Ende April 2000 wurde die Fischpass-Anlage mit Dotierturbine beim
Kraftwerk Reichenau nach rund einjähriger Bauzeit in Betrieb genommen.
Erstmals können nach einem Unterbruch von 38 Jahren die Rheinlanken
(Seeforellen) wieder vom Bodensee zu den ursprünglichen Laichplätzen im
Vorder- und Hinterrhein aufsteigen.
Mit der neuen Fischtreppe ist wohl ein entscheidender Schritt zur
Rettung der Rheinlanke gelungen. Die Reusenfänge zeigen, dass seit
August dieses Jahres schon rund 280 Rheinlanken und 500 Bachforellen die
Fischtreppe passiert haben. Das rund sechs Millionen Franken teure
Bauwerk hat seine "Feuertaufe" erfolgreich bestanden.
Grossprojekt Fischpass-Anlage
Die Fischpass-Anlage beim Kraftwerk Reichenau ist wohl das
aufwändigste Bauwerk dieser Art in der Schweiz. Das Projekt wurde von
der Patvag Kraftwerke AG mit massgeblicher Unterstützung durch Bund und
Kanton finanziert. Beim Ausbau der Nationalstrasse zwischen Chur und
Reichenau hat sich 1987 das Bundesamt für Strassenbau verpflichtet, als
Abgeltung für nachteilige Auswirkungen bei der Verlegung des Rheinbettes
einen Kostenbeitrag von 50 Prozent der damals auf 5.2 Millionen Franken
veranschlagten Kosten für einen Fischpass zu übernehmen.
Das 1999 bewilligte Projekt umfasst den Fischpass mit
Dotierwasser-Vorrichtung, den Einbau einer Dotierturbine sowie den Bau
eines Einlaufrechens mit Rechenreinigungs-Anlage. Die Gesamtkosten
belaufen sich auf rund sechs Millionen Franken. Nach eingehender Prüfung
hat man sich für den Einbau eines so genannten Schlitzpasses
(Vertical-Slot-Fischpass) entschieden. Dieser modifizierte Beckenpass
wurde in Nordamerika entwickelt und wird auch in Europa zunehmend
eingesetzt. Seine Vorteile gegenüber herkömmlichen Systemen sind
unbestritten. Die Trennwände zwischen den einzelnen Becken weisen einen
vertikalen Schlitz auf, der sich über die ganze Beckenhöhe erstreckt.
Die Sohle ist durchgehend mit groben Steinen ausgekleidet, sodass die
Fliessgeschwindigkeit in Bodennähe stark reduziert ist. Der Schlitzpass
eignet sich deshalb auch für schwimmschwache Fischarten und kleine
Fische.
Der Fischpass an der linken Wehrmauer überwindet die beachtliche
Höhendifferenz von zwölf Metern. Er besteht aus 56 Becken mit einer
Länge von je drei Metern und einer Breite von rund zwei Metern.
Zusätzlich sind drei Ruhebecken mit einer Länge von sechs Metern
eingebaut. Der Höhenunterschied zwischen den Becken beträgt 20
Zentimeter. Der Fischpass ist auf eine Wassermenge von 525 Liter pro
Sekunde ausgelegt. Im untersten Abschnitt wird das Dotierwasser
zugeleitet, sodass beim Einstieg des Fischpasses eine optimale
Lockwasserwirkung erzielt werden kann. Mit der ständigen Dotierung der
Rheinstrecke zwischen Wehr und Zentrale mit drei Kubikmetern pro Sekunde
wird sichergestellt, dass die Fische in die bisher meist trockene
Restwasserstrecke einsteigen und bis zum Fischpass gelangen können.
Erfolgreicher Fischaufstieg
Um die Funktionstüchtigkeit der Fischpass-Anlage überprüfen zu
können, wurde im obersten Abschnitt eine Fischreuse eingebaut. Die
bisherige Auswertung der Reusenfänge durch den Hauptfischereiaufseher
zeigt eindrücklich, dass der Fischaufstieg funktioniert und bereits
zahlreiche See- und Bachforellen die Fischtreppe passiert haben.
Insgesamt wurden vom 10. August bis zum 24. Oktober rund 280 Rheinlanken
und 500 Bachforellen registriert. Die Reusenfänge erlauben zudem
wichtige Rückschlüsse auf das Wanderverhalten und den Zustand der
Fische. Obwohl die ersten Rheinlanken bereits im August in Reichenau
ankommen, setzt die Hauptwanderung zu den Laichgebieten offensichtlich
erst gegen Ende September ein. Die Laichwanderung der Bachforelle, die
deutlich früher ablaicht, erreicht hingegen bereits im August und
September ihren Höhenpunkt. Die Grösse der Rheinlanken ist
beeindruckend. Der grösste bisher gefangene Fisch erreichte eine Länge
von knapp 90 cm und ein Gewicht von 8.3 Kilo.
Die stark gestiegenen Fangzahlen nach den Hochwasser-Ereignissen vom
6. August und 13. Oktober dieses Jahres weisen darauf hin, dass durch
die massiven Hochwasser insbesondere kleinere Bachforellen flussabwärts
verdriftet wurden. Mit so genannten Kompensationswanderungen versuchen
die Fische, möglichst schnell wieder in ihren angestammten Lebensraum zu
gelangen.
Bezüglich der Rückwanderung der abgelaichten Fische werden mit
Unterstützung des Kraftwerks neue Lösungen erarbeitet. Als erste
wichtige Massnahme wurde die revisionsbedingte Entleerung des
Staubeckens vom November in den Mai vorverlegt. Dies hat den Vorteil,
dass die Auswirkungen der Entleerung im Unterlauf des Alpenrheins kaum
mehr spürbar sind und die abwandernden Rheinlanken nur kurze Zeit im
Staubecken warten müssen. Die Jungfische können die Turbinen ungehindert
passieren.
Rettungsprogramm Seeforelle
Fast wäre die Bodensee-Seeforelle (Rheinlanke) Anfang der 80-er
Jahre ausgestorben. Die dramatische Bestandsentwicklung lässt sich
anhand der Laichfischfänge unterhalb des Stauwehrs in Domat/Ems
eindrücklich verfolgen. Der Initiative der Internationalen
Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) und der
Fischerei-Fachstellen am Alpenrhein ist es zu verdanken, dass die wohl
faszinierendste Fischart unserer Region gerettet werden konnte. Ende der
70-er Jahre wurden die wichtigsten Ursachen für den Bestandeseinbruch
erkannt und Förderungsmassnahmen schrittweise umgesetzt. Zu den
wichtigsten Massnahmen gehören die Einführung von Fangbeschränkungen für
die Bodensee-Fischerei, der Aufbau eines umfassenden Nachzucht-Programms
sowie die Beseitigung der Wanderhindernisse in den Zuflüssen. Der Bau
der Fischpass-Anlage beim Kraftwerk Reichenau stellt zweifellos einen
Meilenstein auf diesem Weg dar.
Aufwertung der Fisch-Lebensräume
In der Fischerei setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass
artenreiche Fischbestände nur erhalten und gefördert werden können, wenn
es gelingt, naturnahe Gewässer zu erhalten, aufzuwerten oder
wiederherzustellen. Der Artenschutz ist deshalb untrennbar mit dem
Schutz der Lebensräume verknüpft. Im Bündner Abschnitt des Alpenrheins
reduzierte sich die Zahl der Fischarten in den letzten 100 Jahren von 20
auf deren neun. Die Seeforelle steht stellvertretend für viele andere
Fischarten, die nicht weniger bedroht sind (z.B. Äsche, Strömer, Nase).
Der Artenrückgang wurde massgeblich durch den Verlust an naturnahen
Lebensräumen ausgelöst. Die Flüsse in den Tallagen sind oft naturfern
verbaut oder durch andere Eingriffe stark beeinträchtigt. Letzte
naturnahe Abschnitte finden sich zum Beispiel noch im Auengebiet
zwischen Untervaz und Mastrils. Die Verbindung der Seitengewässer zum
Alpenrhein fehlt weitgehend. Das Beispiel der Seeforelle zeigt, wie
wichtig die intakte Vernetzung der Lebensräume ist. Die Revitalisierung
und Vernetzung der Fisch-Lebensräume stellen deshalb vordringliche
Aufgaben zur Förderung der Fischbestände dar.
Die Anstrengungen der letzten Jahre zur Revitalisierung der Gewässer
sind positiv zu werten (z.B. Flussaufweitung Felsberg). Die
Internationale Regierungskommission Alpenrhein, in der alle
Rheinanlieger vertreten sind, unterstützt diese Anliegen. Ihre
Bestrebungen haben zum Ziel, die vielfältigen Nutzungsinteressen am
Alpenrhein unter gebührender Berücksichtigung ökologischer Aspekte zu
koordinieren. Schutz und Nutzung sollen zukünftig in einem Gleichgewicht
stehen.
Betreffend Revitalisierung der Fischgewässer werden auch im neuen
kantonalen Fischereigesetz, das am 26. November 2000 zur Abstimmung
kommt, neue Schwerpunkte gesetzt. Es sollen zukünftig mehr finanzielle
Mittel bereitgestellt werden, um den Lebensraum für eine möglichst
vielfältige Fischfauna zu verbessern.
Gremium: Jagd- und Fischereiinspektorat Graubünden
Quelle: dt Jagd- und Fischereiinspektorat Graubünden