Die schweizerischen Straf- und Zivilprozessordnungen sollen nach
Auffassung des Bundesrats auf den 1. Januar 2010 in Kraft treten. Die
zwingenden bundesrechtlichen Vorgaben haben im Kanton Graubünden
erhebliche Auswirkungen für die Kreise und Gemeinden. Die Bündner
Regierung spricht sich für eine Aufgabenentflechtung bei der Justiz
aus. Sie will mit einer Teilrevision der Kantonsverfassung die
Grundsatzfrage klären, ob die richterlichen Aufgaben der Kreise künftig
den Bezirksgerichten und der Staatsanwaltschaft übertragen werden
sollen. Die Kreise bleiben Wahlkreise für den Grossen Rat und politische
Verwaltungskörper.
Die Arbeiten an der schweizerischen Straf- und der
Zivilprozessordnung (StPO bzw. ZPO) sind abgeschlossen oder werden
voraussichtlich in diesem Jahr abgeschlossen. Das Inkrafttreten ist auf
den 1. Januar 2010 geplant. Die Auswirkungen des neuen Bundesrechts
betreffen im Kanton Graubünden insbesondere die Kreise, aber auch die
Bezirksgerichte, die Gemeinden und die Staatsanwaltschaft. Vor allem die
Vorgaben der schweizerischen StPO mit der Einführung des
Staatsanwaltschaftsmodells haben erhebliche Auswirkungen für die Kreise.
Wegen des zwingenden Bundesrechts kann künftig nicht mehr die
Kreispräsidentin beziehungsweise der Kreispräsident die Strafmandate bei
Vergehen und Verbrechen erlassen, sondern direkt die Staatsanwaltschaft.
Dies führt dazu, dass bei den Kreisämtern insgesamt etwa ein Viertel der
Arbeitslast wegfällt. Mit dem Wegfall der Arbeit verlieren die Kreise
aber auch die Hälfte ihrer Einnahmen aus den richterlichen Aufgaben oder
rund 3.3 Millionen Franken pro Jahr. Die Einnahmenausfälle können nicht
gänzlich durch Personalabbau kompensiert werden; je nach Stellenabbau
steigt das jährliche, von den Gemeinden zu deckende Defizit der Kreise
um zwei bis drei Millionen Franken.
Für die Regierung kommen für die Umsetzung der StPO und der ZPO in
Graubünden nur zwei Lösungsansätze in Frage:
Variante A: Die Umsetzung beschränkt sich auf die zwingend nötigen
Anpassungen an das Bundesrecht. Die Kreise behalten die verbleibenden
richterlichen Aufgaben. Die Mehrkosten bleiben bei den Kreisen
beziehungsweise den Gemeinden.
Variante B: Die Umsetzung erfolgt durch eine Reform der
Gerichtsorganisation mit dem Ziel, die Justizaufgaben zu entflechten und
eine klare Zuständigkeitsordnung mit einfacheren Strukturen zu schaffen;
dies strebt auch das Projekt "Bündner NFA" an. Die bisherigen
richterlichen Aufgaben der Kreise werden der Staatsanwaltschaft
(Strafrecht) beziehungsweise den Bezirksgerichten (Zivilrecht)
übertragen. Die Kreise bleiben Wahlkreis für den Grossen Rat und
politische Verwaltungskörper.
Nach Auffassung der Regierung überwiegen die Vorteile der
Variante B deutlich:
Die bestehenden dezentralen Strukturen der Staatsanwaltschaft und
der Bezirksgerichte werden ausgebaut. Bürgernähe und Vertrautheit mit
den lokalen Gegebenheiten bleiben gewährleistet.
Durch die dezentrale Aufgabenerfüllung gibt es keine Konzentration
von Arbeitsplätzen in Chur. Die Regierung strebt eine
sozialverträgliche Umsetzung an; die bisherigen Mitarbeitenden der
Kreise sollen wenn möglich durch die Bezirke beziehungsweise die
Staatsanwaltschaft übernommen werden.
Die Trennung von Politik und Justiz stärkt die Kreise als politische
Staatsebene. Die Kreise bleiben zudem Wahlkreise für die Mitglieder des
Grossen Rats. Die Gemeinden entscheiden, welche Verwaltungsaufgaben sie
den Kreisen übertragen.
Die Beschränkung der Umsetzung auf das zwingend Notwendige hätte
Mehrkosten bei den Gemeinden zur Folge. Die Übertragung der
richterlichen Aufgaben der Kreise an die Staatsanwaltschaft
beziehungsweise die Bezirksgerichte schafft die Voraussetzungen, dass
die Finanzierung der Justiz künftig zu 100 Prozent durch den Kanton
erfolgt. Die Gemeinden werden dadurch finanziell entlastet.
Durch die Zuweisung von Aufgaben an eine Ebene lassen sich
einfachere Strukturen realisieren. Weil Abgrenzungsprobleme und
Schnittstellen entfallen, können Abläufe und Verfahren vereinfacht und
der Handlungsspielraum der zuständigen Ebene (Kanton oder Gemeinde)
vergrössert werden. Dies will auch das Projekt "Bündner NFA".
Im Vergleich zu heute kann die Umsetzung der StPO und ZPO
kostenneutral erfolgen. Für die Steuerpflichtigen ergeben sich keine
Mehrbelastungen.
Die Regierung ist überzeugt, dass ein Festhalten an der heutigen
Organisation wegen der Mehrkosten für die Gemeinden nur eine
kurzfristige Lösung darstellen würde. Damit die Justiz ihre Kernaufgabe
- nämlich die Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung von
Rechtsfrieden und Rechtssicherheit - gut erfüllen kann, sollte ihre
Organisation auf einer gewissen Stabilität beruhen. Diese Stabilität
kann aber nur eine Reform der Gerichtsorganisation zur Umsetzung der
StPO und ZPO verschaffen.
Aus Sicht der Justiz bestehen keine Vorbehalte gegen diese Lösung.
Das Kantonsgericht als Aufsichtsbehörde über die Organe der Zivil- und
Strafgerichtsbarkeit beurteilt den Vorschlag der Regierung als richtig,
zweckmässig und zukunftsorientiert. Der Verband Bündnerischer
Kreispräsidentinnen und Kreispräsidenten hat sich für ein Festhalten an
den bisherigen Justizaufgaben der Kreise ausgesprochen, soweit dies
bundesrechtlich noch zulässig ist.
Wegen den knappen zeitlichen Vorgaben des Bundes erfolgt die
Umsetzung von StPO und ZPO in Graubünden gestaffelt. Im Rahmen einer
Teilrevision der Kantonsverfassung soll bis Anfang 2009 die
Grundsatzfrage geklärt werden, ob den Kreisen auch künftig richterliche
Aufgaben zukommen sollen oder nicht. Die Vernehmlassung zur Teilrevision
der Kantonsverfassung beginnt Ende März 2008 und dauert bis Ende Juni
2008. Die Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgaben auf Stufe Gesetz und
Verordnung erfolgt in einem zweiten Schritt bis Herbst 2009. Das
Inkrafttreten ist auf den 1. Januar 2010 geplant.
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden