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Session: 15.02.2023

In der Schweiz haben Ausländer:innen heute das Recht, frühestens nach 10 Jahren in der Schweiz eine Einbürgerung zu beantragen. Für die Schweizer Gesellschaft sehr wichtig ist es, dass diese Personen gut in die Gesellschaft integriert werden. Die Zahl der Einbürgerungen in der Schweiz ist seit 2017 zurückgegangen, der Anteil Ausländer:innen ist in den vergangenen Jahren entsprechend kontinuierlich gestiegen und beträgt heute 25.7 Prozent (vgl. NZZ online vom 05.12.2022, https://www.nzz.ch/international/einbuergerung-der-weg-zum-schweizer-pass-ist-huerdenreicher-als-in-deutschland-ld.1714925). In Graubünden liegt der Anteil mit rund 19 Prozent bei gut 201 000 Einwohner:innen etwas tiefer. Von diesen 38 677 Ausländer:innen (Quelle SEM; Stand Ende November 2022) stammen gut 65 Prozent aus den Nationen Portugal, Deutschland, Italien und Österreich. 18 076 Personen (9 Prozent) haben sogar eine Niederlassungsbewilligung C. Davon stammen 12 764 Personen (gut 70 Prozent) aus den Nationen Portugal, Deutschland, Italien und Österreich.

Dies bedeutet, dass eine grosse Anzahl Menschen in der Schweiz und in Graubünden nicht am politischen Leben mit Abstimmungen und Wahlen teilnehmen kann. Die politische Mitbestimmung und die Möglichkeit, an politischen Prozessen teilzunehmen, kann ein wichtiger Bestandteil des Integrationsprozesses in eine Gesellschaft sein. Mit dem grossen Anteil Ausländer:innen und dem Nicht-Mitbestimmen dieser Bevölkerungsgruppe geht ein Demokratiedefizit einher. Dieses Defizit kann reduziert werden, wenn Ausländer:innen am gesellschaftlich politischen Leben teilnehmen dürfen. Diese Möglichkeit gibt es in der Schweiz.

In zwei Kantonen (Neuenburg und Jura) dürfen Ausländer:innen auf kantonaler Ebene abstimmen und wählen (aktives Wahlrecht). Sie können sich jedoch nicht selbst zur Wahl stellen (kein passives Wahlrecht). Volle Stimm- und Wahlrechte auf kommunaler Ebene haben Ausländer:innen in vier Kantonen (Neuenburg, Jura, Waadt, Freiburg). Der Kanton Genf hat auf kommunaler Ebene ein Stimm- und aktives Wahlrecht.

Der Kanton Graubünden ist einer von drei Kantonen (mit Appenzell Ausserrhoden und Basel-Stadt), welcher ein fakultatives Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene hat. Das heisst, dass Gemeinden dieses Recht für Ausländer:innen selbständig einführen können. Gemäss Amt für Gemeinden haben aktuell bereits 32 Gemeinden in Graubünden von diesem kommunalen Stimm- und Wahlrecht Gebrauch gemacht.

Ausländer:innen haben in Graubünden bis heute jedoch nicht die Möglichkeit, an kantonalen Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen. Dieser Mosaikstein fehlt noch, um diese für Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Bevölkerungsgruppe auch politisch in Graubünden zu integrieren.

Die Unterzeichnenden beauftragen die Regierung, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen), damit Ausländer:innen auf kantonaler Ebene ein Stimm- und aktives Wahlrecht erhalten.

Chur, 15. Februar 2023

Rageth, Baselgia, Gredig, Atanes, Bachmann, Bardill, Bavier, Bischof, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Danuser (Chur), Degiacomi, Dietrich, Gartmann-Albin, Hoch, Hofmann, Kappeler, Kreiliger, Mazzetta, Müller, Nicolay, Oesch, Pajic, Perl, Preisig, Rettich, Rusch Nigg, Rutishauser, Saratz Cazin, von Ballmoos, Zaugg-Ettlin

