Am 27. Februar 2000 jährt sich das Vivian-Sturmereignis zum zehnten
Mal. In der Öffentlichkeit ist dieses Thema kaum mehr präsent, da die
unmittelbare Gefahr für Mensch und Tier gebannt ist und die Wunden
allmählich vernarben. Für Waldbesitzende hingegen sind derartige
Grossereignisse oft mit finanziellen Folgen verbunden. Kostspielige
Verbauungen Aufforstungen, Jungwald-Pflege, Forstschutz-Massnahmen und
Sanierungen müssen erstellt werden. Solche Arbeiten können mehrere
Jahre, oft auch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Im Wald sind hingegen
grössere Wunden erst ausgeheilt, wenn ein Gleichgewicht hergestellt und
die Stabilität so weit fortgeschritten ist, dass die vielfältigen
Aufgaben langfristig wieder erfüllt werden können. Heute, zehn Jahre
nach Vivian, könnten die nachfolgenden Feststellungen und Erfahrungen
auch für das Bewältigen der Lothar-Schäden nützlich sein.
Die Windwürfe und Windbrüche durch den Orkan Vivian vom 27. Februar
1990 waren das bisher grösste Waldschaden-Ereignis in Graubünden. Andere
Schäden durch Lawinenniedergänge, Stürme, Nassschnee, Waldbrände etc.
nehmen sich daneben vergleichsweise bescheiden aus, treten aber doch
relativ häufig auf. Im Durchschnitt müssen im Kanton die Hälfte aller
Bäume zwangsweise, d.h. auf Grund von Schäden und Krankheiten, genutzt
werden. Der Vivian hingegen lieferte 720'000 Kubikmeter Schadholz, was
220 Prozent einer jährlichen Nutzung entspricht. Davon blieben
schätzungsweise acht bis zehn Prozent im Wald liegen. Es handelte sich
vorwiegend um einzeln verstreute Bäume, um Giebel- und Erdstücke sowie
um zersplitterte Stammabschnitte.
Unmittelbar nach dem Ereignis kam der kantonale Krisenstab für den
koordinierten Einsatz von Militär und Zivilschutz zum Einsatz. In den
Regionen galt es, zur Öffnung wichtiger Verkehrsträger und zur
Verminderung weiterer Gefahren erste Sofortmassnahmen zu ergreifen.
Anhand der Schadenmeldungen der Kreisförster wurden anschliessend die
Prioritäten für die Räumungsarbeiten nach folgenden Kriterien abgestuft:
1. Sicherheit für Menschen und erhebliche Sachwerte,
Sofortmassnahmen zur Erleichterung der Arbeiten.
2. Schutz der zurückbleibenden Wälder aus phytosanitarischen
Gründen, namentlich zur Vermeidung von Käferbefall.
3. Schutz des vorhandenen Jungwalds.
4. Räumung ausschliesslich aus wirtschaftlichen Gründen.
5. Minimale Bearbeitung des Holzes aus phytosanitarischen und
sicherheitstechnischen Gründen, jedoch ohne Verkauf des Holzes.
6. Keine Massnahmen, Holz kann ohne Gefahr im Wald liegen bleiben.
Allgemein war man der Meinung, es solle möglichst viel Holz
gerüstet, aus dem Wald geholt und verkauft werden, ungeachtet des
Zusammenbruchs des Holzmarkts. Der Druck gegen das Liegenlassen kam vor
allem von den Waldbesitzern. Man erwartete einen Reinerlös dank
Subventionen, wenn man das Holz verkaufte. Der Kanton hatte leider keine
rechtlichen Möglichkeiten, die festgelegten Prioritäten durchzusetzen.
In der Folge wurden an den meisten Orten zuerst die flächigen
Schäden geräumt. Aufwändigere verstreute Schäden gerieten dadurch ins
Hintertreffen. Schliesslich waren sie auch häufig Ausgangspunkte einer
Borkenkäfer-Kalamität. Diese hatte ihren Höhepunkt 1993 und dehnte sich
infolge weiterer Ereignisse bis 1996 aus. Wird das in den Jahren 1990
und 1991 gerüstete Windwurfholz dem Käferbefall 1990-94
gegenübergestellt, so entstand neben Vivianschäden mindestens noch 25
Prozent Käferholz. Die Anteile in den einzelnen Forstkreisen variieren
zwischen fünf und 55 Prozent. Sie betrugen in der Surselva 53, 31, 13,
55 und 23 Prozent.
Die Lehren aus der damaligen Sturmschaden-Bewältigung können wie
folgt zusammengefasst werden:
1. Konsequente Forstschutz-Massnahmen lohnen sich. Die festgelegten
Prioritäten müssen aber auch durchgesetzt werden, und vor allem ist mehr
Gewicht auf eine zeitgerechte Ausführung zu legen. Werden Massnahmen
ergriffen, wenn die Käfer bereits ausgeflogen sind, so sind sie
wirkungslos.
2. Die Ansätze für eine differenzierte Beurteilung der einzelnen
Schadenflächen waren gut, sind aber noch verbesserungsfähig.
3. Das damalige Subventionssystem von Bund und Kanton war zu wenig
differenziert. Für die meisten Fälle war es gut, aber es gab
Situationen, wo es falsche Anreize schaffte und zu Holztransporten
verleitete, die aus volkswirtschaftlicher Sicht besser unterblieben
wären.
Inzwischen hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Eidg.
Forstdirektion Erkenntnisse der Forschung und Erfahrungen der Praxis mit
der Bewältigung der Vivian-Schäden zusammengetragen. Als Ergebnis liegt
eine Entscheidungshilfe für das Räumen oder Liegenlassen von Holz nach
flächigen Sturmschäden vor. Die Absicht bestand in erster Linie, auf
Grund ganzheitlicher Überlegungen vermehrt Holz liegen zu lassen und
damit den Anliegen des Naturschutzes gerecht zu werden. Gleichzeitig
erhalten die Subventionsbehörden aber auch Kriterien für das Ausrichten
von Beiträgen beim Beheben von Waldschäden. Diese Entscheidungshilfe ist
wegleitend für die Bewältigung der Lotharschäden vom 26. Dezember 1999.
Gremium: Forstinspektorat Graubünden
Quelle: dt Forstinspektorat Graubünden