In diversen Kantonen sind Bestrebungen nach einer kantonalen Elternzeit im Gange. Genf hat als erster Kanton der Schweiz einer solchen im Juni 2023 zugestimmt. Nun werden auch auf Bundesebene vermehrt Forderungen nach einer nationalen Elternzeit laut. Zurzeit kennt die Schweiz für erwerbstätige Eltern den Mutter- und den Vaterschaftsurlaub. Insgesamt stehen erwerbstätigen Eltern heute zusammen 16 Wochen Elternzeit zur Verfügung. Die ersten acht sind gesetzlich verankert (Art. 35a Abs. 3 Arbeitsgesetz). Demnach gilt während dieser ersten acht Wochen ein Arbeitsverbot für Wöchnerinnen. Von den weiteren acht Wochen sind heute sechs Wochen an die Frau gebunden. Insgesamt stehen der Frau heute 14 Wochen Mutterschaftsurlaub zur Verfügung, dem Mann zwei Wochen Vaterschaftsurlaub.
Neu sollen beide Elternteile gleichberechtigt die Möglichkeit haben, bei der Erziehung mitzuwirken und nach der Geburt eines Kindes möglichst einfach wieder in den Beruf einzusteigen. Die acht Wochen nach Ablauf der gesetzlich verankerten acht Wochen Arbeitsverbot für Wöchnerinnen sollen deshalb zu einer Elternzeit zusammengefasst werden. Das bedeutet, dass die Eltern selber entscheiden können, ob und wie sie diese acht Wochen Elternzeit flexibel einsetzen möchten. Es ist möglich, dass die Elternzeit aufgeteilt und von beiden Elternteilen genutzt wird, um Teilzeit zu arbeiten und die Kinderbetreuung zu übernehmen. Auch die heutige Praxis bleibt möglich. Diese gemeinsame Elternzeit kann innerhalb von sechs Monaten nach Niederkunft des Kindes bezogen werden. Das Ziel ist eine Flexibilisierung des bestehenden Modells und damit eine finanziell tragbare Lösung für Staat und KMU.
Durch die Einführung einer flexiblen Elternzeit kann die Erwerbsquote von Frauen gesteigert und die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen, verringert werden. Eine stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert ihre finanzielle Unabhängigkeit und Rentenleistungen und ist zudem eine Massnahme gegen den wachsenden Fachkräftemangel in der Schweiz. Derzeit bleibt ein grosses Potenzial ungenutzt. 18% der teilzeiterwerbstätigen Mütter würden gerne höherprozentig erwerbstätig sein (https://ekff.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekff/05dokumentation/Positionspapiere/EKFF_Positionspapier_Elternzeit_DE.pdf). Gleichzeitig ermöglicht die Elternzeit einen schrittweisen, gesicherten Wiedereinstieg ins Berufsleben und wird damit umso relevanter für die jüngeren Generationen. Ebenfalls ermöglicht sie den Vätern, eine frühe Bindung zum Kind aufzubauen. Gemäss Eidgenössischer Kommission für Familienfragen (EKFF) wird eine gestärkte Bindung zum Kind von den Vätern als besonders wertvoll empfunden (https://ekff.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekff/05dokumentation/Elternzeit/Argumentarium_Elternzeit_D.pdf). Rund 70% aller erwerbstätigen Väter beanspruchen Vaterschaftsurlaub (https://sozialesicherheit.ch/de/ein-grossteil-der-vaeter-bezieht-vaterschaftsurlaub/ ).
Die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) verabschiedete am 22. August 2022 ihren Vorentwurf zuhanden der Vernehmlassung, damit Frauen künftig nach der Geburt eines Kindes auf allen föderalen Legislativebenen ihre politischen Mandate während des Mutterschaftsurlaubs wahrnehmen können, ohne dadurch den Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung zu verlieren (heutige Situation). Die Vernehmlassung dauerte bis am 25. November 2022. Gemäss Vernehmlassungs-bericht (https://www.parlament.ch/centers/documents/de/19-311_20-313_20-323_21.311_Ergebnisbericht%20Politikerinnen%20im%20Mutterschaftsurlaub.DE.def.pdf) hat der Kanton Graubünden als einziger Kanton auf eine Stellungnahme verzichtet. 22 Kantone befürworten die Vorlage.
Eine Änderung dieser Bundesgesetzgebung geht einher mit einer nationalen Elternzeit mit flexibler Aufteilung und flexiblem Bezug. Eine nationale Elternzeit kommt der wachsendenden Vielfalt an Familienmodellen, Lebensformen und Vorstellungen zur Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit nach. Sie ist elementar für die Gleichstellung von Mann und Frau, verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Kindes aus und ist gleichzeitig volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Personalfluktuation und damit die Rekrutierungskosten verringern sich. Mit einer Standesinitiative des Kantons Graubünden soll das nationale Parlament dazu aufgefordert werden, sich diesem wichtigen Thema zu widmen. Es sollen verschiedene Lösungen einer Elternzeit in Bezug auf ihre Chancen und Machbarkeit (Kosten, Auswirkungen auf Unternehmen etc.) geprüft werden, um schliesslich die beste und mehrheitsfähige Lösung in den politischen Prozess zu bringen.
Die Unterzeichnenden beauftragen die Bündner Regierung hiermit, im Namen des Kantons Graubünden bei der Bundesversammlung, gestützt auf Art. 160 Abs. 1 der Bundesverfassung, eine Standesinitiative einzureichen, die von den eidgenössischen Räten verlangt, einen Entwurf für einen Erlass der Bundesversammlung auszuarbeiten für die Einführung einer nationalen Elternzeit, die folgende Bedingungen erfüllt:
- Der gesetzlich verankerte Anteil von 8 Wochen verbleibt vollumfänglich bei der Frau.
- Bei einer Gesamtzeit von 16 Wochen verbleiben acht Wochen für den flexiblen Bezug der Elternzeit.
- Beide Elternteile sollen Anteile an der achtwöchigen Elternzeit innerhalb von sechs Monaten ab Geburt eines Kindes zeitlich flexibel beziehen können.
Chur, 2. September 2023
Bergamin, Widmer, Danuser (Cazis), Beeli, Berther, Binkert, Brunold, Collenberg, Epp, Föhn, Gansner, Kohler, Loepfe, Mani, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Said Bucher, Sax, Tanner, Tomaschett, Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart)