von Claudio Lardi, Regierungspräsident
Wiederholt habe ich in meiner Amtszeit auf die Entwicklung der Geburtenzahlen im Kanton Graubünden hingewiesen. Dies habe ich in der Überzeugung getan, dass der Trend mit sinkenden Geburtenzahlen erhebliche Auswirkungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft haben wird. Manchmal fühlte ich mich allerdings mit meinen gut gemeinten aber ungünstigen Neuigkeiten in einer Lage, die jener eines Meteorologen gleicht.
Der Meteorologe macht das Wetter nicht. Er sammelt Daten, analysiert die Wetterlage und fertigt eine Prognose an. Über einen Wetterdienst informiert er beispielsweise, dass ein robustes Tief kalte und feuchte Luft gegen unser Land führt. Die Prognose für den Folgetag kann am Vormittag einsetzenden ergiebigen Schneefall bis ins Mittelland vorsehen. Aber eben: Risikofreudige Verkehrsteilnehmer begeben sich, Prognose hin oder her, mit Sommerausrüstung und der häufig unbegründeten Hoffnung auf die Strasse, es werde schon nicht so schlimm wie vorhergesagt.
Einem ähnlichen methodischen Ansatz wie der Meteorologe folgt das Erziehungsdepartement, indem es Daten zu Geburtenzahlen sammelt und analysiert. Es informiert die Öffentlichkeit mit einem jährlich aktualisierten Kurzbericht des Departementssekretariats zu den Geburtenzahlen unter
www.ekud.gr.ch.
Die Geburtenzahlen sind von 2433 Kindern im Jahr 1992 auf 2011 Kinder im Jahr 2000 gesunken und stehen im Jahr 2009 bei 1619 Kindern.
In den letzten Jahren weist Graubünden auch einen negativen Migrationssaldo bei Kindern bis zur sechsten Klasse auf. Es ziehen bis zur sechsten Klasse im Vergleich zur Geburtenzahl eines Jahrgangs mehr Kinder samt ihren Eltern aus dem Kanton weg als zu.
Das aufbereitete Zahlenmaterial zu den Geburtenzahlen und die Trendlinien haben in einigen Entscheidungsprozessen als Entscheidungshilfe gedient. So haben einzelne Gemeinden geplante Schulbauprojekte neu überprüft und teilweise mit Nachbargemeinden pädagogisch und wirtschaftlich vorteilhaftere Lösungen realisiert. Im Mittelschulbereich konnte die Regierung das Projekt für die Sanierung und Erweiterung der Bündner Kantonsschule redimensionieren. Im Berufsbildungsbereich verzichtete Graubünden im Wissen um den signifikant negativen Migrationssaldo für den Jahrgang 1992 auf Sonderprogramme gegen einen landesweit prognostizierten Lehrstellenmangel im Jahr 2008.
Es gibt aber auch Beispiele, in welchen in der politischen Ausmarchung letztlich andere Argumente grösseres Gewicht hatten. So hatte der Grosse Rat, auch mit Blick auf die Prognosen zu sinkenden Schülerzahlen, die Finanzierung der Volksschule mit der vom Volk abgelehnten Bündner NFA ändern wollen, um die Gemeinden zu stärken. Ein Lastenausgleichssystem sollte das System mit Pauschalbeiträgen, die an die sinkenden Schülerzahlen gekoppelt sind, ablösen.
Während meiner Tätigkeit in der Regierung lag mir die Berufsbildung besonders am Herzen. Und gerade im Zusammenhang mit der Rekrutierung des Nachwuchses an Berufsleuten bereiten mir die sinkenden Geburtenzahlen für die Jahrgänge nach 2000 unter bildungs- und wirtschaftspolitischen Aspekten Sorge. Sofern nämlich die Aufnahmezahlen an den Mittelschulen mit rund 650 Jugendlichen pro Jahr stabil bleiben, trifft der Rückgang der Geburtenzahlen primär die Berufsbildung. Ein solches Szenario hätte gravierende Auswirkungen für die Bündner Wirtschaft. Selbst eine sehr gute Integration der mit uns lebenden ausländischen Jugendlichen könnte diese Auswirkungen bloss teilweise abfedern. Warten und hoffen, es werde dann schon nicht so schlimm, ist für Hartgesottene und Risikofreudige. Und im Zusammenhang mit meiner Sorge um die Berufsbildung denke ich eben manchmal an die Prognose des Meteorologen.
Die Oktobersession des Grossen Rates bot Gelegenheit, die Entwicklung der Geburtenzahlen in Graubünden zu streifen. Es lässt hoffen und spricht für unser Parlament, wenn es im Rahmen der Gesamtwürdigung diese Zahlen bei anstehenden bildungs-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Weichenstellungen beachtet.