Gieri L u z i, Standespräsident
Es ist bereits das dritte Mal seit unserer Parlamentsreform, dass ein amtierender Standespräsident eine neue
Session eröffnen darf, um anschliessend die Aufgabe der Ratsleitung dem neu zu wählenden Präsidium zu übergeben.
In dieser Funktion begrüsse
ich Sie alle recht herzlich hier zur dritten Session des Jahres 1998. Es
dürften intensive Sitzungstage werden, ich wünsche Ihnen hiezu das
erforderliche Interesse und die nötige Ausdauer.
Sie wissen es ja
alle, Politik kann spannend sein, politische Diskussionen können aber
auch langweilig und alles andere als interessant sein. Nicht nur das
politische Thema allein bestimmt das Niveau einer Diskussion und
Entscheidfindung, die Teilnehmer selbst können wesentlich dazu
beitragen, dass die Langeweile für Teilnehmer wie auch für
Aussenstehende in Grenzen gehalten wird.
Sie wissen auch, dass das
Interesse an politischen Fragen in der Bevölkerung von Jahr zu Jahr
schwindet. Gingen während den Nachkriegsjahren noch rund 80 % der
Stimmberechtigten an die Urne, sind es heute sogar bei wichtigen
Wahlgeschäften kaum deren 40 %.
Vieles wurde bereits als
Gegenmassnahme zu dieser deplorablen Entwicklung in die Wege geleitet
oder realisiert. Aber auch die Ausgestaltung der schriftlichen
Abstimmungsmöglichkeit hatte keine auch nur im geringsten feststellbar
grössere Beteiligung zur Folge.
Erkundigt man sich bei
Nicht-Stimmenden nach dem Grund der Absenz, so wird nicht selten Kritik
an die Politik allgemein und an die politisch Verantwortlichen
geübt.
Konzeptlos und langweilig werde Politik getrieben, Politiker
würden sich inkonsequent verhalten und Wahlversprechen würden nicht
gehalten, dies sind nur einige Kritikpunkte, die uns als gewählte
Volksvertreter direkt betreffen müssen.
Statt ständig auf solche
Kritikpunkte einzugehen und dementsprechend zu handeln, übergehen wir
diese sehr oft und versuchen uns zu rechtfertigen. Fehler zugeben ist
allgemein nicht die Stärke der Politiker.
An folgenden drei
Beispielen versuche ich darzulegen, wie man unverständlich und nicht
nachvollziehbar sich verhalten kann und damit Glaubwürdigkeit
verliert.
Das erste Beispiel steht im Zusammenhang mit einer
bevorstehenden Sach-Abstimmung vom 7. Juni.
Es ist bekannt, dass bei
allen Umfragen in der Schweiz die Angst um den Arbeitsplatz als grösstes
und erstrangiges Problem bezeichnet wird. Bund, Kanton, Gemeinden,
Arbeitnehmer und Arbeitgeberverbände bemühen sich intensiv, die
Arbeitslosigkeit zu senken.
Keine einfache Sache, sonst würden wir
diesbezüglich besser dastehen.
Nun weiss man, dass zumindest eine der
eidg. Vorlagen Arbeitsplätze gefährdet. Ein Gegner der betreffenden
Initiative hat dies an einer Veranstaltung aufgezeigt und darzulegen
versucht, seine Äusserungen wurden dann als demagogisch abgetan.
Will
man Ja- oder Nein-Stimmen mobilisieren, dann braucht es scheinbar
emotionsgeladene Aussagen. Nur schwarz oder weiss wird zur Kenntnis
genommen, sachliche Argumente wie sogar das Thema Nr. 1, der
Arbeitsplatzsicherung, finden wohl ab und zu Gehör, aber keine neuen
Anhänger!
Arena-mässige Auftritte sind medienwirksam, doch der
überlegte Stimmbürger, schüttelt über eine solche Gesprächskultur den
Kopf und resigniert. Wir als Politiker richten unser Wirken aus nach den
Medien und vergessen dabei, dass wirklich seriöse politische Arbeit
unbeeinflusst durch die Medien geleistet werden muss.
Einer solchen
Art, andere über eine politische Idee zu überzeugen, bleibt ein kleiner
Beigeschmack der schlechten Moral und des fehlenden Anstandes
haften.
Sehr viele Bürgerinnen und Bürger sind zur Zeit durch die
vielen Fusionen verunsichert. Gross- und Kleinbanken schliessen sich
zusammen, um die Gewinne zu sichern oder zu steigern, meist geht dies zu
Lasten von Arbeitsplätzen.