Antwort der Regierung

Die Verfassung des Kantons Graubünden (KV; BR 110.100) spricht in Art. 9 Abs.  1 das Stimm- und Wahlrecht grundsätzlich allen Schweizerbürgerinnen und -bürgern zu, die das 18. Lebensjahr zurückgelegt haben und im Kanton wohnen. Die Regelung steht im Einklang mit Art. 136 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101). Einzig die Kantone Neuenburg und Jura kennen unter gewissen Voraussetzungen (Mindestwohnsitzdauer) und mit gewissen Einschränkungen (im Kanton Jura sind stimmberechtigte Ausländerinnen und Ausländer von Abstimmungen über Verfassungsmaterien ausgeschlossen) das aktive Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer auf kantonaler Ebene. Das Recht, sich in ein kantonales politisches Amt wählen zu lassen, wird ihnen allerdings auch in diesen beiden Kantonen nicht zugestanden. Daneben sind Ausländerinnen und Ausländer in einzelnen Kantonen auf Gemeindeebene generell stimmberechtigt (beispielsweise die Kantone Waadt, Freiburg und Genf).

Der Kanton Graubünden eröffnet mit Art. 9 Abs. 4 KV den Gemeinden die Möglichkeit, Ausländerinnen und Ausländer in Gemeindeangelegenheiten das Stimm- und Wahlrecht einzuräumen (wie auch die Kantone Basel-Stadt und ähnlich Appenzell-Ausserrhoden). In Graubünden haben 32 von 101 Gemeinden in unterschiedlicher Form von dieser Regelungskompetenz Gebrauch gemacht, wobei beispielsweise unterschiedliche Mindestwohnsitzdauern vorgeschrieben werden.

Es ist rechtlich unbestritten, dass die Nationalität ein zulässiges Kriterium bei der Ausgestaltung des Stimm- und Wahlrechts darstellt. Weder im Bund noch in anderen Kantonen lassen sich Tendenzen erkennen, wonach auf diesen beiden staatlichen Ebenen die Ausübung der politischen Rechte vom Bürgerrecht getrennt werden soll. Dies war letztlich auch wiederum das Ergebnis der jüngsten Parlamentarischen Initiativen auf Bundesebene (21.405 Mehr Demokratie wagen. Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer, 21.414 Stimmrecht für alle kommunalen Angelegenheiten nach fünf Jahren Wohnsitz in der Schweiz). Selbst die Bestrebungen, den Gemeinden – wie in Graubünden – die Regelungskompetenz für kommunale Angelegenheit zu überlassen, haben einen schweren Stand (beispielsweise in den Kantonen St. Gallen, Zürich).

Unabhängig vom Stimm- und Wahlrecht können Ausländerinnen und Ausländer mittels Petitionsrecht (Art. 33 BV), welches auch Personen ohne Stimmrecht zukommt, politisch mitwirken. Die Personen, welche eine Petition eingereicht haben, sind über die Behandlung der Eingabe in geeigneter Form zu orientieren (Art. 94 des Gesetzes über die politischen Rechte, GPR; BR 150.100). Zudem steht es auch Ausländerinnen und Ausländer frei, sich im Rahmen von Vernehmlassungsverfahren zu äussern (vgl. zum Ganzen auch Corsin Bisaz, Begrenzte Möglichkeiten politischer Mitsprache: Politische Rechte von Personen ohne Schweizer Pass, 2018, publiziert in terra cognita, 33/2018, S. 62 ff.).

Die Regierung teilt die Ansicht, dass Ausländerinnen und Ausländer, die seit einer bestimmten Zeit in der Schweiz leben, sich nur durch Einbürgerung am politischen Leben auf kantonaler Ebene beteiligen können sollen. Sie ist der Überzeugung, mit der aktuellen Lösung, wonach die Gemeinden Ausländerinnen und Ausländern das Stimm- und Wahlrecht in Gemeindeangelegenheit einräumen können, einen politisch vertretbaren Mittelweg zu verfolgen, der sich bewährt hat. Eine weitergehende Einräumung des Stimm- und aktiven Wahlrechts an Ausländerinnen und Ausländer auf kantonaler Ebene lehnt sie ab. Es erscheint der Regierung zumutbar, dass Personen, die sich am politischen Entscheidprozess beteiligen wollen, den Weg über eine Einbürgerung beschreiten.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen.

19. April 2023