RESULTATE IM ÜBERBLICK
Wie konserviert man ein kostbares Kulturgut?
"Die Erhaltung der Denkmäler erfordert zunächst ihre dauernde Pflege". Trotz dieses klaren
Grundsatzes in der Charta von Venedig wird meistens, bei der Konservierung und Restaurierung
von immobilem Kunst- und Kulturgut, das Objekt einer Gesamtkonservierung unterzogen.
Danach vergehen in der Regel mehrere Jahrzehnte bis das Objekt wiederum untersucht und
anschliessend erneut behandelt wird. Diese Methode hat entscheidende Nachteile für das Objekt.
Insbesondere weil für die Konservierung und Restaurierung auch an mehrhundertjährigen
Objekten meist moderne, d.h. höchstens einige Jahrzehnte erprobte chemische Produkte
eingesetzt werden, die in der Regel nicht reversibel sind.
Ein solches Vorgehen ist zwar gut zu planen und zu offerieren, wie eine übliche Leistung im
Bauwesen. Es ist aber, so angewandt, wenig sinnvoll. In Zillis wurde eine anderer Weg gewählt,
welcher in diesem Buch dargestellt wird.
Es war von Anfang an klar, dass der Zerfall der Holztafeldecke hauptsächlich durch das
Zusammenspiel von Materialeigenschaften und Raumklima bedingt ist. Nicht klar war dagegen,
wie schnell die einzelnen schädigenden Vorgänge, wie das Schwinden und Quellen des Holzes,
der Malschichten und der Fixiermittel und das Pilzwachstum vor sich gingen. Durch periodische
Kontrollen sowie systematische Laborversuche konnten viele offene Fragen beantwortet
werden. Dank dieser Untersuchungen wurde es möglich, notwendige Massnahmen zur Erhaltung
der Decke festzulegen.
Hauptschadensursachen
Nach heutigem Wissen sind es zwei Hauptschadensquellen, welche die romanische
Bilderdecke von Zillis gefährden: Erstens die Schäden welche im Laufe der 880 Jahre seit
Bestehen der Decke auf natürliche Weise entstanden sind und weiterhin entstehen, sei es durch
Klimaschwankungen, Lichteinwirkungen, eindringendes Regenwasser oder Holzschädlinge
(Insekten und Pilze).
Zweitens Schäden welche in der Folge der Restaurierungen auftauchten, sei es indirekt durch
den Einbau einer Kirchenheizung oder direkt durch die Restaurierungsmassnahmen am Objekt,
vor allem durch die Spannungen in den Malschichten wegen der Fixierung mit Klebstoffen.
Was meinen fünfzig Fachleute zur Bilderdecke?
Im Herbst 1990 lud die Denkmalpflege Graubünden mit Bundesunterstützung fünfzig Fachleute zu
einem dreitägigen Kolloquium nach Zillis.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachgebiete Denkmalpflege, Kunstgeschichte,
Restaurierung, Technologie und Archäologie aus dem In- und Ausland konnten die Bilderdecke
vom Gerüst aus auf kurze Distanz betrachten.
Das Ergebnis dieses Kolloquiums war erfreulich klar: Alle Fachleute betonten, dass trotz
fortschreitender Schäden und Verlusten vorläufig auf Eingriffe an den Tafeln verzichtet werden
sollte. Die Beobachtung und Dokumentation der Schadensentwicklung und des Raumklimas
sollte fortgesetzt werden. Gleichzeitig sollte die Grundlagenbeschaffung anhand der vorhandenen
Dokumente der Restaurierungen aus den Jahren 1938-40 sowie 1971 erweitert und vertieft
werden. Erst auf Grund umfassender Kenntnisse über die Schadensentwicklung, auch an
Simulationsplatten, sollte man sich - wenn notwendig - an praktische Konservierungsarbeiten
wagen.
Gegen unseren Willen sind wir vier Jahre später, nämlich 1994 bereits zum Teil von der
Beobachtung und Dokumentation zur praktischen Konservierungsarbeit übergegangen. Trotz
dieser Programmverschiebung sollen die geplanten Beobachtungen und Grundlagenabklärungen
plangemäss fortgesetzt werden. Wir hoffen, dass mit diesen Notsicherungen schlimmste Verluste
verhindert werden und zugleich genügend Zeit gewonnen ist, um wohlüberlegt die nächsten Schritte
der Konservierungsarbeiten in der Kirche Zillis vorzubereiten.