Firmen jeglicher Art suchen gemeinsame
Plattformen, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, aber auch um harte
Konkurrenz auszuschalten. Die wirtschaftliche Situation zwingt sie
dazu.
Sehr oft werden heute sogar politische Organisationen indirekt
gezwungen, sich zusammenzuschliessen. Komplizierte Verwaltungsabläufe,
die wir mitzuverantworten haben, lassen kleine Gemeinden verzweifeln und
drängen diese indirekt in grössere Gebilde.
Was tut die Politik?
Diese fördert direkt oder indirekt mit ihrer euphorischen
gesetzgeberischen Tätigkeit solche Fusionen. Sie ist damit
mitverantwortlich, dass Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung
auftreten.
Um diesem Umstand zu begegnen, versucht man irgendwann
dann Riegel zu schieben. Mit Kartellgesetzen lässt man früher geförderte
Grosskonzerne nicht zu mächtig werden, Grossbanken müssen Filialen
verkaufen, mit komplizierten Mechanismen bemüht man sich, gross
gewordene Gemeinden zurückzubinden, damit diese nicht zu viel Einfluss
haben, und mit wirtschaftsfördernden Massnahmen versucht man eine vorher
vom übergeordneten Staat unter Schutz gesetzte Region zu lebensfähig
erhalten.
Eine solche Politik wirkt unglaubwürdig und alles andere
als einladend.
Zum dritten Beispiel:
Ein ehemaliger
eidgenössischer Parlamentarier besitzt in einem Ferienort in Graubünden
ausserhalb der Bauzone inmitten einer beweideten Fläche ein Ferienhaus.
Während meines Präsidialjahres durfte ich diese Persönlichkeit
kennenlernen und feststellen, dass er im Gegensatz zu mir lieber schon
heute als erst morgen Mitglied der Europäischen Union werden
möchte.
Wir Schweizer würden uns einigeln, abkapseln und hätten
Angst, etwas aus unserem Garten an die Nachbarn abtreten zu müssen,
erklärte er mir während der ersten Begegnung. Ein solches Verhalten sei
kleinlich und egoistisch.
Wir Bündner sind uns der Bedeutung des
Tourismus allgemein bewusst, und so hielt ich mich mit meinen
Äusserungen in dieser Frage zurück; nahm aber gleichzeitig seine
Einladung zu einem Besuch in sein Ferienhaus an.
Zwei Wochen später
dort angekommen staunte ich nicht schlecht, wie gut dieser
EU-Befürworter, der alle Landesgrenzen sofort öffnen möchte, sein
Eigentum abgesichert hat. Vorerst begrüsste mich ein lärmiger Wachhund
inmitten einer fest und rundherum hermetisch abgezäunten
Ferienhausparzelle. Der grosse weisse Fahnenmast mit einer Schweizer-
und einer EU-Fahne wirkt als Fremdkörper in dieser ruhigen Idylle von
Weid- und Waldgebiet.
Hier müsse man das Eigentum vor dem weidenden
Vieh und dem vielen Wild schützen, rechtfertigte der Besitzer den hohen
Zaun mit einem unter Schwachstrom stehenden Zusatzdraht.
Sie können
sicher nachvollziehen, was für Gedankengänge in mir als ehemaliger Hirte
abgelaufen sind.
Ich nehme auch an, dass Sie Verständnis dafür haben,
wenn unser Gespräch bei diesem kurzen Besuch kaum über das allgemeine
Thema "Wetter" hinausging.
Wenn wir als Politiker uns so inkonsequent
verhalten, müssen wir nicht staunen, wenn die Stimmbürger die Politik
stehen lassen und passiv alles über sich ergehen lassen!
Inkonsequenz
hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, wer mit sich selber inkonsequent
ist, wirkt auch unglaubwürdig und vermag kaum jemand von seiner
politischen Idee zu überzeugen.
Meine Damen, meine Herren, es liegt
an uns Politiker, so zu handeln, dass jeder Stimmende sich ernst
genommen fühlt;es liegt an uns Parlamentariern - ob kantonal oder
eidgenössisch - politische Entscheide so zu fällen, dass diese fördernd
und nicht verhindernd unsere Wirtschaft beeinflussen; und es liegt an
uns allen, glaubwürdig zu wirken.
Insbesondere wer letzteres nicht
kann, trägt indirekt Wesentliches zur schlechten Stimmbeteiligung und
damit zur politischen Abstinenz bei.
Mit diesen einleitenden Worten
und mit dem Hinweis, dass Politik anders sein kann und sein sollte, als
es dies die vielen passiven Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sehen,
erkläre ich die diesjährige Maisession als eröffnet.
Gremium: Grosser Rat
Quelle: dt Standespräsident