Auf Ende 2006 werden die Tagesstätten in Roveredo und in Samedan geschlossen. Der Grund dafür ist ein starker Rückgang der Auslastung der Klienten, der hauptsächlich auf folgende Tatsache zurück zu führen ist:
Seit dem 1. Januar 2006 müssen die IV-Bezüger, die eine Tagesstätte besuchen, Fr. 15.- pro Tag bezahlen. Obwohl in diesem Betrag das Mittagessen eingeschlossen ist, frequentierten immer weniger Klienten die Tagesstätten. Der Besuch einer Tages-stätte ist freiwillig. Die meisten psychisch Kranken haben Mühe mit Tagesstruktur und Beschäftigung, und es braucht speziel-le Anreize, um sie zum Mitmachen zu motivieren. Die Erhebung einer Gebühr hat alle Anreize zum Tagesstättebesuch zu-nichte gemacht.
Für die nun folgenden Ausführungen nehmen wir die Tagesstätte "El Butt" in Roveredo als Beispiel und gehen kurz zurück ins Jahr 2000. Bei den Vorabklärungen betreffend Verselbstständigung der kantonalen Wohnheime und Arbeitsstätten wurde neben den Chancen auch auf die Gefahren eines solchen Schritts aufmerksam gemacht.
Gefahren:
mehr Marktorientierung und Kosteneinsparungen können sich negativ auf die Leistungsqualität im Pflege- und Betreu-ungsbereich auswirken. Die Qualität wird über die Wirtschaftlichkeit definiert.
der kranke Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt, er wird nachgerade zu einem wirtschaftsfeindlichen Kostenfaktor degradiert.
Gewinnmaximierung wird zur einzigen Ethik.
Am 10. Juni 2001 hat das Bündner Stimmvolk das kantonale Gesetz über die Organisation der kantonalen psychiatrischen Dienste und Wohnheime für psychisch behinderte Menschen angenommen, und 2002 wurden die Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) eine öffentlich-rechtliche Institution, die möglichst gewinnbringend wirtschaften muss gegründet.
Heute, 4 Jahre später, müssen wir feststellen, dass - sicher vor allem wegen des enormen Spardrucks in den letzten Jahren - die angekündigten Gefahren Wirklichkeit geworden sind.
Die noch zwei verbliebenen El Butt-Klienten werden ab dem 1. Januar 2007 in der Beschäftigung der "Arbes Moesano" (ge-schützte Arbeitsstätte) integriert. In der Arbes wird produziert, es gibt Grossaufträge und die Arbeit ist oft fliessbandartig. Für Menschen mit einer geistigen oder sehr schweren psychischen Behinderung eine geeignete Beschäftigung, aber nicht immer für psychisch Erkrankte. Förderung der Lebensqualität, der Kreativität oder eine zielgerichtete Unterstützung für eine eventu-elle spätere Reintegration fehlen fast ganz in der Arbes, denn das verantwortliche Personal besteht vor allem aus Fachperso-nen des Handwerks wie z.B. Schneiderin, Schreiner oder Koch.
Einige Angebote der Tagesstätten (laut BSV) wie: Anregung und Begleitung von individuellen und gemeinsamen Aktivitäten, zielgerichtete Unterstützung zu möglichst autonomer Lebensführung, nicht ärztlich verordnete therapeutische Aktivitäten und pflegerische Leistungen, werden in denjenigen der Arbeits- und Bechäftigungsstätten nicht aufgeführt. Der sozialpädagogi-sche Auftrag, ein Schwerpunkt in den Tagesstätten, fällt weg.
Die Unterzeichnenden bitten die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:
was für Angebote gibt es in Zukunft, vor allem auch in den peripheren Regionen unseres Kantons, für behinderte Men-schen, die nun wiederum durchs psycho-soziale Netz zu fallen drohen, die also weder in eine Wohngruppe noch in eine Arbeitsstätte integriert sind?
die Tagesstätten haben in den letzten 7 Jahren stark zur Entlastung der Krankenkassen und Sozialdienste beigetragen (viel weniger Hospitalisationen). Kann die Regierung verantworten, dass die Kosten wieder mehrheitlich auf die Krankenkas-sen und Sozialämter abgewälzt werden?
welche Massnahmen ist die Regierung bereit zu ergreifen, um die entstanden Lücken im Betreuungsangebot zu füllen, damit der kranke Mensch wieder in den Mittelpunkt rückt und damit die Leistungen wieder in erster Linie den Patienten dienen, und erst in zweiter Linie wirtschaftlichen Überlegungen zu genügen haben?
Chur, 17. Oktober 2006
Name: Trepp, Bucher-Brini, Pfiffner-Bearth, Arquint, Baselgia-Brunner, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Koch, Menge, Mengot-ti, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Portner, Thöny, Troncana-Sauer, Locher Benguerel
Session: 17.10.2006
Vorstoss: dt Anfrage