Am 24. und 26. September 2006 haben 14 Gemeinden des Moesano über die neuen Regionalstatuten und über die Integration von drei interkommunalen Körperschaften in die Region abgestimmt. Die Abstimmungen wurden auf unterschiedliche Art und Weise (Urnengang, geheime Abstimmung, offenes Handmehr) und zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt. Ergebnis: die klare Verwerfung des Statuten-Vorschlags sowie der drei Varianten, welche die privatrechtliche Organizzazione Regionale del Moesano (ORMO) unter Einbezug der kommunalen Exekutiven (Gemeindevorstände) und insbesondere der Gemeindepräsidenten erarbeitet und zur Annahme empfohlen hatte. Die Vorlage betreffend neuer Regionalstatuten sowie die Varianten, welche teilweise auch durch die beiden Versammlungen der ORC und ORM empfohlen worden waren, wurden in 11 von 14 Gemeinden verworfen, von 915 Stimmenden zu 333. Dieses Ergebnis vermochte niemanden zu erstaunen, zumal die Bevölkerung überhaupt nicht aktiv involviert und nur ungenügend an drei Informationsabenden (einer pro Kreis) Ende August und Anfang September 2006 informiert worden war. Dies, obwohl die vom Kanton vorgegebenen Fristen bereits im Jahr 2004 den Einbezug der Bevölkerung vorsahen. Zudem wurden weder die Kreispräsidenten, noch die Bezirksbehörden (Präsident, Richter), noch die politischen Parteien und Bewegungen informiert und einbezogen.
Ein dem Verfassungsrechtler Tomas Poledna in Auftrag gegebenes privates Gutachten befand zudem, dass das durch die ORMO festgelegte Abstimmungsverfahren zur Vorlage betreffend neuer Statuten für die Region rechtswidrig sei.
Es schien klar, dass in einer solchen Situation der nach dem Volks-Nein einzuschlagende Weg die Wiederaufnahme der Diskussion über die Statuten hätte sein sollen. Dabei sollte es unter Einbezug der Bevölkerung, der Behörden und der politischen Kräfte möglich sein, neue Statuten auszuarbeiten, welche die Zustimmung des Volkes finden, da fast niemand gegen die Bildung der Region als solche mit Statuten einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ist, wie dies die Kantonsverfassung verlangt. Statuten, welche gemäss Artikel 10 der Kantonsverfassung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen; Absatz 2 bestimmt folgendes - ich zitiere: "Abstimmungsvorlagen sollen einfach und verständlich sein. Eine unverfälschte Willensbildung und Willenskundgabe ist zu gewährleisten". Dies soll deshalb auch durch ein klares und korrektes Abstimmungsverfahren gewährleistet werden.
Ein am 12. Oktober 2006 in einer Tessiner Tageszeitung ("La Regione Ticino") erschienener Artikel, in welchem die ORMO überstürzt die angeblichen (in Wirklichkeit noch nicht in schriftlicher Form vorliegenden) Entscheide der Regierung betreffend die zukünftige Bildung der Region des Moesano wiedergibt, hat Erstaunen und Empörung in der Bevölkerung ausgelöst, bezüglich Ton, Inkongruenz und den vielen Fragen, welche solche Aussagen aufwerfen.
Mit dem Ziel, Missverständnisse zu vermeiden und die verschiedene Aspekte der "vexata questio" zu durchleuchten sowie im Sinne einer konstruktiven Diskussion, stelle ich der Regierung folgende Fragen:
1. Gemäss dem im Tessin erschienenen Zeitungsartikel wird die Regierung ab 1. Januar 2007 die bisher an die ORMO delegierten Aufgaben in den Bereichen Raumplanung und Gesundheitswesen übernehmen (wobei sie die entsprechende Finanzierung einstellen wird), dies, weil die aktuelle Regionalorganisation diese Aufgaben aufgrund der Kantonsverfassung nicht mehr wahrnehmen darf. Was bedeutet konkret die Aufgaben im Bereich Raumplanung und Gesundheitswesen zu übernehmen und die entsprechende Finanzierung einzustellen?
2. Gemäss Regierung obliege die Kompetenz zur Ausarbeitung der dem Volk zur Abstimmung zu unterbreitenden Vorlage betreffend neuen Statuten dem Vorstand der ORMO oder, gegebenenfalls, den Gemeindevorständen. Wie ist dies möglich, wenn die ORMO aufgrund der Kantonsverfassung ab 1. Januar 2007 einerseits die Aufgaben nicht mehr wahrnehmen darf und andererseits berechtigt ist, auch nach diesem Datum mit der Ausarbeitung der Statuten der neuen Region fortzufahren?
3. Immer noch gemäss obgenanntem Zeitungsartikel sei die Regierung bereit, eine Übergangslösung bis 30. Juni 2007 zuzulassen, um dem Moesano Zeit zu geben, die eigene Situation zu regeln. Falls bis zu diesem Zeitpunkt keine Lösung gefunden wird, würde die Regierung von Amtes wegen die Bildung der Region vornehmen.
