Von Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf
Vorweg: Eine breite Streuung von Wohneigentum ist
gesellschaftspolitisch fraglos erwünscht. Die Volksinitiative
"Wohneigentum für alle" ist aber der falsche Weg für die Lösung eines zu
Recht aufgeworfenen Problems.
Ziele werden verfehlt
Die steuerlichen Vergünstigungen, welche die Initiative anvisiert,
können das Ziel der breiten Streuung von Wohneigentum nicht erreichen.
In diesem Sinne ist der Titel der Initiative "Wohneigentum für alle"
trügerisch. Denn zu rund drei Vierteln wären es bisherige Haus- und
Wohnungseigentümer, die in den Genuss der vorgeschlagenen
Förderungsmassnahmen gelangen würden. Mit andern Worten: die Initiative
entlastet steuerlich vorab diejenigen, die bereits ein Haus oder eine
Wohnung besitzen. In besonderem Masse würden Besserverdienende von
grösseren Steuerabzügen profitieren, da sie in einer höheren
Steuerprogression sind; bei ihnen fallen die Ermässigungen besonders ins
Gewicht.
Die Forderung der Initiative, die "massvoll" festgelegten
Eigenmietwerte "einzufrieren", widerspricht dem Gebot der
Steuergerechtigkeit, namentlich im Vergleich zu den Mieterinnen und
Mietern, deren Mietzinse im Allgemeinen nicht über Jahre konstant
bleiben. Realistischerweise muss davon ausgegangen werden, dass die
Mieten langfristig einer mittleren Inflationsrate von zwei Prozent
folgen. Ein Ja zur Initiative würde auf die Dauer auch das bestehende
Ungleichgewicht zwischen zwei Rentnerkategorien verschärfen: Zwischen
jenen, die zur Miete wohnen, und jenen, die Wohneigentümer sind. Ein Ja
hätte aber auch eine rechtsungleiche Behandlung von Eigentümern zur
Folge; denn für gleichwertige Objekte würde, je nachdem zu welchem
Zeitpunkt sie zu Eigentum erworben wurden, auf unterschiedliche
Eigenmietwerte abgestellt.
Von den von der Initiative vorgesehenen Bausparprivilegien könnten
nur kleine Teile der Bevölkerung Gebrauch machen. Gemäss Steuerstatistik
weisen lediglich etwa 15 bis 17 Prozent ein Einkommen aus, das genügend
hoch ist, um sich eine solche Spartätigkeit leisten zu können. Rund die
Hälfte dieser Steuerpflichtigen wohnt schon heute in den eigenen vier
Wänden und kann demnach das Bausparinstrument gar nicht nutzen.
Es sind, dies zeigt ein Vergleich mit der Regelung in unseren
Nachbarstaaten, verschiedene Faktoren, welche die Wohneigentumsquote in
einem Land beeinflussen. Steuerliche Gründe sind dabei nicht
ausschlaggebend. Weit stärker ins Gewicht fallen andere Faktoren, so der
Hypothekarzinssatz, das verfügbare Vermögen, die Boden- und Baupreise,
das Vorhandensein baureifer Flächen, ein tatsächlich funktionierender
Liegenschaftsmarkt.
Schliesslich sind bei Annahme der Initiative realistischerweise auch
wirtschaftliche Wachstumsimpulse nicht in dem Ausmass zu erwarten, wie
sie von den Initianten in Aussicht gestellt werden. Beim heutigen
Leerwohnungsbestand und in Anbetracht der gegebenen Bodenknappheit
würden die beabsichtigten Steueranreize vielmehr wohl zunächst zu einer
Eigentumsverlagerung bei der bestehenden Bausubstanz führen und nur in
bescheidenem Mass zu einer zusätzlichen Bautätigkeit.
Staatshaushalt gefährdet
Die Annahme der Initiative hätte demgegenüber aber gravierende
finanzielle Konsequenzen für den ohnehin bereits in Schieflage geratenen
Staatshaushalt von Bund und Kantonen. Sowohl der Bund als auch die
Kantone hätten mit Steuerausfällen in vielfacher Millionenhöhe zu
rechnen. Wird die Initiative angenommen und wird der Mietwert für
Erstwohnungen von bisher 70 Prozent (für die direkte Bundessteuer 100
Prozent) auf 60 Prozent, für Zweitwohnungen von bisher 100 Prozent auf
60 Prozent reduziert, von der Möglichkeit des Bausparens Gebrauch
gemacht und neuen Wohneigentümern in den ersten zehn Jahren die
vorgesehene steuerliche Starthilfe gewährt, werden für den Kanton
Graubünden allein bei den Kantonssteuern Steuerausfälle von 18 Mio.
