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Session: 15.02.2023

Die Interkantonale Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM) bildet die rechtliche Grundlage für den Erlass der HSM-Spitalliste und legt die Entscheidungsprozesse der IVHSM-Organe fest. Zudem definiert sie die Kriterien, welche ein Leistungsbereich erfüllen muss, um als hochspezialisierte Medizin (HSM) im Sinne der IVHSM zu gelten. Der IVHSM sind alle 26 Kantone beigetreten und haben sich somit zur gemeinsamen Planung in diesem Bereich verpflichtet.

Die der HSM zugeordneten Leistungsbereiche sind der Spitalplanung der Kantone entzogen. Die Zuordnung eines Leistungsbereichs zur HSM setzt voraus, dass der Eingriff selten ist (Art. 1 Abs. 1 IVHSM). Die Plenarversammlung der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) vom 14. März 2008 hat die kritische Grenze für seltene Krankheiten bei weniger als 1 bis 5 Behandlungen pro Monat (Beispiel: Herztransplantationen bei weniger als 12 Patienten im Jahr) festgelegt.

Die Regierung hat in ihrer Antwort vom 23. August 2013 auf die Anfrage Caduff betreffend Umsetzung der IVHSM ausgeführt, dass sie mit dem Vorgehen des Fachorgans und des Beschlussorgans der IVHSM in weiten Teilen nicht einverstanden sei. Es würden zunehmend Bereiche und Leistungen zur hochspezialisierten Medizin zugeordnet, bei denen die in der Vereinbarung für die Zuordnung zur hochspezialisierten Medizin vorgegebenen Kriterien, insbesondere das Kriterium der Seltenheit der Fälle, bei objektiver Betrachtung nicht oder nur beschränkt gegeben seien.

Die unterzeichnenden Grossrätinnen und Grossräte stellen fest, dass die Berücksichtigung des Kriteriums der Seltenheit bei der Zuordnung von Leistungen zur HSM, weiterhin nicht oder unzureichend berücksichtigt wird. Es werden zunehmend Leistungen mit immer höheren Fallzahlen der HSM zugeordnet. Jüngstes Beispiel stellt die Zuweisung in den Bereichen Pädiatrie die Früh- und Termingeborenen-Intensivpflege (3600 Fälle pro Jahr) dar. Dies hätte zur Folge, dass heute durchgeführte – oder allenfalls auch neue – Behandlungen im Kanton Graubünden zukünftig nicht mehr angeboten werden können. Zahlreiche weitere Beispiele liessen sich anführen. Die breite und wohnortsnahe Versorgung der Bevölkerung Graubündens sowie benachbarter Regionen wie etwa dem Sarganserland, ebenso wie der zahlreichen Gäste, wird damit grundlegend gefährdet.

Die unterzeichnenden Grossrätinnen und Grossräte unterbreiten in diesem Zusammenhang der Regierung folgende Fragen:

  1. Wie beurteilt die Regierung mit Blick auf die Versorgungssicherheit die Entwicklung bei der Zuordnung von Bereichen und Leistungen zur hochspezialisierten Medizin?
  2. Was unternimmt die Regierung, allenfalls zusammen mit anderen Kantonen, um beim Beschlussorgan zu erwirken, dass das Kriterium der Seltenheit so angewendet wird, wie es den Kantonen im Rahmen des Beitrittsverfahrens zu IVHSM in Aussicht gestellt beziehungsweise zugesichert wurde, und dass wieder die Versorgungssicherheit aller Landesteile im Zentrum steht?
  3. Falls das Beschlussorgan an seiner extensiven Praxis der Auslegung der Seltenheit festhalten und Leistungen mit hohen Fallzahlen nicht aus der Zuordnung zur hochspezialisierten Medizin entlassen will: Wäre die Regierung bereit, aus der IVHSM auszutreten und welche Konsequenzen hätte nach Ansicht der Regierung ein Austritt Graubündens?

