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Session: 09.12.2015
Es ist hinlänglich bekannt, dass aufgrund des demografischen Wandels dem Arbeitsmarkt je länger je mehr qualifizierte Fachkräfte fehlen. In Graubünden geht beispielsweise die Zahl der abgeschlossenen Lehrverhältnisse bereits seit 2008 zurück. Ein Blick ins Geburtenregister zeigt zudem, dass die Geburtenzahlen zwischen 1992 und 2005 um ganze 37% zurückgegangen sind. Bereits heute bleiben in Bündner Ausbildungsbetrieben viele Lehrstellen unbesetzt. In einigen Branchen wie beispielsweise im Bildungs- und Gesundheitswesen spricht man bereits von einem Fachkräftemangel. Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft SECO werden dem Arbeitsmarkt noch bis zirka 2050 zunehmend weitere qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Es zählt als negative Folgen auf:
• „auf nationaler Ebene die Produktivität unserer Volkswirtschaft und unsere Sozialwerke
• auf Unternehmensebene die Rekrutierung und den Erhalt gut qualifizierter Arbeitskräfte und
• auf individueller Ebene die Flexibilität und Arbeitsmarktfähigkeit.“

Bisher wurden die Folgen des demografischen Wandels weitgehend durch Einwanderung von Fachkräften aus dem europäischen Raum gemindert. Dies reichte jedoch nicht in allen Branchen zur Kompensation und es zeigt sich, dass die Offenheit der Schweizer Stimmbevölkerung gegenüber dieser Einwanderung nicht unbegrenzt ist.

Graubünden steht damit in einem sich künftig noch weiter verstärkenden Kampf um Talente. Ein vielversprechender Erfolgsansatz dürfte es sein, für Rahmenbedingungen zu sorgen, welche gut qualifizierte inländische Arbeitskräfte motivieren am Erwerbsprozess teilzunehmen. Viele gut ausgebildete Frauen und Männer mit Familienpflichten finden solche Bedingungen nicht vor. Es lohnt sich beispielsweise schlicht nicht zu arbeiten oder ihr Erwerbspensum auszubauen oder sie finden während der Schulferien keine Kinderbetreuungsangebote.

Die Fachkräfteinitiative vom Bund und von der KdK (Konferenz der Kantone) beinhaltet u.a. als Schwerpunkt die Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele Kantone setzen die empfohlenen Massnahmen um oder gehen wie Basel (familienfreundlicher Wirtschaftraum) oder Luzern noch einen Schritt weiter. Die Kantone Zürich und Basel machten zudem Studien und beschlossen beispielsweise Massnahmen zur Beseitigung von Fehlanreizen bei den Steuern, den bedarfsabhängigen Sozialleistungen sowie den Tarifsystemen der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung. Im Kanton Bern beispielsweise wird die Kinderbetreuung zu 80% vom Kanton subventioniert. Im Kanton Graubünden werden demgegenüber rund 60% der Gesamtkosten in der Kinderbetreuung von den Eltern über die Tarife finanziert.

Graubünden verfügt als Wirtschaftsstandort über Nachteile gegenüber anderen Schweizer Wirtschaftsräumen. Nur wenn Graubünden im Standortwettbewerb um Talente mit Familienpflichten ganz vorne mitmischt, haben wir eine Chance unserer Wirtschaft diejenigen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt um nachhaltig erfolgreich zu sein.

Die Regierung wird beauftragt ein Massnahmenpaket zu erarbeiten, welches die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Graubünden griffig fördert, sodass Graubünden im interkantonalen Vergleich diesbezüglich über herausragende Bedingungen verfügt.

Chur, 9. Dezember 2015

Degiacomi, Stiffler (Chur), Casty, Atanes, Baselgia-Brunner, Blumenthal, Bucher-Brini, Caduff, Cahenzli-Philipp, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Darms-Landolt, Deplazes, Gartmann-Albin, Jaag, Joos, Locher Benguerel, Monigatti, Niederer, Noi-Togni, Perl, Peyer, Pfenninger, Pult, Steck-Rauch, Tenchio, Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett (Breil), von Ballmoos, Widmer-Spreiter

Antwort der Regierung

Das Bewusstsein um einen drohenden Mangel an Fachkräften ist in Wirtschaft und Politik seit langem vorhanden. Der Grosse Rat hat bereits 2003 ein Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung erlassen. Schon damals war ersichtlich, dass aufgrund des demografischen Wandels die Zahl der verfügbaren Fachkräfte sinken wird.

