Die Infektion mit dem Erreger der Gämsblindheit ist in Schweizer
Schafpopulationen weit verbreitet. Bei Gämsen hingegen kann sich die
Infektion nicht auf Dauer halten.
Kurztext:
Kürzlich abgeschlossene Untersuchungen im Rahmen des Projekts
Gämsblindheit haben ergeben, dass die Infektion mit Mycoplasma
conjunctivae, dem Erreger der Gämsblindheit, in der Schweizer
Schafpopulation weit verbreitet ist. Die Infektion wird offensichtlich
durch häufige Kontakte zwischen Schafen verschiedener Herden aufrecht
erhalten. Hingegen tritt die Gämsblindheit bei der Gämse nur sporadisch
auf, und die Infektion kann sich innerhalb der Wildtierpopulation nicht
auf Dauer halten.
Die Gämsblindheit ist innerhalb einer Herde oder eines Rudels hoch
ansteckend. Auf kurze Distanz ist der Erreger leicht übertragbar.
Hingegen ist die zwischenartliche Übertragung, die grundsätzlich sowohl
von Haustier auf Wildtier als auch von Wildtier auf Haustier möglich
ist, ein selteneres Ereignis. Dies erklärt das lediglich sporadische
Auftreten der Gämsblindheit bei Gämse und Steinbock.
Die Bekämpfung der Gämsblindheit beim Schaf ist heute auf
Herdenebene nicht möglich. Schuldzuweisungen sind deshalb fehl am Platz.
Im Rahmen des Projekts Gämsblindheit werden derzeit Massnahmen zur
Bekämpfung der Infektion erforscht.
Ausführliche Fassung:
Die Gämsblindheit ist die häufigste Augenerkrankung der Wiederkäuer.
Sie kommt sowohl bei Schaf und Ziege als auch bei Gämse und Steinbock
vor. In die Schlagzeilen gerät die Gämsblindheit bei explosionsartigen
Epidemien, die sporadisch bei Wildtieren losbrechen. Beispiele dafür
sind die Epidemie beim Steinbock in Arosa im Jahr 1993 oder jene im
Simmental und in der Gruyère bei der Gämse in den Jahren 1997 bis 1999.
Dabei starben Hunderte von Wildtieren an den Folgen von Abstürzen oder
an allgemeiner Schwäche. Ein Forschungsprojekt der Universität Bern im
Auftrag der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden (NGG) und des
Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), soll die wichtigsten
Fragen in Zusammenhang mit der Gämsblindheit klären und Massnahmen zur
Bekämpfung dieser Krankheit entwickeln.
Nun liegen in der Schweiz neue wichtige Ergebnisse über die
Verbreitung der Infektion mit Mycoplasma conjunctivae, dem Erreger der
Gämsblindheit, vor. Es wurden systematisch gesammelte Blutproben von
Schafen und Gämsen auf das Vorhandensein von Antikörpern untersucht. Die
Ergebnisse zeigen, dass die Infektion in der Schweizer Schafpopulation
weit verbreitet ist. Das Schaf ist ein Reservoir für M. conjunctivae.
Die Übertragung des Erregers wird offensichtlich durch den häufigen
Tierverkehr (häufige Durchmischung von Herden) begünstigt. Auf Grund von
Blutuntersuchungen wurde hingegen festgestellt, dass sich der Erreger
innerhalb von Gämspopulationen in Graubünden auf Dauer nicht etablieren
kann. In den Alpen der Ostschweiz ist die Gämse ein Sackgassenwirt.
Das lediglich sporadische Auftreten von Epidemien der Gämsblindheit
bei den Wildtieren deutet darauf hin, dass die zwischenartliche
Übertragung von M. conjunctivae selten ist. Eine infizierte Schafherde
ist daher nicht zwingend Ausgangspunkt für eine neue Epidemie bei Gämsen
oder Steinböcken. Dennoch sollte darauf geachtet werden, dass Schafe mit
Symptomen der Gämsblindheit nicht unbehandelt zur Sömmerung zugelassen
werden.
Erkrankte Schafe können mit antibiotischen Augensalben behandelt
werden. Damit können die meisten Tiere geheilt werden. Beim Schaf ist
die Bekämpfung der Gämsblindheit auf Herdenebene derzeit aber nicht
möglich, weil der dazu nötige Impfstoff fehlt. Schuldzuweisungen sind
deshalb fehl am Platz. Schafhalter treten für die Gesunderhaltung ihrer
Tiere ein, wenn wirksame Massnahmen zur Krankheitskontrolle vorhanden
sind. Dies zeigt beispielsweise das Programm zur Bekämpfung der
Moderhinke, das derzeit in Graubünden und in St. Gallen mit einigem
Erfolg umgesetzt wird. Im Rahmen des Projekts Gämsblindheit werden nun
Massnahmen zur Bekämpfung der Infektion erforscht und getestet.
Die Gämsblindheit (Hintergrundinformationen)
Die infektiöse Keratokonjunktivitis (IKK) - auch Gämsblindheit
genannt - ist die häufigste Augenerkrankung der Wiederkäuer. Der
Ausdruck "infektiöse Keratokonjunktivitis" steht für einen klinischen
Zustand, der grundsätzlich nicht mit einem bestimmten Infektionserreger
assoziiert werden kann. In den Alpen spielt bei Schaf, Gämse und
Steinbock Mycoplasma conjunctivae die entscheidende Rolle als Erreger
der IKK.
Die IKK kommt beim Schaf weltweit vor, und auch bei der Ziege ist
diese Erkrankung in vielen Ländern beschrieben. An IKK erkranken aber
nicht nur kleine Hauswiederkäuer, sondern auch Gämsen, Steinböcke,
Mufflons und Thars. Die Auswirkungen der IKK sind je nach Epidemie und
betroffener Tiergruppe unterschiedlich. Bei den Nutztieren tritt die
Krankheit meist bei Jungtieren auf und die Symptome sind meist mild.
Blinde Haustiere können in der Regel geheilt werden. Auch bei den
Wildtieren verläuft die IKK meist in einer milden Form, die Tiere
sterben verstreut. Allerdings ist bei Gämsen und Steinböcken in
einzelnen Epidemien ein gehäuftes Zugrundegehen zu verzeichnen. Die
Mortalität kann bis zu 30 Prozent betragen.
Eine Epidemie der Gämsblindheit in der Steinbockkolonie Arosa im
Jahr 1993 gab der Erforschung von M. conjunctivae-Infektionen sowohl bei
Nutz- als auch bei Wildtieren neue und entscheidende Impulse. Das
"Forschungsprojekt Gämsblindheit" der Universität Bern hat in den
letzten Jahren den Wissensstand über die Gämsblindheit dadurch vertiefen
können, dass verschiedene Disziplinen und Interessengruppen koordiniert
ihren Beitrag geleistet haben. So konnte die ursächliche Rolle von M.
conjunctivae auch beim Steinbock durch eine experimentelle Infektion
nachgewiesen werden. Auch ist der Nachweis erbracht worden, dass
einzelne M. conjunctivae-Stämme für artfremde Wiederkäuer, die
grundsätzlich für Infektionen mit M. conjunctivae empfänglich sind,
krankmachend sind. Weiter konnte durch verhaltensbiologische und
insektenkundliche Arbeiten aufgezeigt werden, dass die zwischenartliche
Übertragung des Erregers auf alpinen Weiden möglich ist, was für die
Bekämpfung der Gämsblindheit von zentraler Bedeutung ist.
Im Rahmen des Projekts Gämsblindheit wurden neue
molekularbiologische und serologische Tests für einen raschen Nachweis
von Infektionen mit M. conjunctivae entwickelt und etabliert (PCR,
Western-Blot, ELISA). Mittels dieser Methoden konnten die Dynamik der
Immunantwort nach Infektionen mit M. conjunctivae charakterisiert und
retrospektiv M. conjunctivae-Infektionen bei Schafen, Gämsen und
Steinböcken nachgewiesen werden. Auch konnte festgestellt werden, dass
die Infektion in der Schweizer Schafpopulation weit verbreitet ist. Das
Schaf ist ein Reservoir für M. conjunctivae. Die Übertragung des
Erregers wird offensichtlich durch den häufigen Tierverkehr begünstigt.
Auf Grund von Blutuntersuchungen wurde hingegen festgestellt, dass sich
der Erreger innerhalb von Gämspopulationen in Graubünden auf Dauer nicht
etablieren kann. In den Alpen der Ostschweiz ist die Gämse ein
Sackgassenwirt.
Gleichwohl bleibt die Frage über die Möglichkeiten zur wirksamen
Bekämpfung bzw. Vorbeugung von M. conjunctivae-Infektionen offen.
Derzeit angelaufene Entwicklungs- und Prüfungsarbeiten über die
Verträglichkeit und Wirksamkeit von Impfstoffen gegen Infektionen mit M.
conjunctivae beim Schaf werden weitere Forschungsergebnisse liefern.
Forschung braucht Unterstützung
Das "Forschungsprojekt Gämsblindheit" ist auf dem besten Weg,
Paradebeispiel dafür zu werden, dass ein Forschungssponsoring möglich
und sinnvoll sein kann. Ein solches Sponsoring hilft nicht nur der
Forschung, sondern auch weiteren Nutzniessern wie im vorliegenden Fall
den von einer heimtückischen Krankheit befallenen Haus- und Wildtieren.
Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine effiziente Art zu helfen.
Die Projektleitung und das Forschungsteam danken für die Unterstützung
des Projekts durch einen Obolus in den Fonds zur Erforschung der
Gämsblindheit der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden, Graubündner
Kantonalbank, 7000 Chur, PC 70-216-5, zu Gunsten von Konto: CD
232.535.704.
Gremium: Naturforschende Gesellschaft Graubünden
Quelle: dt Naturforschende Gesellschaft Graubünden