Navigation

Inhaltsbereich

Session: 06.12.2017

Die Erkenntnisse aus der Aufarbeitung des Kapitels „Zwangsmassnahmen“ zeigen erschütternde sowie einschneidende Erlebnisse auf, welche die betroffenen Kinder und Jugendlichen in der damaligen Zeit ertragen mussten. Etliche Betroffene befinden sich auch heute noch im sog. Verarbeitungsprozess. Ein wichtiges Ziel ist deshalb, dass sich solche „Zwangsmassnahmen“ (wie zur damaligen Zeit) nicht wiederholen und die jeweiligen Behörden und Institutionen frühzeitig und dem Kindeswohl entsprechend reagieren und entscheiden. Denn heute wie damals haben sich die Gründe für eine familiäre Unterstützung, bis hin zu einer Einweisung in eine Institution, nicht wesentlich verändert. Auch heute gibt es Begebenheiten, in denen aus Kindesschutz- und Kindeswohlgründen, ein Zwangskontext entsteht.

In diesem Zusammenhang stellen die Mitunterzeichnenden der Regierung folgende Fragen:

1. Wie wird gewährleistet, dass Kinder und Jugendliche sowie deren Familien, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Massnahme erhalten?

2. Findet eine differenzierte Abklärung bei einer Massnahme statt und stehen dafür genügend Ressourcen zur Verfügung?

3. Stehen genügend Ressourcen zur Verfügung, um diese Massnahmen auch zu begleiten?

4. Wie wird die Qualität der Angebote im nieder- und hochschwelligen Bereich (ambulant und stationär) in der Kinder- und Jugendhilfe gewährleistet?

5. Wie ist die Haltung der Regierung betreffend einem Kinder- und Jugendhilfegesetz (Beispiel Kanton Zürich), welches die Rahmenbedingungen für die gesamten „ergänzenden Hilfen zur Erziehung“ festlegt?

Chur, 6. Dezember 2017

Bucher-Brini, Locher Benguerel, Casty, Atanes, Baselgia-Brunner, Brandenburger, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Clalüna, Deplazes, Dermont, Felix (Scuol), Geisseler, Gunzinger, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jaag, Joos, Märchy-Caduff, Marti, Monigatti, Niederer, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Perl, Peyer, Pfenninger, Pult, Stiffler (Chur), Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), von Ballmoos, Widmer-Spreiter, Antognini, Engler (Surava), Pfister, Wellig

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Ist das Kindeswohl gefährdet und schaffen die Eltern nicht ausreichend für Abhilfe, kann sich jede Person an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) wenden. Die Interdisziplinarität der KESB bietet Gewähr, dass die Gefährdungssituation aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert und beurteilt wird. Zu diesem Zweck pflegen die KESB einen regelmässigen Austausch mit anderen Fachbehörden. Die KESB legen grossen Wert auf eine umfassende Orientierung und Erklärung der von ihnen verfügten Massnahmen (z.B. mündliche Eröffnung von Entscheiden), hängt doch der Erfolg einer Massnahme wesentlich von der Kooperationsbereitschaft der Eltern und der Kinder sowie der Jugendlichen ab.

Zu Frage 2: Dank der seit anfangs 2013 eingesetzten interdisziplinär zusammengesetzten KESB und ihrem engen Kontakt mit den Abklärungsdiensten erfolgt stets eine differenzierte Abklärung. Die KESB sind dabei dem Untersuchungsgrundsatz verpflichtet. Je komplexer die Gefährdungssituation, umso grösser gestaltet sich in der Regel der Abklärungsaufwand. Eine gänzlich fehlende Kooperationsbereitschaft der betroffenen Eltern sowie des Kindes oder des Jugendlichen wirkt sich ebenfalls erschwerend auf die Arbeit der KESB aus.
Grundsätzlich stehen der KESB für ihre Abklärungen genügend personelle Ressourcen zur Verfügung. Aufwendige Kindesschutzabklärungen können während einer gewissen Zeit den Ressourcenbedarf in die Höhe schnellen lassen, was zu vorübergehenden personellen Engpässen führen kann.

Zu Frage 3: In den Fällen, bei denen das Abklärungsverfahren abgeschlossen und eine Massnahme verfügt wurde, kann die periodische Kontrolle und allenfalls Prüfung, ob eine Anpassung der Massnahme notwendig ist, mit den vorhandenen Ressourcen der KESB bewältigt werden. Im Vollzug der Massnahme sind dann oftmals die Beistandspersonen gefordert. Bei mehreren komplexen Mandaten im Kindesschutz steigt deren Ressourcenbedarf. Hier sind die regionalen Trägerschaften gefordert und in der Pflicht, die entsprechend notwendigen Ressourcen bereitzustellen.

Zu Frage 4: Zur Gewährleistung der Qualität besteht für Kinder- und Jugendheime, Pflegefamilien, Familienplatzierungsorganisationen und Angebote zur familienergänzenden Kinderbetreuung eine Bewilligungspflicht. Zusätzlich erfolgt mindestens alle zwei Jahre ein Aufsichtsbesuch in diesen Institutionen.
Die involvierten Stellen (z.B. Beistandspersonen, Institutionen) haben bei Massnahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes die Pflicht, der KESB periodisch und bei veränderten Verhältnissen sofort Bericht zu erstatten. Zudem sind in hochschwelligen Situationen oftmals mehrere Fachpersonen involviert, die sich gegenseitig austauschen. Dank diesen verschiedenen Kontrollmöglichkeiten kann sich die KESB ein gutes Bild über den Verlauf der Massnahmen und die Qualität der jeweiligen Angebote machen und bei Bedarf zeitnah einschreiten.

Zu Frage 5: Die Regierung erachtet ein Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht als notwendig, da im Kanton Graubünden die in der Anfrage enthaltene Regelung des Kantons Zürich in den einschlägigen Gesetzen (insbesondere im Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [EGzZGB; BR 210.100], Pflegekindergesetz [BR 219.050] und Schulgesetz [BR 421.000]) enthalten ist. Zur Umsetzung der dem Kanton in Art. 317 ZGB übertragenen Aufgabe, durch geeignete Vorschriften die zweckmässige Zusammenarbeit der Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindesschutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe zu sichern, hat die Regierung am 15. August 2006 die Verordnung über die Zusammenarbeit und Koordination in der Jugendhilfe (BR 219.210) erlassen. Gemäss dieser Verordnung wählt das Departement für Volkswirtschaft und Soziales eine Fachkommission, welche die Regierung in Bezug auf aktuelle Bedürfnisse und Angebote sowie notwendige Verbesserungen im Kindesschutz berät. Ausserdem fördert die Kommission die interdisziplinäre Zusammenarbeit der im "Netzwerk Kinderschutz Graubünden" zusammengeschlossenen Institutionen.

07. März 2018