2007 wurden im Rahmen des Familienberichts Graubünden (Botschaft Heft Nr. 15 2006–2007) verschiedene familienpolitische Massnahmen dargelegt und priorisiert (z.B. Erhöhung des Beitragssatzes für familienergänzende Kinderbetreuung, Berechnung der Normkosten, Vorgaben Tarifgestaltung, Einführung Blockunterricht, Tagesstrukturangebote, Betreuung während Randzeiten, steuerliche Entlastungen etc.). Soweit sie im Zuständigkeitsbereich des Kantons liegen, wurden sie umgesetzt. Im Bereich der Steuern wurden z.B. die Kinderabzüge massiv erhöht (2006: Fr. 2400, heute Fr. 6000 im Vorschulalter, Fr. 9000 für minderjährige Kinder oder Kinder in Ausbildung bzw. Fr. 18 000 für Kinder in auswärtiger Ausbildung). Zudem wurde ein Kinderbetreuungsabzug eingeführt: für Kinder bis zum Erreichen des 14. Altersjahres können Drittbetreuungskosten bis Fr. 10 000 abgezogen werden. Bei den Ehegatten wird durch das sog. Teilsplitting verhindert, dass gegenüber den Konkubinatspaaren eine höhere Steuerbelastung resultiert. Eine deutliche Erweiterung erfuhr das Betreuungsangebot für schulpflichtige Kinder ab dem Schuljahr 2013/14 aufgrund des totalrevidierten Schulgesetzes, das neu den Blockunterricht sowie Tagesstrukturen zur Betreuung einführte. Im Schuljahr 2014/2015 wurden von 54 Schulträgerschaften rund 225 971 Betreuungseinheiten erbracht. Diese umfassen Vor-, Mittags- und Nachmittagsbetreuung. Dafür erbrachte der Kanton Beiträge von 582 971 Franken. In Zusammenarbeit mit den anerkannten Anbietern legen die Gemeinden den Bedarf an familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten fest. Die Beteiligung des Kantons und der Gemeinden beträgt 30 Prozent bis 50 Prozent der Normkosten. Die Regierung legt die Höhe der Normkosten und die Höhe des Beitragssatzes fest. Die Wohnsitzgemeinde hat sich mindestens im gleichen Umfang zu beteiligen wie der Kanton. Dies hat einen Ausbau von 180 Plätzen im Jahr 2004 auf 703 Plätze im Jahr 2015 ermöglicht.

Der Bund hat 2011 eine Fachkräfteinitiative lanciert, in dessen Rahmen der Bundesrat 2013 ein Massnahmenpaket guthiess. Neben der im Auftrag fokussierten Thematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf definiert dieses drei weitere Aktionsfelder: Die Höherqualifizierung, die Erwerbstätigkeit von älteren Arbeitnehmenden und die Förderung von Innovationen. Brachliegende Potenziale zur Behebung des Fachkräftemangels und der besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials werden nicht nur bei Frauen sondern auch bei Jugendlichen, Älteren und Menschen mit Behinderung geortet. Der Kanton unterstützt diese Initiative, indem er Personen mit Berufserfahrung ohne beruflichen Erstabschluss ermöglicht, sich ausserhalb der regulären Ausbildungswege beruflich zu qualifizieren. Er trägt auch einen wesentlichen Teil der Kosten dieser Nachqualifizierungen. Der Bund unterstützt zudem die Schaffung neuer Angebote durch die Finanzhilfen für familien- und schulergänzende Kinderbetreuung. Diese laufen voraussichtlich im Jahre 2019 aus. Der Bund plant, im Rahmen einer befristeten Gesetzesgrundlage Anreize zu schaffen, dass Kantone, Gemeinden und allenfalls Arbeitgeber mehr in die familienergänzende Kinderbetreuung investieren, um so die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu fördern. Die Regierung begrüsst in ihrer Vernehmlassungsantwort grundsätzlich den Vorschlag des Bundesrates. Sie ist jedoch der Ansicht, dass eine befristete Anreizfinanzierung keine nachhaltige Wirkung entfalten kann. Daher sollte sich der Bund weiterhin mit einem fixen Beitragssatz an den Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung beteiligen.

Die Regierung anerkennt die Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie den erleichterten Wiedereinstieg ins Berufsleben, insbesondere aus Gründen der Standortattraktivität als Wohn-, Arbeits- und Lebensraum und des Bedarfs an qualifiziertem Fachpersonal. Ein separates Massnahmenpaket ist aus Sicht der Regierung nicht notwendig, Verbesserungen sollen punktuell erfolgen. Das Regierungsprogramm 2017-2020 enthält einen Entwicklungsschwerpunkt der vorsieht, die Angebotssubventionierung im Bereich familienergänzende Kinderbetreuung zu prüfen und für den Zeitpunkt des allfälligen Wegfalls der Bundessubventionen ab 2019 die Handlungsnotwendigkeit und die Handlungsoptionen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung zu definieren. Angesichts der beschränkt zur Verfügung stehenden kantonalen Mittel soll nach Ansicht der Regierung deren Einsatz fokussiert auf einen weiteren Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung, nach Massgabe der Bedarfsanerkennung durch die Gemeinden erfolgen. Sie sieht zudem dort Verbesserungsbedarf in der Kinderbetreuung, wo die Erwerbskompatibilität der Betreuungsangebote eingeschränkt ist. Dies betrifft insbesondere die fehlende Betreuung während der Schulferien und die Bedarfsabhängigkeit der Tagesstrukturangebote gemäss Schulgesetz.

Die Regierung ist gewillt, auch künftig die kantonalen Massnahmen auf jene des Bundes abzustimmen. Auf die Ausarbeitung eines separaten kantonalen Massnahmenpakets ist zu verzichten. Die Regierung beantragt daher dem Grossen Rat die Ablehnung des vorliegenden Auftrages.

03. März 2016