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Session: 25.04.2006
Im Anschluss an die Revision der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS sind im Kanton Graubünden per 01.01.2006 die Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die Unterstützung Bedürftiger ABzUG in Kraft getreten. Die neuen SKOS Richtlinien sollten in der Sozialhilfe Anreize zur Reintegration setzen, lntegrationsmassnahmen fördern, Missbräuche bekämpfen und die Sozialhilfepraxis in der Schweiz vereinheitlichen.

Erste Erfahrungen auf den Regionalen Sozialdiensten und spezialisierten Fachstellen weisen darauf hin, dass die ABzUG in erster Linie zu einer ungleich verteilten Absenkung des Leistungsniveaus geführt hat. Gemäss dem Berufsverband der Sozialen Arbeit, AvenirSocial Graubünden, sind vor allem Alleinerziehende und Familien besonders davon betroffen. Offenbar ist durch die Praxis auch die Gleichstellung kranker und behinderter Menschen verletzt und in gewissen Fällen ein negativer Anreiz gesetzt worden, in die Sozialhilfe zu kommen oder darin zu verbleiben.

Eine Auswertung aller 55 Dossiers, welche bei der Pro Infirmis GR Sozialhilfe beziehen, hat gezeigt, dass bei ihren von Krankheit und Behinderung betroffenen Klientlnnen die Einbussen in den Auszahlungen der Sozialhilfe je nach Klientengruppe sehr unterschiedlich ausgefallen ist:

Anzahl ausgewerteter Dossiers     55

Durchschnitt der Veränderung der monatlichen Auszahlungssumme:

Klientengruppen (mit Anzahl Dossiers) / in Prozenten / in Franken

Paare ohne Kinder (14) / 0 / - 8.25

Alleinstehende (22) / - 2 / - 26.65

Junge Erwachsene 18 —25 J. (3) / - 6 / - 99.55

Familien mit Kindern in Schule/Ausbildung (11) / -9 / - 301.15

Alleinerziehende mit Kindern in Schule/Ausbildung (5) / - 29 /-323.70

In diesem Zusammenhang stellen wir der Regierung folgende Fragen:

1 Eines der vier Ziele der letzten Revision der SKOS Richtlinien war die gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Richtlinien.
Wie begründet die Regierung die Abweichung der ganzheitlichen Übernahme der Richtlinien? Ist sie bereit, Massnahmen zu ergreifen um die Zielsetzung einer schweizweiten Vereinheitlichung der Sozialhilfe (unter der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten wie z.B. Mietzinsregelungen etc. ) zu erreichen?

2. Ist der Regierung bekannt, dass Zahlen von der Pro Infirmis vorliegen, welche belegen, dass seit der Revision der SKOS Richtlinien Familien 9% weniger Sozialhilfe ausbezahlt erhalten und alleinerziehende Elternteile gar 29%, während Paare ohne Kinder mit 0% und Alleinstehende Personen mit -2% deutlich besser dastehen?
Wie lauten die Zahlen bei den Klienten, welche von den Regionalen Sozialdiensten betreut werden betr. entsprechenden Budgetveränderungen bezüglich des Brutto Unterstützungsbedarfs (ohne Abzug der Einnahmen) in Zahlen und Prozenten?

3. Die Richtlinien der SKOS im Kt. Graubünden werden heute anscheinend so ausgelegt, dass bei der Feststellung der Unterstützungsbedürftigkeit die Einkommensfreibeträge (EFB), die lntegrationszulagen (IZU) und die Minimale lntegrationszulage (MIZ) nicht berücksichtigt werden. Dies führt dazu, dass Menschen, welche knapp über dem Existenzminimum leben, gegenüber Menschen in der Sozialhilfe deutlich benachteiligt werden.

Ist der Regierung bekannt, dass die heutige Auslegung dazu führt, dass bei teilunterstützten Personen eine Erhöhung des Erwerbspensums zu einem Ausschluss aus der Sozialhilfe führen kann und damit eine grosse, finanzielle Einbusse bedeutet? Dadurch werden die Situationsbedingten Leistungen (z.B. Umzug in günstigere Wohnungen, Behinderungsbedingte Mehrkosten etc.) und auch die Übernahme einer Reihe von Zusatzauslagen (Krankenkassen-Franchisen und Selbstbehalt, Hausrat- und Haftpflichtversicherung, Zahnarzt) einerseits wegfallen und anderseits bedarfsgerechte Leistungen wie die Ausrichtung der vollen Prämienverbilligung oder die Steuerbefreiung nicht zum Zuge kommen.