Obwohl auch ich persönlich die Bildung der Region anstrebe, frage ich die Regierung, aufgrund welcher gesetzlichen Bestimmung Chur die Bildung der Region erzwingen kann, da dies weder die Kantonsverfassung noch das Gemeindegesetz vorsieht?
Einerseits bestimmt Artikel 62 der Kantonsverfassung lediglich, dass das Gesetz vorsieht, dass Gemeinden zur Zusammenarbeit verpflichtet werden können, während auf der anderen Seite Artikel 57 des Gemeindegesetzes bestimmt, dass jede Gemeinde einem Regionalverband anzugehören hat. "Davon ausgenommen sind Gemeinden, welche die regionalen Aufgaben selbstständig erfüllen"; oder noch Artikel 55, welcher folgendes bestimmt: "Ist die Lösung der einem Regional- oder Gemeindeverband übertragenen öffentlichen Aufgaben nur möglich, wenn auch Gemeinden mitwirken, die ihm nicht beigetreten sind, so kann die Regierung ihren Beitritt anordnen, sofern zwei Drittel der Gemeinden diesem Verband bereits angehören" (Abs. 1). "Ebenso kann die Regierung die Aufnahme einer Gemeinde anordnen, wenn diese vom Verband ohne zureichende Gründe abgelehnt wird" (Abs. 2). "Der Verband und die betroffenen Gemeinden sind vorher anzuhören" (Abs. 3).
Wie man sieht, geben sowohl die Kantonsverfassung wie auch das Gemeindegesetz nur mit Vorsicht Anweisungen und sehen nur im Falle von einzelnen widerspenstigen Gemeinden die Intervention der Regierung vor, während kein Artikel existiert, welcher von Zwangsmassnahmen gegenüber Gemeindegruppen (deren Anzahl Gemeinden einen Drittel aller Gemeinden einer Region überschreitet) oder ganzer Regionen spricht. Da es zur Zeit im Moesano bei weitem keine Mehrheit von zwei Dritteln der für die Bildung der Regionalorganisation notwendigen Gemeinden gibt, ist die Bildung dieser Körperschaft nicht legal und sie existiert somit rechtlich gesehen nicht. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, widerspenstige Gemeinden in die Region zwangszuintegrieren oder die Bildung der Region selbst zu erzwingen. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage und im Bewusstsein, dass die angewandte Praxis zur Bildung der Regionalorganisation nicht der von der Regierung vorgesehenen entsprach, bitte ich die Regierung auf die Frage zu antworten, ob sich die Zwangsbildung einer Region (welche das Gesetz nicht vorsieht) allein aufgrund der moderaten Normen wie Artikel 69 ["die Gemeinden schliessen sich für die Erfüllung regionaler Aufgaben zu Regionalverbänden zusammen"] und Artikel 72 der Kantonsverfassung ["Regionalverbände sind Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit"] oder Artikel 107 der Schlussbestimmungen rechtfertigt.
4. Ist die Regierung mit der grundsätzlichen Voraussetzung einverstanden, gemäss welcher im Falle einer Volksabstimmung, in welcher sich das Volk nur mit einem JA oder einem NEIN äussern kann, diejenigen, welche das Volk zur Meinungsäusserung an die Urne geholt haben, bereit sein müssen, sowohl ein JA als auch ein NEIN zu akzeptieren? Jegliche gegenteilige Haltung wäre antidemokratisch und verfassungswidrig. Diesbezüglich erinnere ich an die Präambel unserer am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Kantonsverfassung, welche folgendes besagt: "Wir, das Volk des Kantons Graubünden, im Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott sowie gegenüber den Mitmenschen und der Natur, im Bestreben, Freiheit, Frieden und Menschenwürde zu schützen, Demokratie und Rechtsstaat zu gewährleisten, […] geben uns folgende Verfassung". Ist die Regierung nicht der Meinung, dass die Gewährleistung der Demokratie und des Rechtsstaates die wichtigsten Postulate jedes Verfassungsaktes sind und dass deshalb der schlimmste Angriff auf Verfassungsebene gerade die Missachtung des Willen des Souveräns ist? Will sich die Regierung wirklich - im Bewusstsein, dass die Region oder die Regionalorganisation dieses Mal auf legale und sorgfältige Weise gebildet werden wird, was eine gewisse Zeit beanspruchen wird - mit einer antidemokratischen und verfassungswidrigen Intervention an der Geburt der neuen Region des Moesano beteiligen, obwohl sie weiss, dass diese (auf demokratischer Basis und im Bewusstsein ihrer effektiven Notwendigkeit und Nützlichkeit gebildete) Körperschaft nicht zuletzt ein wichtiges Mittel zur Förderung des Zusammenhaltes zwischen unserer Bevölkerung, der Regierung in Chur und dem Rest des Kantons darstellen kann?
Chur, 18. Oktober 2006
Name: Noi-Togni
Session: 18.10.2006
Vorstoss: dt Anfrage