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Session: 14.06.2019

Der 23. August 2017 und die darauffolgenden Tage werden aufgrund der verheerenden Folgen des Bergsturzes am Piz Cengalo und der Murgänge, welche die Valle Bondasca und Teile der Dörfer Bondo, Spino und Sottoponte verwüstet haben, in die Geschichte des Bergells und des Kantons Graubünden eingehen. Der Bergsturz forderte acht Menschenleben, bedeckte und veränderte die Landschaft der Val Bondasca und des Bergells in der Nähe von Bondo und führte zur Zerstörung und zum Verlust zahlreicher Gebäude, wobei die Schäden von der Gebäudeversicherung Graubünden bewertet und zeitnah entschädigt wurden.

Aus einer eingehenden Analyse der Funktionsweise des Versicherungssystems im Fall von Bondo ergibt sich jedenfalls die Notwendigkeit, die von der Gebäudeversicherung Graubünden angewandte Praxis anzupassen, wobei auch den bedeutenden und einschneidenden, in den letzten Jahren in der Raumplanung erfolgten Veränderungen Rechnung getragen werden soll.

Die Einführung des Zweitwohnungsgesetzes sowie die bedeutenden Änderungen im Raumplanungsgesetz sehen neue Auflagen hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes über die Gebäudeversicherung vor und schränken de facto die Interventionsmöglichkeiten ein.

Derzeit sieht das Gesetz vor, dass der Versicherte Anrecht auf Entschädigung zum Zeitwert hat, sofern sein Gebäude einen Totalschaden erlitten hat. Unter bestimmten Bedingungen hat dieser ausserdem die Möglichkeit, die Entschädigung zum Neuwert zu erhalten, falls er innerhalb einer bestimmten Frist in Graubünden ein neues Gebäude ähnlicher Grösse und mit dem selben Zweck wieder aufbaut. Bei Erwerb eines bestehenden Gebäudes erhält er bisher als Entschädigung nur den Zeitwert, unabhängig davon, ob er in das erworbene Gebäude einen höheren Betrag investiert. Im Lichte der neuen Ausrichtung der Raumplanung, welche auf die Reduktion oder auf die Umverteilung der Bauzonen, auf die Siedlungsentwicklung nach Innen und auf die Verdichtung der bestehenden Siedlungen abzielt, wie auch unter Berücksichtigung der gewünschten Belebung der Dorfkerne ist diese Ausnahme unlogisch und widersprüchlich. Die neue Zweitwohnungsgesetzgebung sieht ausserdem für Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent zusätzliche Einschränkungen vor, wie die Pflicht, für neue Gebäude eine Nutzung als Erstwohnung vorzuschreiben. Dem Eigentümer einer Zweitwohnung untersagt sie sogar den Wiederaufbau des eigenen Gebäudes, da der Bau neuer Zweitwohnungen nicht zulässig ist.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen fordern die Unterzeichnenden die Regierung auf, die Entschädigungspraxis zum Neuwert eines Gebäudes – falls nötig durch eine Gesetzesänderung – anzupassen, damit sämtliche geschädigte Gebäudeeigentümer davon profitieren können und die neu eingeführten Bedingungen (Raumplanungsgesetz, Zweitwohnungsgesetz) diese nicht zusätzlich benachteiligen, respektive damit ein aus Sicht der Raumplanungspolitik erwünschtes Verhalten der Gebäudeeigentümer nicht bestraft wird (z. B. Erwerb und Umbau eines bestehenden Gebäudes in einem Dorfkern). Im Besonderen wird Folgendes gefordert:

1. Die Entschädigung zum Neuwert eines Gebäudes soll unter vollständiger Beachtung der gesetzlich vorgesehenen Grundsätze auch beim Erwerb und beim Umbau oder bei der Umwandlung eines bestehenden Gebäudes gewährt werden können.

2. Es soll eine Ausnahmeklausel für jene Geschädigten geschaffen werden, welche aufgrund eines Totalschadens in der Gefahrenzone 1 (rot) das Gebäude nicht am selben Ort wieder aufbauen dürfen. Im Idealfall sollten diese ein Gebäude wieder aufbauen dürfen, ohne an Auflagen gebunden zu sein, oder bestehende Gebäude erwerben und dabei die Differenz zwischen Zeitwert und Neuwert für wertsteigernde Investitionen verwenden können.

3. Das Recht auf Entschädigung sowie die vorstehenden Forderungen sollen auch für jene Gebäude gelten, welche das zerstörerische Ereignis nicht materiell beschädigt hat, sofern diese aus Sicherheitsgründen langfristig unzugänglich und nicht nutzbar sind.

Pontresina, 14. Juni 2019

Michael (Castasegna), Crameri, Alig, Atanes, Berther, Berweger, Bondolfi, Cahenzli-Philipp, Caluori, Casutt-Derungs, Cavegn, Caviezel (Davos Clavadel), Censi, Clalüna, Claus, Della Cà, Derungs, Ellemunter, Engler, Fasani, Felix, Flütsch, Gasser, Giacomelli, Gugelmann, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Hug, Jenny, Jochum, Kasper, Kienz, Koch, Kohler, Kunfermann, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Kuoni, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Donat), Mittner, Natter, Niggli (Samedan), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Pfäffli, Rüegg, Salis, Sax, Schmid, Schwärzel, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Waidacher, Weidmann, Wellig, Wieland, Zanetti (Sent)