Franken sofort wirksam. Längerfristig kommen bei einem "Einfrieren" der
Eigenmietwerte noch rund 7 Mio. Franken an Steuerausfällen hinzu
(ausgehend von einem Hypothekarzins von 5,5 Prozent). Die Kantonsanteile
an der direkten Bundessteuer machen rund 30 Prozent aus. Auf Bundesebene
werden bei Annahme der Initiative Steuerausfälle von 400 Mio. Franken
erwartet. Als Folge davon hätte der Kanton mit zusätzlichen sofort
wirksamen Steuerausfällen von etwa 4,3 Mio. Franken zu rechnen;
längerfristig würde es, wiederum infolge der "Einfrierung" der
Eigenmietwerte bei gleichzeitiger Erhöhung des Marktmietwerts, darüber
hinaus zu zusätzlichen Steuerausfällen von rund 1,1 Mio. Franken,
allenfalls sogar 2 Mio. Franken kommen. Alles in allem hätte unser
Kanton mithin Steuerausfälle von mehr als 30 Mio. Franken zu erwarten
und zu verkraften. Und auch die Gemeinden hätten mit gegen 17 Mio.
Franken sofort wirksamen, bzw. 24 Mio. Franken Steuerausfällen (bei
Auswirkung der "Einfrierung" der Eigenmietwerte) zu rechnen. Besonders
stark betroffen wären die Tourismusgemeinden. Sie verfügen über einen
hohen Anteil an Zweitwohnungen; bei diesen aber wäre der Steuerausfall
erheblich höher als bei den Erstwohnungen.
Mit anderen Worten: Bei Annahme der zur Diskussion stehenden
Initiative wären Bund und zahlreiche Kantone, so auch der Kanton
Graubünden, aber auch verschiedene Gemeinden finanzpolitisch auf Jahre
hinaus blockiert.
Eigentumsförderung schon heute
Bereits mit der heutigen Regelung kommt man dem verfassungsrechtlich
verankerten Auftrag, Wohneigentum zu fördern, nach. Die kantonal
steuerlich massgebenden Mietwerte liegen für Erstwohnungen deutlich
unter den Marktpreisen. Für etwa die Hälfte der Wohneigentümer sind die
Abzüge für Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten höher als der zu
versteuernde Eigenmietwert; damit fahren sie sehr gut, kann doch beides
steuerlich abgezogen werden. Wenn bei der heutigen desolaten Finanzlage
Bund und Kantonen rund 1,9 Mia. Franken an Steuergeldern entzogen werden
sollen, sollte man sich zumindest auch Gedanken darüber machen, wie
dieser Steuerausfall - von dem nur eine bestimmte Gruppe der
Steuerzahler profitieren würde - finanziert werden kann. Die durch die
Initiative verursachten Steuerausfälle müssten irgendwo wieder
hereingeholt werden; entweder durch Sparen bzw. Kürzung in verschiedenen
Bereichen oder durch Erhöhung der Steuern. Daran aber können doch
letztlich gerade auch Wohneigentümer kein Interesse haben, sind doch
auch sie Konsumenten, Arbeitnehmer, Unternehmer und damit auch an einem
prosperierenden Wirtschaftsstandort Schweiz mit einem gesunden
öffentlichen Finanzhaushalt interessiert.
Das Anliegen der Eigentumsförderung, seit 1972 als Auftrag in der
Bundesverfassung verankert, ist an sich unbestritten. Die entsprechenden
Bemühungen sollten aber vorab auf neue Eigentümer ausgerichtet sein,
nicht hauptsächlich auf solche, die bereits Wohneigentum haben. Zu
prüfen wird sein, ob mit einem Systemwechsel (kein Eigenmietwert, aber
auch kein oder bloss beschränkter Abzug von Schuldzinsen und kein Abzug
für Unterhaltskosten), der in jedem Fall sorgfältig austariert werden
müsste, dieses Ziel allenfalls besser erreicht werden kann.
NEIN zur Initiative
Bund und Kantone bemühen sich heute um eine wirksame
Sanierungspolitik in sozialverträglichen Schritten. Der Spielraum für
mehrheitsfähige, ins Gewicht fallende Einsparungen ist sehr eng.
Die Initiative "Wohneigentum für alle" ist, diese Auffassung der
Vorsteherin des Finanz- und Militärdepartementes wird von der Bündner
Regierung geteilt, im Interesse der prioritären Gesundung des
Staatshaushalts und auch aus sozialpolitischen Überlegungen abzulehnen.
Gremium: Finanz- und Militärdepartement
Quelle: dt Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf