Im Anschluss an die Revision der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS sind im Kanton Graubünden per 01.01.2006 die Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die Unterstützung Bedürftiger ABzUG in Kraft getreten. Die neuen SKOS Richtlinien sollten in der Sozialhilfe Anreize zur Reintegration setzen, lntegrationsmassnahmen fördern, Missbräuche bekämpfen und die Sozialhilfepraxis in der Schweiz vereinheitlichen.
Erste Erfahrungen auf den Regionalen Sozialdiensten und spezialisierten Fachstellen weisen darauf hin, dass die ABzUG in erster Linie zu einer ungleich verteilten Absenkung des Leistungsniveaus geführt hat. Gemäss dem Berufsverband der Sozialen Arbeit, AvenirSocial Graubünden, sind vor allem Alleinerziehende und Familien besonders davon betroffen. Offenbar ist durch die Praxis auch die Gleichstellung kranker und behinderter Menschen verletzt und in gewissen Fällen ein negativer Anreiz gesetzt worden, in die Sozialhilfe zu kommen oder darin zu verbleiben.
Eine Auswertung aller 55 Dossiers, welche bei der Pro Infirmis GR Sozialhilfe beziehen, hat gezeigt, dass bei ihren von Krankheit und Behinderung betroffenen Klientlnnen die Einbussen in den Auszahlungen der Sozialhilfe je nach Klientengruppe sehr unterschiedlich ausgefallen ist:
Anzahl ausgewerteter Dossiers 55
Durchschnitt der Veränderung der monatlichen Auszahlungssumme:
Klientengruppen (mit Anzahl Dossiers) / in Prozenten / in Franken
Paare ohne Kinder (14) / 0 / - 8.25
Alleinstehende (22) / - 2 / - 26.65
Junge Erwachsene 18 —25 J. (3) / - 6 / - 99.55
Familien mit Kindern in Schule/Ausbildung (11) / -9 / - 301.15
Alleinerziehende mit Kindern in Schule/Ausbildung (5) / - 29 /-323.70
In diesem Zusammenhang stellen wir der Regierung folgende Fragen:
1 Eines der vier Ziele der letzten Revision der SKOS Richtlinien war die gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Richtlinien.
Wie begründet die Regierung die Abweichung der ganzheitlichen Übernahme der Richtlinien? Ist sie bereit, Massnahmen zu ergreifen um die Zielsetzung einer schweizweiten Vereinheitlichung der Sozialhilfe (unter der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten wie z.B. Mietzinsregelungen etc. ) zu erreichen?
2. Ist der Regierung bekannt, dass Zahlen von der Pro Infirmis vorliegen, welche belegen, dass seit der Revision der SKOS Richtlinien Familien 9% weniger Sozialhilfe ausbezahlt erhalten und alleinerziehende Elternteile gar 29%, während Paare ohne Kinder mit 0% und Alleinstehende Personen mit -2% deutlich besser dastehen?
Wie lauten die Zahlen bei den Klienten, welche von den Regionalen Sozialdiensten betreut werden betr. entsprechenden Budgetveränderungen bezüglich des Brutto Unterstützungsbedarfs (ohne Abzug der Einnahmen) in Zahlen und Prozenten?
3. Die Richtlinien der SKOS im Kt. Graubünden werden heute anscheinend so ausgelegt, dass bei der Feststellung der Unterstützungsbedürftigkeit die Einkommensfreibeträge (EFB), die lntegrationszulagen (IZU) und die Minimale lntegrationszulage (MIZ) nicht berücksichtigt werden. Dies führt dazu, dass Menschen, welche knapp über dem Existenzminimum leben, gegenüber Menschen in der Sozialhilfe deutlich benachteiligt werden.
Ist der Regierung bekannt, dass die heutige Auslegung dazu führt, dass bei teilunterstützten Personen eine Erhöhung des Erwerbspensums zu einem Ausschluss aus der Sozialhilfe führen kann und damit eine grosse, finanzielle Einbusse bedeutet? Dadurch werden die Situationsbedingten Leistungen (z.B. Umzug in günstigere Wohnungen, Behinderungsbedingte Mehrkosten etc.) und auch die Übernahme einer Reihe von Zusatzauslagen (Krankenkassen-Franchisen und Selbstbehalt, Hausrat- und Haftpflichtversicherung, Zahnarzt) einerseits wegfallen und anderseits bedarfsgerechte Leistungen wie die Ausrichtung der vollen Prämienverbilligung oder die Steuerbefreiung nicht zum Zuge kommen.
Sieht die Regierung auch Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit?
4. Ist der Regierung bekannt, dass Alleinerziehende mit Kindern unter 3Jahren die entsprechende Zulage der SKOS Richtlinien von Fr. 200 nicht erhalten und hat die Regierung diesbezüglich Massnahmen geplant, welche die Auswirkungen dieses Effektes auf die Kinder der Ärmsten zu lindern vermag?
5. Die neuen SKOS Richtlinien sehen eine sogenannte minimale lntegrationszulage in der Höhe von Fr. 100 vor, welche dafür sorgen soll, dass Menschen, welche durch Krankheit oder Behinderung an einer lntegrationsleistung verhindert sind, eine kleine materielle Kompensation dafür erhalten, dass sie keine anderen Zulagen erarbeiten können. Wird diese Zulage zukünftig ausgerichtet und wenn nein, ist sich die Regierung bewusst, dass dies gegen geltendes Bundes- und. Kantonsrecht (insbes. BV Art. 8 Abs. 2 und BehiG Art. 2, Abs. 4 in Verbindung mit Art. 3, Lit. e) verstossen würde?
6. Sozialhilfe beziehende Menschen, welche ein Teileinkommen aus Arbeitslosenentschädigung beziehen und gleichzeitig in einem Programm des RAV sind, erhalten keine lntegrationszulagen. Dieselben Menschen erhalten unter Umständen nach der Aussteuerung bei der Arbeitslosenversicherung im gleichen Programm auf einmal eine lntegrationszulage von Fr. 300.
Ist der Regierung bekannt, dass nicht alle Menschen welche arbeiten, von der Sozialhilfe für diese lntegrationsleistungen honoriert werden und welche Massnahmen gedenkt sie zu ergreifen, um nicht einen negativen Anreiz zu setzen, in die Sozialhilfe zu kommen, weil damit eine Verbesserung der finanziellen Situation erreicht werden kann?
7. Infolge der neuen SKOS Richtlinien sind die Gemeinden verpflichtet, Menschen in der Sozialhilfe Integrationsprogramme zur Verfügung zu stellen.
Welche Massnahmen plant die Regierung um einerseits die Gemeinden bei diesen lntegrationsplätzen zu unterstützen und / oder andererseits selber solche Programme für Sozialhilfe beziehende Menschen zur Verfügung zu stellen?
Chur, 25. April 2006
Bucher-Brini, Michel, Christoffel-Casty, Arquint, Baselgia, Butzerin, Casanova (Chur), Cavigelli, Christ, Frigg-Walt, Jaag, Jäger, Jenny, Koch, Luzio, Meyer-Grass (Klosters), Meyer Persili (Chur), Mengotti, Noi, Peyer, Pfenninger, Pfiffner, Portner, Robustelli, Schütz, Trepp, Zanolari, Zindel, Brasser, Caviezel (Chur), Mainetti