«Im einzigen dreisprachigen Kanton der Schweiz sprechen 73 % der Bevölkerung Deutsch, 14 % Rätoromanisch, 13 % Italienisch. Die Mehrsprachigkeit lebt auch in den Schulen und der Verwaltung […]».
Der letzte Satz dieses Zitats, das auf der offiziellen Website des Kantons Graubünden unter der Überschrift «Einziger dreisprachiger Kanton» zu finden ist (siehe https://www.gr.ch/DE/kanton/Seiten/Ueberblick.aspx), hat auf kantonaler Ebene leider nur deklamatorischen Charakter: Das zeigt sich zum Beispiel an der Regierung, die seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Vertreter italienischer Muttersprache hat und noch mindestens vier Jahre lang keinen haben wird.
Die Bedeutung einer Regierung, die alle Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrer Amtssprache anspricht, ist keine Laune, sondern eine Notwendigkeit, deren zentrale Bedeutung im Februar 2020 mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie eindringlich deutlich wurde: Viele italienischsprachige Bündnerinnen und Bündner hören noch das ohrenbetäubende Echo der ersten Live-Pressekonferenz einer Regierung, die nur auf Deutsch sprach, ohne auch nur ein Minimum an Übersetzung ins Italienische. Dies trug sicherlich nicht dazu bei, die Botschaften der Nähe und der Beruhigung zu vermitteln, welche die italienischsprachige Bevölkerung, die zu diesem Zeitpunkt viel stärker als andere von der Notlage betroffen war, erwartete und benötigte.
Ein Vergleich mit anderen offiziell mehrsprachigen Kantonen zeigt, dass diese im Gegensatz zu Graubünden «ohne Wenn und Aber» eine gleichmässigere territoriale Vertretung in einem so wichtigen Gremium wie der Regierung schützen. Letzteres kann nicht allein dem Ermessen der Parteien überlassen werden, wie es derzeit der Fall ist.
Nachfolgend sind die Referenzartikel der Verfassungen der Kantone Bern und Wallis aufgeführt:
Art. 84 der Verfassung des Kantons Bern
1 Der Regierungsrat besteht aus sieben Mitgliedern.
2 Dem Berner Jura ist ein Sitz gewährleistet. Wählbar sind die französischsprachigen Stimmberechtigten, die in einem der drei Amtsbezirke Courtelary, Moutier oder La Neuveville wohnen.
Art. 84 der Verfassung des Kantons Wallis
1 Die Vollziehungs- und Verwaltungsgewalt ist einem aus fünf Mitgliedern gebildeten Staatsrate anvertraut.
2 Einer derselben wird aus den Wählern des Kantonsteiles ernannt, welcher die gegenwärtigen Bezirke Goms, Brig, Visp, Raron und Leuk umfasst; einer aus denjenigen der Bezirke Siders, Sitten, Ering und Gundis, und einer aus denjenigen der Bezirke Martinach, Entremont, Saint-Maurice und Monthey.
3 Die zwei andern werden aus den sämtlichen Wählern des Kantons ernannt. Jedoch darf nicht mehr als ein Staatsrat aus den Wählern des nämlichen Bezirkes ernannt werden.
Die oben genannten Beispiele lassen keinen Spielraum für Interpretationen betreffend den Wunsch der betroffenen Kantone, eine gerechtere territoriale und damit sprachliche Vertretung in ihren Kantonsregierungen zu gewährleisten.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fordern deshalb die Regierung auf, dem Parlament Vorschläge für eine Verfassungs- beziehungsweise Gesetzesänderung zu unterbreiten, damit ab 2027 in jeder Legislaturperiode mindestens ein Vertreter oder eine Vertreterin der beiden Minderheitensprachgebiete des Kantons (siehe italienisches Graubünden und romanisches Graubünden) in die kantonale Exekutive gewählt werden kann.
Chur, 16. Februar 2022
Della Vedova, Alig, Rettich, Atanes, Berther, Bondolfi, Censi, Crameri, Della Cà, Deplazes (Rabius), Epp, Fasani, Jenny, Jochum, Kunfermann, Loi, Michael (Castasegna), Noi-Togni, Papa, Rutishauser, Ulber, Wellig, Widmer-Spreiter (Chur), Collenberg, Pajic