Die deutliche Zunahme der Anmeldungen beziehungsweise Zuweisungen von Kindern und Jugendlichen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in der Grössenordnung von 20 bis 30 Prozent (genaue Zahlen dazu liegen nicht vor) stellt die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) aber auch die selbstständig tätigen Fachpersonen im Bereich der Psychologie, Psychotherapie sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie (FBPPKJ) vor grosse Herausforderungen.
Die Wartefrist für ambulante Behandlungen hat nicht zuletzt aufgrund eines dramatischen Anstiegs der Fallzahlen im vergangenen Winter von ca. sechs bis acht auf acht bis zwölf Wochen zugenommen, wobei Notfälle, insbesondere von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR, noch am gleichen Tag zu einer Konsultation eingeladen werden. Die Bündner Vereinigung für Psychotherapie weist darauf hin, dass der Zunahme der Nachfrage eine konstant gebliebene Anzahl an FBPPKJ gegenübersteht, wobei ein Teil altershalber vor der Aufgabe der Berufstätigkeit steht und Nachfolgerinnen und Nachfolger nur beschränkt in Aussicht stehen. Die selbstständig tätigen FBPPKJ sehen sich gemäss der Bündner Vereinigung für Psychotherapie aufgrund ihrer nicht ausreichenden Kapazitäten häufig gezwungen, Kinder und Jugendliche der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR zuzuweisen. Als Grund für den fehlenden Nachwuchs an selbstständig tätigen FBPPKJ sieht die Bündner Vereinigung für Psychotherapie insbesondere die deutlich unterdurchschnittliche Tarifierung ihrer Leistungen.
Zugenommen haben auch die Wartefristen für stationäre Behandlungen, wenn auch deutlich nicht so stark wie im ambulanten Bereich. Sie können aktuell eine Woche bis zwei Monate betragen. Dies ist auch abhängig vom Ort der Behandlung. Kinder und Jugendliche, die einer Behandlung im geschlossenen Rahmen bedürfen, werden der Klinik Littenheid zugewiesen. Kinder und Jugendliche, die auf einer offenen Station behandelt werden können, können grundsätzlich im Kanton behandelt werden: Jugendliche ab zwölf Jahren in der Jugendstation der PDGR, Kinder bis zwölf Jahre je nach Diagnose in der Kinderklinik des Kantonsspitals Graubünden, wobei sie von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR konsiliarisch betreut werden, ansonsten ebenfalls in der Klinik Littenheid. Notfälle von Jugendlichen, das heisst Fälle, bei denen eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, werden, sofern medizinisch möglich, in der Notfallstation der Erwachsenenpsychiatrie im Waldhaus behandelt.
Bei den Wartezeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie handelt es sich um ein gesamtschweizerisches Problem, das nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie besteht, sondern sich bereits in den Jahren zuvor akzentuiert hat. Durch die Corona-Pandemie wird das in Fachkreisen bekannte Problem vermehrt in der Öffentlichkeit thematisiert.
Zu Frage 1: Wartefristen sind für die Behandlung von psychischen Erkrankungen grundsätzlich schlecht, da dadurch häufig die Symptomatik fortschreitet. Je früher und schneller eine Behandlung erfolgt, desto kürzer und erfolgreicher ist der Genesungsprozess, wobei es je nach Indikation unterschiedlich vertretbare Wartefristen für eine ambulante oder stationäre therapeutische Behandlung gibt. Die eingehenden Anmeldungen werden entsprechend von Fachexperten der Kinder- und Jugendpsychiatrie nach Ausgangsszenarien, die die Dringlichkeit der Behandlung definieren, triagiert.
Zu Frage 2: Um die Wartezeiten im stationären Bereich für Jugendliche zu verkürzen, haben die PDGR beschlossen, bis zur Inbetriebnahme des Neubaus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR (voraussichtlich zweites Quartal 2025) eine geschlossene Station mit fünf Betten für Jugendliche im Personalhaus der Klinik Waldhaus zu errichten. Dadurch kann die Behandlung von Notfällen von Jugendlichen räumlich vom Erwachsenenbereich getrennt werden. Als weitere Massnahme zur Verkürzung der Wartezeiten für ambulante Behandlungen haben die PDGR die Prozesse den aktuellen Gegebenheiten angepasst. So wurde, soweit vertretbar, die Behandlungsdauer laufender Therapien zugunsten der Behandlungsaufnahme neuer Anmeldungen verkürzt. Zudem wurden je zwei neue Stellen für Psychologinnen und Psychologen und für Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater geschaffen.
Die selbstständig tätigen FBPPKJ haben als Beitrag zur Bewältigung der Nachfrage teilweise ihre Arbeitspensen erhöht.
Der Kanton leistet im laufenden Jahr den PDGR für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen einen Beitrag von 3.1 Mio. Franken, davon 1.35 Mio. Franken für die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Regierung ist bereit, eine Erhöhung dieses Beitrags zu prüfen, sollte dieser Betrag zur Deckung der Aufwendungen der PDGR für die notwendigen gemeinwirtschaftlichen Leistungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht ausreichen.
Zu Frage 3: Für die aktuellen Wartezeiten dürften im Wesentlichen die mit dem Andauern der Corona-Pandemie einhergehenden Einschränkungen gestiegenen psychischen Belastungen der Kinder und Jugendlichen verantwortlich sein, wobei es dazu noch keine aussagekräftigen Studien gibt.
1. September 2021