Sieht die Regierung auch Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit?

4. Ist der Regierung bekannt, dass Alleinerziehende mit Kindern unter 3Jahren die entsprechende Zulage der SKOS Richtlinien von Fr. 200 nicht erhalten und hat die Regierung diesbezüglich Massnahmen geplant, welche die Auswirkungen dieses Effektes auf die Kinder der Ärmsten zu lindern vermag?

5. Die neuen SKOS Richtlinien sehen eine sogenannte minimale lntegrationszulage in der Höhe von Fr. 100 vor, welche dafür sorgen soll, dass Menschen, welche durch Krankheit oder Behinderung an einer lntegrationsleistung verhindert sind, eine kleine materielle Kompensation dafür erhalten, dass sie keine anderen Zulagen erarbeiten können. Wird diese Zulage zukünftig ausgerichtet und wenn nein, ist sich die Regierung bewusst, dass dies gegen geltendes Bundes- und. Kantonsrecht (insbes. BV Art. 8 Abs. 2 und BehiG Art. 2, Abs. 4 in Verbindung mit Art. 3, Lit. e) verstossen würde?

6. Sozialhilfe beziehende Menschen, welche ein Teileinkommen aus Arbeitslosenentschädigung beziehen und gleichzeitig in einem Programm des RAV sind, erhalten keine lntegrationszulagen. Dieselben Menschen erhalten unter Umständen nach der Aussteuerung bei der Arbeitslosenversicherung im gleichen Programm auf einmal eine lntegrationszulage von Fr. 300.

Ist der Regierung bekannt, dass nicht alle Menschen welche arbeiten, von der Sozialhilfe für diese lntegrationsleistungen honoriert werden und welche Massnahmen gedenkt sie zu ergreifen, um nicht einen negativen Anreiz zu setzen, in die Sozialhilfe zu kommen, weil damit eine Verbesserung der finanziellen Situation erreicht werden kann?

7. Infolge der neuen SKOS Richtlinien sind die Gemeinden verpflichtet, Menschen in der Sozialhilfe Integrationsprogramme zur Verfügung zu stellen.

Welche Massnahmen plant die Regierung um einerseits die Gemeinden bei diesen lntegrationsplätzen zu unterstützen und / oder andererseits selber solche Programme für Sozialhilfe beziehende Menschen zur Verfügung zu stellen?

Chur, 25. April 2006

Bucher-Brini, Michel, Christoffel-Casty, Arquint, Baselgia, Butzerin, Casanova (Chur), Cavigelli, Christ, Frigg-Walt, Jaag, Jäger, Jenny, Koch, Luzio, Meyer-Grass (Klosters), Meyer Persili (Chur), Mengotti, Noi, Peyer, Pfenninger, Pfiffner, Portner, Robustelli, Schütz, Trepp, Zanolari, Zindel, Brasser, Caviezel (Chur), Mainetti

Antwort der Regierung

Die auf den 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Ausführungsbestimmungen zum Unterstützungsgesetz (ABzUG) stellen eine einheitliche Praxis der Gemeinden bei der Festlegung der materiellen Sozialhilfe sicher. Sie basieren auf den durch die SKOS im Jahre 2005 revidierten Richtlinien.
 
1. Die Ausführungsbestimmungen zum Unterstützungsgesetz setzen alle von der SKOS mit der Revision ihrer Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe verfolgten Ziele, nämlich die Verstärkung der materiellen Anreize, die Förderung der Integration und die Vereinheitlichung der Sozialhilfepraxis, um. Die Regierung hat sich bei der Ausgestaltung der Ausführungsbestimmungen zum Unterstützungsgesetz in allen wesentlichen Bereichen an den Richtlinien der SKOS orientiert. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die SKOS mit der vermehrten Einführung von Bandbreiten bei den Empfehlungen bewusst den für die Unterstützung zuständigen Stellen die Möglichkeit eingeräumt hat, die Ansätze den jeweiligen kantonalen und regionalen Gegebenheiten anzupassen. Die Regierung erachtet es entsprechend nicht als notwendig, Massnahmen zu einer noch weitergehenden Vereinheitlichung der Sozialhilfe zu ergreifen.
 