Antwort der Regierung

Aufgrund des Bergsturzes am Piz Cengalo am 23. August 2017 und der nachfolgenden Murgänge entstanden an rund 100 Gebäuden Schäden. Von den beschädigten Gebäuden waren 90 als Teilschäden und zehn als Totalschäden zu qualifizieren. Die Teilschäden wurden von der Gebäudeversicherung Graubünden (GVG) umgehend nach der erfolgten Reparatur zum Neuwert, also zu aktuellen Rechnungsbeträgen der Handwerker, entschädigt. Den Eigentümern der zehn Totalschäden wurde innert fünf Monaten der Zeitwert ausbezahlt. Als Basis für den ausbezahlten Zeitwert dient die amtliche Gebäudebewertung vor dem Schadenszeitpunkt. Entscheiden sich die Geschädigten, das Gebäude am gleichen Ort oder irgendwo im Kanton in ähnlichem Umfang (mindestens 75 Prozent der Kubatur des vormaligen Gebäudes) und gleichem Zweck, wieder aufzubauen, wird die Differenz Zeitwert - Neuwert (Versicherungswert) entschädigt.

Die im Bergell angewandte Entschädigungspraxis erfolgt gestützt auf Art. 36 in Verbindung mit Art. 37 des Gesetzes über die Gebäudeversicherung im Kanton Graubünden (Gebäudeversicherungsgesetz, GebVG; BR 830.100). Entsprechend hat die GVG bisher bei einer Wiederherstellung des Gebäudes am selben oder einem anderen Ort im Kanton den Zeitwert respektiv maximal den Neuwert entschädigt. Beim Erwerb einer bestehenden Liegenschaft oder bei Nichtwiederaufbau wird gestützt auf diese Bestimmungen maximal der Zeitwert des totalbeschädigten Gebäudes entschädigt.

Der Antrag will, dass die Entschädigung zum Neuwert eines Gebäudes unter vollständiger Beachtung der gesetzlich vorgesehenen Grundsätze auch beim Erwerb und beim Umbau oder bei der Umwandlung eines bestehenden Gebäudes gewährt wird. Dazu soll eine Ausnahmeklausel geschaffen werden, die es denjenigen Geschädigten, welche aufgrund eines Totalschadens in der Gefahrenzone 1 (rot) das Gebäude nicht am selben Ort wieder aufbauen dürfen, gestattet, ein Gebäude wieder aufbauen zu dürfen, ohne an Auflagen gebunden zu sein, oder bestehende Gebäude erwerben und dabei die Differenz zwischen Zeitwert und Neuwert für wertsteigernde Investitionen verwenden zu können. Ausserdem soll das Recht auf Entschädigung sowie die vorstehenden Forderungen auch für jene Gebäude gelten, welche das zerstörerische Ereignis nicht materiell beschädigt hat, diese aus Sicherheitsgründen aber langfristig unzugänglich und nicht nutzbar sind.

Der im Antrag erwähnte Fall, in dem ein Totalschaden eines Gebäudes vorliegt, das zerstörte Gebäude in der roten Gefahrenzone liegt und deshalb nicht mehr am gleichen Ort aufgebaut werden kann und zugleich der Geschädigte ein vergleichbares bestehendes Gebäude oder eine Wohnung erwerben, aber nicht neu bauen will, ist selten. Ausserdem statuiert das Gebäudeversicherungsgesetz ein Bereicherungsverbot der Geschädigten (Art. 35 Abs. 1 GebVG). Das bedeutet, dass die Gebäudeversicherung im Einzelfall zu prüfen hat, wie hoch die anteilsmässige Differenz zwischen Versicherungswert und Zeitwert ist. Für den gleichwertigen Ersatz können wertvermehrende Investitionen und die Zeitwertdifferenz geltend gemacht werden. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist die finanzielle Last für die Gebäudeversicherung, welche sich einzig auf die anteilsmässige Differenz zwischen Versicherungswert des zerstörten Gebäudes in der roten Gefahrenzone und dem Zeitwert des Ersatzgebäudes zuzüglich allfälliger wertvermehrender Investitionen beschränkt, gering. Die maximale Entschädigung kann den Versicherungswert des zerstörten Gebäudes nicht übersteigen und ist somit maximal so hoch wie bei einem Neubauersatz. Entsprechend spricht aus versicherungsrechtlicher Sicht nichts dagegen, der Forderung des Antrags zu entsprechen. Dasselbe kann auch unter dem raumplanerischen Aspekt gesagt werden. Allerdings ist der Kanton an die bundesrechtlichen Vorgaben in Bezug auf den Zweitwohnungsbau gebunden. Zudem wäre ein Absehen von Auflagen, insbesondere wo es um entsprechende Gefahrenzonen geht, weder im Sinne der Geschädigten noch der Versicherung.

Physisch unversehrte Gebäude, die langjährig wegen Elementarschadengefährdung unbewohnbar bleiben, werden nach deren Abbruch von der Gebäudeversicherung schon unter geltendem Recht entschädigt.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag betreffend Punkt 1 zu überweisen, betreffend den Punkt 3 abzulehnen und betreffend den Punkt 2 wie folgt abzuändern: Es soll eine Ausnahmeklausel für jene Geschädigten geschaffen werden, welche aufgrund eines Totalschadens in der Gefahrenzone 1 (rot) das Gebäude nicht am selben Ort wieder aufbauen dürfen. Im Idealfall sollten diese ein Gebäude wieder aufbauen dürfen oder bestehende Gebäude erwerben. Der Zeitwert der Ersatzliegenschaft zusätzlich allfälliger wertvermehrender Investitionen dürfen die Versicherungssumme des zerstörten Gebäudes nicht übersteigen.

21. August 2019