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Session: 13.02.2006
Gemäss Art 99.3 KV steht den Kirchgemeinden das Recht zu, ihre Geistlichen zu wählen und zu entlassen. Dieses Recht geht auf die Reformationszeit zurück und wurde von der alten KV übernommen. Der Gesetzgeber hat es unterlassen, anlässlich der Totalrevision der KV das Übereinkommen mit dem Churer Bischof und der katholischen Landeskirche aus dem Jahre 1979 zu berücksichtigen bzw. eine Präzisierung zum Wahl- und Abwahlrecht in den Verfassungstext aufzunehmen. Wenn nun der Sprecher des Churer Bischofs gemäss Zeitungsbericht erklärt, die Abwahl gebe es nach Bündner Kirchenrecht nicht, so stellt er dieses über die Kantonsverfassung. Die Regierung wird gebeten, in dieser Frage für Klarheit zu sorgen, nicht zuletzt zur Sicherung der gegebenen Rechtsordnung und des konfessionellen Friedens.

1. Welche Bedeutung misst die Regierung dem Bündner Kirchenrecht zu?

2. Teilt die Regierung die Auffassung eines Bundesrichters, wonach die Kirchgemeinden, jedenfalls beim Vorliegen wichtiger Gründe, auch einen mit staatlichen Mitteln durchsetzbaren Anspruch auf tatsächliche Amtsenthebung eines Geistlichen haben?

3. Ist eine ordnungsgemäss einberufene Kirchgemeindeversammlung mit ebenfalls ordnungsgemäss durchgeführter Abstimmung grundsätzlich zur Vornahme einer Wahl oder Abwahl befugt und bedürfen diese Handlungen weiterer Begründungen?

4. Sollte es weiterer Begründungen bedürfen, welche Instanzen würden über deren Rechtmässigkeit befinden?

5. Welcher rechtliche Stellenwert kommt dem 1979 geschlossenen Übereinkommen mit der katholischen Landeskirche und dem Bischof von Chur zu?

Chur, 13. Februar 2006

Name: Arquint

Session: 13.02.2006
Vorstoss: dt Anfrage

Antwort der Regierung

Die Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche fällt gemäss Art. 72 der Bundesverfassung (BV) in die Zuständigkeit der Kantone. Die neue Kantonsverfassung hält am bisherigen staatskirchenrechtlichen System der anerkannten Landeskirchen fest und übernimmt insoweit inhaltlich die Regelungen der alten Kantonsverfassung.
Die in der Anfrage aufgeworfenen Fragen zum Wahl- bzw. Abwahlrecht der Kirchgemeinden betreffen das Verhältnis von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht. Es entspricht bewährter und konstanter Praxis, dass sich die Politik im Interesse der Erhaltung des religiösen Friedens bei der Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten grosse Zurückhaltung auferlegt. Die Frage der Wahl bzw. Abwahl eines katholischen Geistlichen ist zunächst eine Frage des Landeskirchenrechts der katholischen Landeskirche, welches nach Auffassung der Regierung kaum vom Wahlrecht gemäss Art. 99 Abs. 3 KV abweicht. Entscheide der Landeskirche und ihrer Kirchgemeinden z.B. wegen Verletzung des vom Staat erlassenen Rechts können gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. e des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden (VGG) beim Verwaltungsgericht angefochten werden. Im Klageverfahren beurteilt das Gericht gemäss Art. 14 lit. e VGG u.a. Streitigkeiten, an denen die Landeskirchen oder ihre Kirchgemeinden beteiligt sind und staatliches Recht zum Gegenstand haben. Es fällt daher nicht in die Zuständigkeit der Regierung, das von der Landeskirche erlassene Staatskirchenrecht bzw. die von der Landeskirche mit dem Bistum geschlossenen Verträge auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen.

Aufgrund dieser klaren Kompetenzordnung können die einzelnen Fragen wie folgt beantwortet werden:
1. Ein "Bündner Kirchenrecht" gibt es nicht. Gemeint ist vermutlich das Staatskirchenrecht gemäss Art. 98, 99 und 100 KV, welchem die Regierung eine grosse Bedeutung beimisst.
2. Es ist, wie erwähnt, nicht Aufgabe der Regierung, die Frage zu beurteilen, ob die Kirchgemeinden - auch beim Vorliegen wichtiger Gründe - einen mit staatlichen Mitteln durchsetzbaren Anspruch auf tatsächliche Amtsenthebung eines Geistlichen haben. Dem Kanton obliegt einzig die Oberaufsicht über die Kirchen; diese ist im vorliegenden Fall nicht tangiert.
3. Die Frage, ob die ordnungsgemäss einberufene Kirchgemeindeversammlung zur Vornahme einer Wahl bzw. Abwahl eines Geistlichen befugt ist, müsste letztlich von einem Gericht beurteilt werden. Eine diesbezügliche Meinungsäusserung der Regierung ist für das in einem konkreten Fall angerufene Gericht unerheblich.
4. Über die Zuständigkeit gegen Entscheide der Kirchgemeinden entscheidet in erster Instanz gemäss Art. 25 der Verfassung der katholischen Landeskirche Graubünden die Verwaltungskommission, in zweiter Instanz die Rekurskommission der katholischen Landeskirche (Art. 28). Wegen Verletzung staatlichen Rechts, namentlich der Kantonsverfassung, kann an das Verwaltungsgericht rekurriert werden.
5. Die gerichtliche Beurteilung der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit des Übereinkommens zwischen der katholischen Landeskirche und dem Bischof von Chur aus dem Jahre 1979 fällt gemäss Art. 13 bzw. 14 VGG in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, sofern es in einem konkreten Fall angerufen wird. Es kann nicht Aufgabe der Regierung sein, im Rahmen der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage in abstrakter Weise offene Rechtsfragen zu klären.

Datum: 8. Mai 2006