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Session: 15.02.2023

An vielen Orten in Graubünden fehlt bezahlbarer Erstwohnraum. Das verschärft Probleme wie die Abwanderung, den Arbeitskräftemangel und steigende Lebenshaltungskosten der einheimischen Bevölkerung. Zwar sind in erster Linie die Gemeinden verantwortlich für die Wohnraumpolitik, doch in Anbetracht der Tragweite des Problems muss der Kanton Massnahmen ergreifen und die Gemeinden in dieser Aufgabe unterstützen. Diese Forderung haben verschiedene Gemeinden und zivilgesellschaftliche Organisationen bereits verlauten lassen. Im Übrigen verpflichtet die Bundesverfassung die Kantone und den Bund, sich dafür einzusetzen, dass Wohnungssuchende für sich und ihre Familien eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden (Art. 41 Abs. 1 lit. e BV).

Der Kanton Graubünden verfügt derzeit mit dem Gesetz über den sozialen Wohnungsbau und die Verbesserung der Wohnverhältnisse im Berggebiet über eine reine Subjekthilfe. Diese ist darauf ausgelegt, Einzelpersonen in schwierigen finanziellen Verhältnissen zu unterstützen. Das Problem betrifft heute im Kanton Graubünden jedoch die breite Bevölkerung. Diverse andere Kantone kennen entsprechende gesetzliche Grundlagen zur Förderung des preisgünstigen Wohnraums, zum Beispiel über die Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus.

Mögliche Instrumente zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum wären ein kantonaler Wohnraumfonds, Darlehen und Beiträge à fonds perdu, eine kantonale Fachstelle, die Ausgestaltung von Baurechtsverträgen, die gemeinnützigen Wohnungsbau ermöglichen, und/oder ein Vorkaufsrecht für betroffene Gemeinden zugunsten von preisgünstigem Wohnraum. Auch raumplanerische Massnahmen, z. B. zonenbezogene Pflichtanteile für preisgünstigen Wohnraum, sind prüfenswert. Diese Aufzählung ist weder abschliessend noch zwingend, sie dient lediglich der Veranschaulichung möglicher Lösungsansätze.

Die Unterzeichnenden fordern die Regierung dazu auf, eine kantonale gesetzliche Grundlage zur Förderung von bezahlbarem Erstwohnraum zu schaffen.

Chur, 15. Februar 2023

Müller, Perl, Preisig, Atanes, Bachmann, Bardill, Baselgia, Biert, Bischof, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Degiacomi, Dietrich, Gartmann-Albin, Gredig, Hoch, Hofmann, Kreiliger, Mazzetta, Nicolay, Pajic, Rettich, Rusch Nigg, Rutishauser, Walser, Zaugg-Ettlin

Antwort der Regierung

Die Regierung ist der sich derzeit präsentierenden Lage auf den Wohnungsmärkten sehr bewusst. Der Leerwohnungsbestand ist tief, der Bedarf an Wohnraum hat zugenommen, die Preise sind hoch. Sorgte man sich noch vor vier Jahren, dass zu viele Wohnungen erstellt wurden und grüne Flächen trotz fehlenden Bedarfs überbaut würden (was letztlich auch etwas hemmend für weitere Investitionen war), so hat die Lage gedreht. In Graubünden gestaltet sich die Beurteilung der Lage wegen der Zweitwohnungsinitiative (ZWI) etwas schwierig. Die Leerwohnungsziffer betrug von 2003 bis 2011 immer ungefähr zwischen 0,8 und 1. Dann kletterte sie bis 1,7 (2017 und 2019). Im 2020 war sie bei 1,4 und fiel dann bis 2022 rasch ab. Der Leerwohnungsbestand reduzierte sich von über 2900 Wohnungen auf rund 1100 (wobei es auch schon im 2010 einen solch tiefen Stand gab). Die Wohnungszunahme betrug in den letzten Jahren ca. 1300 bis 1500 jährlich; höher war sie zwischen 2013 und 2018 (allenfalls als Auswirkung der ZWI). Erstwohnnutzungen nehmen um ca. 1000 jährlich zu. Der Bedarf an Wohnungen steigt mit rund 1000 zusätzlichen Haushalten jährlich. Die Wohnbauinvestitionen sind, mit Ausnahme einer Erhöhung in den Jahren nach Annahme der ZWI, mehr oder weniger konstant. Zeitweise hält also die Neubautätigkeit mit der Zusatznachfrage Schritt. Zyklen im Wohnungsbau sind der Normalfall. Zwischen 2014 und 2018 wurden mehr Wohnungen erstellt als benötigt. Seit dem Jahr 2020 steigt die Zahl der Haushalte jedoch wieder stärker an als der Wohnungsbestand, wohl wegen der höheren Bevölkerungsentwicklung ab 2020, des geänderten Wohn- und Arbeitsverhaltens, allenfalls der Flüchtlingslage und der ZWI, jedoch auch wegen der sich reduzierenden durchschnittlichen Haushaltsgrösse (Bedarf nach mehr Wohnraum pro Person). Zudem ist der frühere Treiber des Erstwohnungsbaus, nämlich der Bau von Zweitwohnungen (der oft mit Erstwohnungsanteilen verbunden war), weggefallen. Die derzeitige hohe Nachfrage spricht grundsätzlich dafür, dass private und institutionelle Investoren wieder mehr bauen, aber es gibt auch bremsende Elemente wie steigende Baukosten oder das Zinsumfeld. Dieses Problem dürfte jedoch vorübergehender Natur sein (aktuell sollen z.B. in Chur noch nie so viele Baugesuche eingegangen sein). Im Kanton liegt derzeit eine Fläche von beinahe 900 ha in unüberbauten Wohn-, Misch- und Zentrumszonen. Selbst mit den Bauzonenreduktionen steht genug Fläche zur Deckung des Wohnraumbedarfs zur Verfügung. Die konsequente Baulandmobilisierung sowie eine aktive Boden- und Wohnraumpolitik durch die Gemeinden entsprechend den dortigen Bedürfnissen ist das griffigste und zielgerichtetste Instrument, um kurzfristig mehr Wohnbauten zu realisieren. Die Gemeinden können rasch auf ihre jeweilige Situation bedarfsorientiert und massgeschneidert reagieren. Sie haben die Übersicht über den Bedarf (auch in Bezug auf die Art von Wohnungen), die Leerwohnungen, die Baugesuche und -bewilligungen sowie darüber, was sich im Bau befindet. Die Gemeinden sind in Umsetzung der Massnahmen und betreiben vermehrt aktive Boden- und Wohnraumpolitik. Sowohl für Gemeinden als auch gemeinnützige Wohnbauträger liegen Leitfäden und Vorgehensbeispiele für den Wohnungsbau vor. Förderinstrumente für gemeinnützige Wohnbauträger stehen beim Bund zur Verfügung. Im Übrigen haben auch grosse Arbeitgebende erkannt, dass sie Unterkünfte für ihr Personal in ihre Strategie und Planung aufnehmen müssen. Der Kanton kann demgegenüber flächendeckend nur beschränkt eingreifen. Mit den raumplanerischen Rahmenbedingungen hat er die griffigen Instrumente zur Verfügung gestellt. Ausserdem fördert er mit Beiträgen im Rahmen der Verbesserungen der Wohnverhältnisse im Berggebiet (WS) gezielt den Erwerb, den Neubau und die Sanierung von Eigenheimen zugunsten der einkommensschwächeren Bevölkerung. Eine Ausweitung dieser Förderung wird seitens der Regierung im Rahmen des Auftrags Derungs betreffend Anpassung Wohnbauförderung empfohlen. Daneben sind mit den Bundesinstrumenten zur Förderung gemeinnütziger Wohnbauträger genügend geldwerte Hilfen vorhanden. Nur eine Handvoll Kantone kennt weitere Massnahmen, wobei sich dort die Lage eher schlechter zeigt als in den anderen Kantonen. Neue Instrumente wären zudem nicht kurzfristig umsetzbar. Ferner führen Eingriffe immer zu Marktverzerrungen oder unerwünschten Begleiterscheinungen.

Dennoch erachtet es die Regierung aufgrund dieser Lage als angezeigt, namentlich eine indirekte Förderung von gemeinnützigen Wohnbauträgern in Ergänzung zum fonds de roulement des Bundes zu prüfen. Dies wäre auch eine Komplementärförderung zur WS, die Eigenheime betrifft, während vergünstigte Darlehen für gemeinnützige Wohnbauträger auf günstigere Mietwohnungen zielen. Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag zu überweisen.

12. April 2023