2. Zu den in der Anfrage erwähnten Zahlen der Pro Infirmis kann die Regierung nicht Stellung nehmen, da ihr diese nicht bekannt sind. Verbindliche Aussagen über die Auswirkungen der neuen SKOS-Richtlinien und der ABzUG sind nicht vor Mitte 2007 möglich. Eine vom Sozialamt vorgenommene provisorische Auswertung der Gesamtauszahlungsbeiträge der Stadt Chur zeigt für die Monate Februar und März 2006 abgestuft nach Familiengrösse folgendes Ergebnis:

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Klienten, bei welchen eine Abnahme der materiellen Sozialhilfe erfolgt ist, weisen gegenüber dem bisherigen Unterstützungsbeitrag durchschnittlich eine geringere Reduktion der Sozialhilfe auf als sich aus der Anwendung der Empfehlungen der SKOS zur materiellen Grundsicherung eigentlich ergeben würde. Lediglich bei zwei Haushaltsgrössen (Alleinstehende und Paare mit fünf Kindern) erfolgte eine grössere Reduktion der materiellen Sozialhilfe.

3. Die Regierung sieht in Bezug auf die Vorgaben zur Ermittlung der Unterstützungsbedürftigkeit keinen Handlungsbedarf. Mit den in Art. 2 der Ausführungsbestimmungen für die Bemessung des massgebenden Lebensbedarfs aufgeführten Kosten wurde die Eintrittsschwelle der revidierten SKOS-Richtlinien übernommen. Wo auch immer der unterstützungsrelevante Lebensbedarf festgelegt wird, gibt es Personen, die knapp darüber liegen und im Vergleich zu den unterstützungsberechtigten Personen möglicherweise benachteiligt sind. Eine Erhöhung des unterstützungsrelevanten Lebensbedarfs hätte im Übrigen unmittelbare Auswirkungen auf die Gemeinden.

4. Die Regierung hat - im Einklang mit den Ostschweizer Kantonsregierungen - festgelegt, dass die Wahrnehmung von Kindererziehungspflichten allein nicht zu einer Integrationszulage berechtigt. Sofern Alleinerziehende neben der Erfüllung familiärer Aufgaben Aktivitäten zur sozialen Integration ausweisen, können auch sie in den Genuss von Integrationszulagen gelangen.

5. Die Integrationszulage von Fr. 100.-- pro Monat ist allen Personen auszubezahlen, die bereit sind, einer Beschäftigung nachzugehen, somit auch Personen, denen seitens der Gemeinde keine ihren individuellen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung angeboten werden kann. Es ist entsprechend nicht nachzuvollziehen, inwieweit Art. 6 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zum Unterstützungsgesetz gegen geltendes Bundes- und Kantonsrecht verstossen sollte.

6. Die alleinige Erfüllung von Auflagen externer Stellen mit Integrationsauftrag und entsprechender Mitwirkungspflicht, wie z.B. das RAV, ergibt gemäss den SKOS-Richtlinien keinen Anspruch auf eine Integrationszulage. Für ALV-Bezüger ist die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen eine Grundbedingung für Versicherungsleistungen. Es ist nicht einsehbar, weshalb die Teilnahme zusätzlich durch die Sozialhilfe honoriert werden soll. Die Regierung ist deshalb der Meinung, dass keine Massnahmen im anvisierten Sinne zu ergreifen sind.

7. Das Sozialamt hat im Laufe des Monats Dezember 2005 die Gemeinden über mögliche Angebote für gemeinnützige Arbeit informiert und geschult. Ende April 2006 wurden die Gemeinden vom Sozialamt erneut auf ihre Obliegenheiten aufmerksam gemacht. Auf kantonaler Ebene wurde zudem das Rote Kreuz Graubünden aufgefordert, im Rahmen des Projektes Werknetz weitere Stellen zu schaffen.
 
Datum: 27. Juni 2006