Die originalen Materialverbände der Holztafeldecke:
Die Holztafeldecke entstand, der Jahrringanalyse nach, zwischen dem Jahre 1109 und 1114
und umfasst 9 mal 17 Bildtafeln. Von den insgesamt 153 Tafeln sind 123 bis auf kleine
Ausbesserungen original, 17 Tafeln sind aus einzelnen originalen und neuen Brettern
zusammengesetzt und 13 Tafeln sind Kopien aus dem Jahre 1940.
Die einzelnen Tafeln sind aus zwei bis fünf Fichtenbrettern zusammengesetzt. Die Bretter wurden
aus frisch geschlagenen Stämmen gespalten und grob geglättet. Die Gipsgrundierung ist mit
tierischem Leim gebunden. Folgende Pigmente sind nachweisbar: Gips, weisse Karbonate,
Bleiweiss, Pflanzenschwarz, Umbra, Ocker, Mennige, Zinnober, Realgar, Auripigment, Grüne
Erde und Lapislazuli. Die Malerei ist mit Eitempera gebunden. Damit entspricht der Aufbau der
Malereien und die Brettbearbeitung weitgehend dem bekannten mittelalterlichen Schema.
Wie und womit restaurierte man früher?
Die Tafeln müssen bei der ersten Restaurierung, 1938, in einem recht erbärmlichen Zustand
gewesen sein, mit abgelösten Malschichten und starkem Holzwurmbefall, was sich auf den Fotos
von damals erkennen lässt. Lose Malschichten wurden anlässlich der Restaurierungen 1938-40 und
1971 mit Hilfe von Weizenstärke gefestigt und zurückgeklebt. Leider hat sich gezeigt, dass sich
diese Weizenstärke vor allem an der Malschichtoberfläche angereicherte und die Malschicht nicht
gleichmässig durchdrungen hat.
Bedeutung des Raumklimas für die Holztafeldecke
Die ersten Klimamessungen der Jahre 1990 bis 1993 zeigten, dass das Innenklima der Kirche
gedämpft dem Gang des Aussenklimas folgt, mit leicht erhöhter Luftfeuchtigkeit im Winter und mit
den grössten Tagesschwankungen der Feuchte im Sommer. Die sommerlichen
Tagesschwankungen konnten auf die grosse Anzahl von Besucherinnen und Besuchern, welche
nicht selten die Türen offen stehen lassen, zurückgeführt werden. Deshalb wurden im Mai 1994
automatische Türschliesser installiert, die, den ersten Messergebnissen zufolge, bereits zu einer
deutlichen Dämpfung der täglichen Klimaschwankungen im Sommer geführt haben.
Die Decke befindet sich dank der darüberliegenden Brandschutzdecke generell im Innenklima,
das heisst, wenn nicht geheizt wird, gibt es keine bedeutenden Feuchtigkeits- oder
Temperaturunterschiede zwischen den Bereichen über und unter der Holztafeldecke.
Die Kirche wird nur selten geheizt, da sie im Winter nur an Weihnachten und für Abdankungen
genutzt wird. Bei solchen Heizereignissen kommt es zu Kondensation an Fenstern und Wänden,
jedoch nicht an der Holztafeldecke selber.
Oberflächentemperatur-Messungen haben gezeigt, dass die Südostecke (Turmecke) im Sommer
kühler (feuchter) und im Winter etwas wärmer (trockener) als der übrige Kirchenraum ist. Zudem
sind in dieser Ecke die Luftbewegungen noch etwas geringer als anderswo an der Decke. Eine
Folge davon dürfte sein, dass besonders in dieser Ecke immer schon Pilzbewuchs auf den Tafeln
beobachtet wurde. Flächen, die direkt über den Fenstern liegen und sonnenbeschienen sind, zeigen
bis zu 3oC höhere Oberflächentemperaturen als im Schatten liegende Flächen.
Die Klimamessungen in der Kirche Zillis müssen weitergeführt werden, damit die Auswirkungen
allfälliger Massnahmen überprüft werden können. Zudem hat es sich gezeigt, dass die Jahre, in denen
das Klima bisher registriert wurde (1990 bis 1994), zumindest zum Teil klimatisch recht
ungewöhnlich waren, mit aussergewöhnlich milden Wintern und sehr feuchten Sommern.
Schäden und Zustand der Bilderdecke
Das Holz ist heute weitgehend in gutem Zustand. Bei den Schäden an den Malereien selber
können, abgesehen von den durch eindringendes Wasser aufgetretenen Flecken und dem
Pilzbewuchs, drei grundsätzlich verschiedene Typen unterschieden werden. Erstens solche, die
durch Bindemittelverlust im Laufe der Zeit entstehen, wie zum Beispiel wischende Malschichten;
zweitens solche, die im Zusammenhang mit den Bewegungen zwischen Holz und Malschicht oder
innerhalb der Malschichtpakete stehen, zum Beispiel dachförmig aufstehende Malschichten;
drittens solche, die im Zusammenhang mit Überfestigungen durch die bei den früheren
Restaurierungen aufgebrachte Weizenstärke stehen. Es handelt sich meistens um ein feinteiliges
Abrollen der Weizenstärke, wobei der oberste Teil der Malschicht mitgerissen wird.
Die periodischen Kontrollen von einer Hebebühne aus hatten gezeigt, dass insbesondere unter
den dachförmig aufstehenden Malschichten viele sehr gefährdete Stellen waren. Bei diesen war zu
befürchten, dass sie jederzeit abfallen könnten. Deshalb wurde bereits Ende 1994 eine
Notsicherungskampagne durchgeführt, bei der diese Stellen mit einem modernen Zelluloseleim
(Klucel) zurückgeklebt wurden.
Der Pilzbefall war bisher vor allem in der im Sommer besonders kühlen und etwas feuchteren
Südostecke der Decke festgestellt worden. Bei den Pilzen handelt es sich um Aspergillen. Sie
wurden bei der Notsicherungsmassnahme entfernt, und eine kleine Versuchsfläche mit einem
Pilzgift behandelt.
Zusammenfassung
Drei Schadensprozesse sind in Zillis massgebend:
1. Durch Klimaschwankungen bedingtes Schwinden und Quellen des Holzes und der
Malschichten, was zum Ablösen der Malschichten führt.
2. Die Oberflächenfixierungen aus Weizenstärke, die auf Klimaschwankungen reagieren. Dies führt
zu kleinteiligem Abrollen der Fixierungen, wobei diese Malschichtteile mitreissen.
3. Der durch feuchtes und warmes Klima im Sommer bedingte Pilzbewuchs führt zum Abbau
von Bindemitteln und pudernden Malschichten.
Allen drei Schadensvorgängen ist gemeinsam, dass sie durch das Raumklima bedingt sind und
somit auch durch eine Veränderung dieses Klimas beeinflusst werden können.
Ausblick
Es ist geplant, in den nächsten Jahren folgende Massnahmen zu unternehmen und ihre
Auswirkungen zu überwachen:
- Die Wachstumsbedingungen für Pilze mit einem über das Aussenklima gesteuerten,
automatischen Lüftungssystem zu erschweren.
- Die Fenster zu verkleinern und mit Wärmeschutz- und UV-absorbierendem Glas zu versehen.
- Die Auswirkungen dieser Massnahmen durch fortlaufende Klimamessungen zu überprüfen.
- Periodische Überprüfung der Decke von Hebebühne und Festgerüst aus.
Im Bewusstsein des langsamen, aber stetigen Zerfalls der Malschichten an der romanischen
Bilderdecke von Zillis, werden sich die mit der Kulturerhaltung befassten Amtsstellen, allen
voran die Denkmalpflege, auch künftig mit der Beobachtung durch regelmässige Kontrollen der
Decke befassen müssen. Die periodische "Grossreparatur" in jeder Generation kann nicht mehr
verantwortet werden. Vielmehr wird es der Kontrollen in verkürzten Abständen bedürfen. Zudem
muss im Notfalle sehr rasch und fachkundig reagiert werden können. Dies setzt voraus, dass auch
künftig eine versierte Gruppe von Fachleuten, nämlich Restauratoren und Technologen zur
Verfügung steht. Damit diese Spezialisten aber auch Handeln können, bedarf es ebenso, der
entsprechenden Mittel, die grosszügig und möglichst unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden
sollen, und zwar ebenso wie bei anderen unaufschiebbaren Unterhaltsarbeiten, für welche die
öffentliche Hand Verantwortung trägt.
In diesem Rechenschaftsbericht wurde notgedrungen viel von Schäden und Verlusten
geschrieben. Gerade deshalb darf man in Erinnerung rufen, dass von ehemals 153 Bildtafeln
deren 140 grossenteils - trotz ihres Alters von rund 880 Jahren - erhalten sind und auch heute
noch den Kunsttouristen und den stillen Beter unmittelbar zu packen vermögen. Eine Stille Stunde
der Betrachtung und Besinnung in der Kirche Zillis vor diesem wunderbaren Kunstwerk möge
unserer und kommenden Generationen beschieden sein.
Jahr: 1998