Anfrage Pfenninger betreffend Demokratieverständnis und Umgang mit dem fakultativen Gesetzesreferendum
Session: 26.04.2006
Seit Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung besteht auf Kantonsebene nur noch ein fakultatives Gesetzesreferendum. Früher mussten viele unnötige Abstimmungen bei völlig unbestrittenen Vorlagen durchgeführt werden, die auch entsprechende Kosten verursachten. In diesem Sinne ist die neue Regelung zu begrüssen. Im Rahmen der Grossratsdebatte zur Kantonsverfassung aber auch bereits in der Verfassungskommission wurde zugesagt, dass die wichtigen Gesetzte "freiwillig" der Volksabstimmung unterstellt werden sollen. In der Realität besteht nun aber eindeutig der Trend keine Gesetzesvorlagen "freiwillig" dem Volk vorzulegen. Obwohl der Grosse Rat selbstverständlich immer auf Antrag hin eine solche Volksabstimmung beschliessen kann, scheint das Erinnerungsvermögen schlecht und der Umgang mit diesem in der Verfassungsdiskussion gemachten Versprechen unklar. Die seit Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung gemachten Erfahrungen zeigen, dass man sich wohl auch keine ausreichenden Überlegungen über mögliche Kriterien für die Unterstellung unters "freiwillige" obligatorische Referendum gemacht hat.
Wir ersuchen die Regierung um Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie steht die Regierung grundsätzlich zur Unterstellung von "wichtigen" Gesetzesvorlagen unter das "freiwillige" obligatorische Referendum?
2. Ist die Regierung bereit, bei wichtigen Vorlagen, bereits in der Botschaft eine entsprechende Empfehlung zu Handen des Grossen Rates für eine Volksabstimmung abzugeben?
3. Gibt es gemäss obigen Ausführungen einen Kriterienkatalog der als Orientierungshilfe für die Unterstellung unter das "freiwillige" obligatorische Referendum dienen könnte?
Chur, 25. April 2006
Name: Pfenninger, Jäger, Arquint, Baselgia, Bucher-Brini, Frigg-Walt, Jaag, Meyer Persili (Chur), Peyer, Pfiffner, Schütz, Trepp, Zindel, Caviezel (Chur)
Session: 26.04.2006
Vorstoss: dt Anfrage
Antwort der Regierung
Das sogenannte ausserordentliche obligatorische Referendum (ausserordentliches Behördenreferendum) ist in Art. 16 Ziff. 6 der Kantonsverfassung geregelt. Dieser Bestimmung kommt eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits gibt die Vorschrift dem Grossen Rat die Möglichkeit, Geschäfte der Volksabstimmung zu unterstellen, die in seine abschliessende Kompetenz fallen. Andererseits bietet sie die Grundlage dafür, dass der Grosse Rat direkt die Volksabstimmung über Vorlagen anordnen kann, die gestützt auf Art. 17 Abs. 1 KV dem fakultativen Referendum unterliegen (vgl. GRP 2002/2003, 265 f.). Art. 16 Ziff. 6 KV ist erst durch das Parlament eingefügt worden. Die Regierung wollte ursprünglich einer qualifizierten Minderheit von einem Fünftel der Parlamentsmitglieder das Recht einräumen, das fakultative Referendum zu ergreifen (vgl. Botschaftenheft Nr. 10/2001-2002, 509 f.). Das Parlament wollte dieses Recht jedoch nur der Mehrheit übertragen. Es sollte keine Vermischung von parlamentarischen Instrumenten mit Volksrechten erfolgen. Auch befürchtete man, dass die permanent latent vorhandene Referendumsandrohung die Arbeit im Grossen Rat lähmen könnte (vgl. GRP 2002/2003, 261 und 264). Aus den Materialien ergeben sich jedoch in diesem Zusammenhang keine Anhaltspunkte für das in der Anfrage erwähnte Versprechen, dass die wichtigen Gesetze jeweils "freiwillig" der Volksabstimmung unterstellt werden sollten. Tatsache ist, dass auch unter der neuen Kantonsverfassung über alle wichtigen oder umstrittenen Gesetzesvorlagen eine Volksabstimmung erwirkt werden kann, sei es über das ausserordentliche Behördenreferendum (Art. 16 Ziff. 6 KV), über das Volksreferendum (Art. 17 Abs. 1 KV) oder über das Gemeindereferendum (Art. 17 Abs. 1 KV).,
Zu den einzelnen Fragen:
1. Das ausserordentliche obligatorische Referendum ist, wie dargelegt, ein Instrument des Parlaments. Deshalb hat sich dieses zur grundsätzlichen Anwendung zu äussern.
2. Aus dem oben genannten Grund steht eine Empfehlung der Regierung in der Botschaft an den Grossen Rat nicht im Vordergrund.
3. Nach dem oben Gesagten ist es auch nicht Sache der Regierung, einen Kriterienkatalog zu entwickeln, der als Orientierungshilfe für den Einsatz des Instruments dienen kann. Gemäss der Lehre sollte das ausserordentliche obligatorische Referendum nur in Ausnahmefällen wegen der besonderen Wichtigkeit und den weitreichenden Konsequenzen eines Geschäfts angeordnet werden. Ein zu häufiger Rückgriff auf das Instrument hätte eine unerwünschte Vermischung der Verantwortlichkeiten zur Folge.
Datum: 11. Juli 2006