kann nicht im Interesse der Region und auch nicht des Kantons liegen, Industriezonen zu schaffen und zu entwickeln, in welchen das Arbeitsangebot für die lokale Bevölkerung minimal ist, dies besonders dann, wenn diese mit öffentlichen Geldern unterstützt werden.
Die Unterzeichnenden gelangen demnach mit folgenden Fragen an die Regierung:
1. Welche Vorschriften auf Gesetzesebene, auf Ebene der flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr und auf Ebene der Gesamtarbeitsverträge gelten in Bezug auf die Definition von lokalen Arbeitsbedingungen, in diesem Fall für das Misox?
2. Welche Interventionsmöglichkeiten hat die Regierung, damit durch den Kanton finanziell unterstützte Firmen Personal gemäss den lokalen Anstellungsbedingungen rekrutieren?
3. Welche Kontrollen führen die zuständigen kantonalen Behörden im Misox im Rahmen der Überwachung der Arbeitsbedingungen durch?
4. Welche weiteren Massnahmen und Instrumente kann die Regierung vorschlagen um sicherzustellen, dass den einheimischen Arbeitskräften Stellen zur Verfügung stehen, die den lokalen Anstellungsbedingungen Rechnung tragen?
5. Kann sich die Regierung vorstellen, Firmen finanziell zu unterstützen, welche vorwiegend ortsansässiges Personal einstellen?
Chur, 28. August 2015
Atanes, Noi-Togni, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp, Deplazes, Fasani, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Monigatti, Papa, Pedrini, Perl, Peyer, Pult, Rosa, Thöny, Degiacomi
Antwort der Regierung
Zu Frage 1: Der Vollzug der flankierenden Massnahmen ist im „Bundesgesetz über die Flankierenden Massnahmen bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und über die Kontrollen der in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen Mindestlöhne“ (Entsendegesetz, EntsG; SR 823.20) geregelt. In Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (ave-GAV) gelten die für die jeweilige Branche geregelten Lohn- und Arbeitsbedingungen. In Branchen ohne ave-GAV werden die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen durch das Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt (KIGA) anhand von Untersuchungen in vergleichbaren Betrieben sowie anderen Hilfsinstrumenten, wie etwa das Zürcher Lohnbuch oder der Internetlohnrechner, festgestellt. Die Lohnniveaus sind regional teilweise sehr unterschiedlich. Für den Vollzug von ave-GAV sind die Paritätischen Berufskommissionen zuständig. In Branchen ohne ave-GAV obliegt der Vollzug den kantonalen Tripartiten Kommissionen. In Graubünden, wie in vielen anderen Kantonen, hat die Tripartite Kommission die Vollzugsaufgabe dem KIGA delegiert. Diese Grundlagen gelten auch im Misox, es gibt keine weiteren, lokal geltenden Bestimmungen.
Zu Frage 2: Die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen sind einzuhalten, unabhängig davon, ob ein Betrieb vom Kanton unterstützt wird. Wenn festgestellt wird, dass in einzelnen Branchen ohne ave-GAV die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen wiederholt und in missbräuchlicher Weise unterboten werden, kann die Regierung auf Antrag der Tripartiten Kommission, gestützt auf Art. 360 a OR, im Rahmen eines Normalarbeitsvertrages zwingende Mindestlöhne festlegen, welche von den kantonalen Behörden durchgesetzt werden.
Ein solches Verfahren hat sich bis jetzt im Kanton Graubünden nie aufgedrängt. Im Falle von festgestellten Verletzungen der orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen haben sich die Unternehmen im Rahmen des Verständigungsverfahrens bis anhin immer bereit erklärt, entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
Zu Frage 3: Das KIGA überprüft im Misox, wie in allen anderen Kantonsteilen, die Einhaltung der orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen im Rahmen von Kontrollen.
Zu Frage 4: Grundsätzlich gilt der freie Personenverkehr, d.h. die Gleichberechtigung von Schweizern und EU/EFTA-Staatsangehörigen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Inländervorrang gilt nur noch gegenüber Drittstaatsangehörigen sowie Arbeitskräften aus Rumänien und Bulgarien. Falls bei der Ansiedlung von neuen Betrieben Unterstützungsleistungen seitens des Kantons erbracht werden, verlangt das Amt für Wirtschaft und Tourismus in Koordination mit der Steuerverwaltung und nach Rücksprache mit dem KIGA, dass ein bestimmter Anteil an einheimischen Arbeitskräften beschäftigt wird (Praxis seit 2014). Die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen müssen eingehalten werden, unabhängig davon, ob einheimische oder ausländische Arbeitskräfte beschäftigt werden.
Zu Frage 5: Teilweise unter Ziffer 4 beantwortet. Eine Subventionierung von Betrieben ausschliesslich aufgrund der Beschäftigung von einheimischen Arbeitskräften ist sowohl aus rechtlichen wie aus arbeitsmarktpolitischen Gründen abzulehnen. Eine subventionierte Inländerbevorzugung ist mit den bilateralen Verträgen nicht vereinbar. Die arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen und Probleme, welche eine solche Subventionierung zur Folge hätte, dürften allfällige Vorteile bei Weitem überwiegen.
22. Oktober 2015