Chur, 15. Februar 2023

Loepfe, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Natter, Altmann, Bachmann, Bardill, Baselgia, Beeli, Bergamin, Berther, Biert, Binkert, Bischof, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Brandenburger, Brunold, Censi, Collenberg, Crameri, Degiacomi, Derungs, Dietrich, Epp, Favre Accola, Feuerstein, Föhn, Furger, Gansner, Gartmann-Albin, Grass, Haltiner, Heini, Hoch, Hofmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Kasper, Kienz, Kohler, Kreiliger, Lamprecht, Maissen, Mani, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Nicolay, Oesch, Pajic, Rageth, Rettich, Righetti, Rutishauser, Saratz Cazin, Sax, Schneider, Spagnolatti, Stiffler, Tanner, Thür-Suter, Tomaschett, Ulber, von Ballmoos, von Tscharner, Walser, Wieland, Zanetti (Sent), Zaugg-Ettlin

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Die Regierung hat mit Besorgnis von der Praxis des Fachorgans und des Beschlussorgans der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM) Kenntnis genommen. Entgegen der Festlegung durch die Plenarversammlung vom 14. März 2008 werden von den beiden Organen zunehmend Bereiche und Leistungen mit hohen Fallzahlen der hochspezialisierten Medizin zugeordnet und damit dem Zuständigkeitsbereich der Kantone entzogen. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass Leistungsbereiche beziehungsweise Erkrankungen entgegen den Einschätzungen von ausgewiesenen Fachleuten ohne medizinischen Grund in Teilbereiche aufgeteilt werden. Dies hat zur Folge, dass das Kantonsspital Graubünden Gefahr läuft, Leistungen, die heute als spezialisierte Behandlungen gelten, in Zukunft nicht mehr wahrnehmen kann, weil diese neu als hochspezialisierte Leistungen klassiert werden. Dies betrifft beispielsweise die Notfallversorgung von Kindern und mutmasslich auch die spezialisierte Unfallchirurgie. Damit wird nicht nur das Leistungsspektrum des Kantonsspitals Graubünden, sondern der gesamte Spitalplatz Graubünden beeinträchtigt. Ein starker Spitalplatz Graubünden mit einer umfassen Grundversorgung setzt ein Zentrumsspital mit einem breiten Leistungsportfolio, auch in den spezialisierten Bereichen voraus.

Zu Frage 2: Die Regierung wird über das zuständige Departement beim Beschlussorgan intervenieren, damit das Kriterium "Seltenheit" bei der Zuordnung von Bereichen und Leistungen zur hochspezialisierten Medizin so angewendet wird, wie es den Kantonen im Rahmen des Beitrittsverfahrens zur Vereinbarung zugesichert wurde. Diese Intervention erfolgt zweckmässigerweise im Zusammenwirken mit anderen Kantonen, die von der Praxis der vorerwähnten Organe der IVHSM in gleicher Weise betroffen sind. In diesem Zusammenhang wird wohl insbesondere die Zusammensetzung des Fachorgans in Frage zu stellen sein, da sich dieses im Wesentlichen, neben Beauftragten aus grossen ausländischen Spitälern, aus Vertreterinnen und Vertretern der Universitätsspitäler und der grossen Zentrumsspitäler zusammensetzt. Personen aus mittleren Zentrumsspitälern sind im Fachorgan nicht vertreten, was wohl auch die Praxis des Fachorgans mit zu erklären vermag.

Zu Frage 3: Falls das Fachorgan und damit auch das Beschlussorgan an ihrer extensiven Praxis bei der Auslegung der Voraussetzung "Seltenheit" festhalten, ist die Regierung bereit, ein Austritt aus der IVHSM in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls dem Grossen Rat zum Beschluss vorzulegen. Ein solcher Austritt erfolgt zweckmässigerweise zusammen mit anderen, von der extensiven Praxis der beiden Organe in gleicher Weise betroffenen Kantonen. Die IVHSM tritt ausser Kraft, wenn die Zahl der Mitgliedskantone unter 17 fällt. Bei einem Austritt von nur wenigen Kantonen ist davon auszugehen, dass diese wieder umfassend die Zuständigkeit für den Erlass der Spitalliste erlangen. Dabei ist nicht auszuschliessen, dass in diesem Fall der Bundesrat, auf Antrag interessierter Kantone, bei den eidgenössischen Räten beantragen wird, die IVHSM als allgemeinverbindlich zu erklären. Die ausgetretenen Kantone könnten in der Folge ihre Interessen im Rahmen der diesbezüglichen Vernehmlassung und der nachfolgenden Verhandlungen bei den eidgenössischen Räten einbringen. Welche weiteren Wirkungen eine Austrittsdrohung des Kantons Graubünden oder ein tatsächlicher Austritt haben wird, kann heute nicht abschliessend beurteilt werden.

19. April 2023