Die geltende Verfassung vermag den heutigen Anforderungen nicht mehr
zu genügen. Die Verfassungskommission hat im Auftrag der Regierung einen
Vorentwurf für eine neue Kantonsverfassung und einen erläuternden
Bericht dazu vorgelegt. Das Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement
eröffnet das Vernehmlassungsverfahren zu den darin enthaltenen
Vorschlägen. Die ganze Bevölkerung ist eingeladen, zur neuen Verfassung
Stellung zu nehmen.
Die vorgeschlagene Totalrevision hat das Ziel, ein modernes,
bürgernahes und zukunftsgerichtetes Grundgesetz zu schaffen, das
Bewährtes stärkt und die notwendigen Neuerungen einführt. Angestrebt
werden eine bürgerfreundliche Staatsorganisation, eine effiziente und
wirtschaftliche Zuständigkeitsordnung auf allen staatlichen Ebenen,
demokratische und gleichzeitig sach- und zeitgerechte
Entscheidungsverfahren sowie eine verständliche und klare Sprache.
Die grössten Änderungen betreffen drei Bereiche, nämlich die
Volksrechte, die Parlamentswahlen sowie die Verwaltungsgliederung. So
hat die Verfassungskommission den Bereich der Volksrechte grundlegend
neu geordnet. Die vorgeschlagenen Änderungen sind aufeinander abgestimmt
und ergeben ein ausgewogenes Paket, das den staatlichen Behörden und den
Stimmberechtigten klare Vorteile bringt. Neu sollen beispielsweise die
Gemeinden bestimmen können, ob sie den niedergelassenen Ausländerinnen
und Ausländern das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene verleihen
wollen. Beim Referendum schlägt die Kommission vor, dass
Gesetzesänderungen in Zukunft nicht mehr dem obligatorischen, sondern
dem fakultativen Referendum unterliegen. Die Abstimmung findet statt,
wenn 1'500 Stimmberechtigte oder ein Fünftel der Mitglieder des Grossen
Rates dies verlangen. Das Volk wird also auch in Zukunft über alle
wichtigen oder umstrittenen Gesetze befinden können. Gleichzeitig sieht
die Verfassungskommission verschiedene Möglichkeiten für eine
differenzierte Meinungsäusserung vor: Grundsatzabstimmungen,
Abstimmungen über Varianten und das konstruktive Referendum.
In Bezug auf den Grossen Rat schlägt die Verfassungskommission einen
Wechsel zum Verhältniswahl-Verfahren (Proporz) vor, denn in einem
Kantonsparlament sollen möglichst alle Bevölkerungsgruppen angemessen
vertreten sein. Mit dem neuen Verfahren haben die verschiedenen
Gruppierungen politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Art eher die
Möglichkeit, im Parlament angemessen vertreten zu sein. Die Vertretung
soll dem realen Stärkeverhältnis entsprechen und nicht vom Willen der
Mehrheit abhängig sein. Nach Auffassung der Verfassungskommission sollen
zudem neu die Bezirke die Wahlkreise für die Grossratswahlen bilden.
Die Schaffung von sieben Regionen, die sowohl vom Kanton als auch
von den Gemeinden Aufgaben übernehmen, gehört zu den wichtigsten
Neuerungen im vorliegenden Verfassungsentwurf. Die Kreise bleiben jedoch
weiterhin bestehen. Durch eine neue Verwaltungsebene sollen die
Gemeinden entlastet und somit gestärkt werden. Gleichzeitig können auch
Aufgaben vom Kanton zu den Regionen verschoben werden. Allerdings soll
nicht die Verfassung, sondern die Gesetzgebung die genauen
Zuständigkeiten der Regionen regeln.
Mit der Totalrevision der Kantonsverfassung besteht die Möglichkeit,
staatspolitische Grundsatzfragen zur Diskussion zu stellen. Sie bietet
die umfassende Gelegenheit, Reformen und Anpassungen dort vorzunehmen,
wo die geltende Verfassung nicht mehr zeitgemäss ist. Weitere
Hauptpunkte der vorgeschlagenen Kantonsverfassung können wie folgt
zusammengefasst werden:
- Klares Bekenntnis zur Dreisprachigkeit
- Verankerung der Grundrechte und der Eigenverantwortung
- Einführung einer kantonalen Verfassungsgerichtsbarkeit
- Stellung und Zusammenarbeit der Gemeinden
- Systematische Übersicht über die wichtigsten Staatsaufgaben
Eine Verfassung drückt in grundsätzlichen Bestimmungen aus, wie die
Bürgerinnen und Bürger ihren Staat in Bezug auf die öffentlichen
Aufgaben, die Behördenorganisation sowie ihre Rechte und Pflichten
ausgestalten wollen. Sie muss versuchen, die Gemeinsamkeiten innerhalb
des Kantons zu erfassen. Damit die Verfassung diesem Grundkonsens
bestmöglich entspricht, sollen sich alle Bürgerinnen und Bürger zum
Verfassungsentwurf äussern können. Die Regierung erhofft sich zahlreiche
Stellungnahmen. Mit der Vernehmlassung will sie erfahren, ob der
Verfassungsentwurf mehrheitsfähig ist und wo allfällige Änderungen nötig
sein könnten. Denn nur eine Verfassung, die von einer grossen Mehrheit
der Stimmberechtigten akzeptiert und für gut befunden wird, ist ein
tragfähiges Fundament für unseren Kanton.
Am 28. September 1997 haben die Stimmberechtigten beschlossen, dass
die Verfassung des Kantons Graubünden einer Totalrevision zu unterziehen
sei. Die Regierung hat im Januar 1998 eine 30-köpfige
Verfassungskommission eingesetzt und mit der Ausarbeitung einer neuen
Verfassung beauftragt. Die Zusammensetzung der Kommission trägt der
Vielgestaltigkeit Graubündens Rechnung.
Gremium: Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement Graubünden
Quelle: dt Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement Graubünden