Am 20. Februar 1938 erhob das Schweizer Stimmvolk die rätoromanische Sprache in einer denkwürdigen Volksabstimmung zur "Nationalsprache". Die überwältigende Sympathiekundgebung von 91,6% Ja-Stimmen ist im Umfeld der geistigen Landesverteidigung vor dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Die Verankerung des Rätoromanischen in der Bundesverfassung bildete aber gleichzeitig die Grundlage für die weiteren Rechtsetzungsschritte von Bund und Kanton zur Erhaltung und Förderung der vierten Landessprache.
Die Bundesverfassung von 1848 führte die drei Hauptsprachen Deutsch, Französisch und Italienisch als gleichwertige Nationalsprachen der Schweiz auf. Erstmalige Anerkennung auf Verfassungsebene erlangte die rätoromanische Sprache in der Kantonsverfassung von 1880 als eine der drei Landessprachen des Kantons Graubünden. Der entsprechende Schritt auf Bundesebene erfolgte rund 60 Jahre später unter äusserst schwierigen Zeitumständen.
In Italien waren um die Jahrhundertwende irredentistische Forderungen nach Angliederung der italienisch- und rätoromanischsprachigen Teile der Schweiz an Italien laut geworden. Diese nationalistischen Tendenzen spitzten sich im Laufe der 1930er-Jahre immer mehr zu und veranlassten die Behörden zu politischen Gegenmassnahmen.
Angeregt durch die Initiative einzelner Persönlichkeiten und Organisationen der rätoromanischen Sprachbewegung gelangte die Frage im September 1935 im kantonalen Grossen Rat zur Beratung. Daraufhin wurde die Bündner Regierung mit einer entsprechenden Eingabe beim Bundesrat vorstellig. Darin heisst es unter anderem: "Es handelt sich um die älteste Landessprache, um eine Sprache, die in Rätien seit Jahrhunderten und auch in der gegenwärtigen bündnerischen Staatsverfassung als dritte bündnerische Landessprache anerkannt wird. (…) Und doch ist sie nicht als schweizerische Landessprache anerkannt, doch nicht als nationale Sprache in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert."
Die Vorlage fand den Zuspruch des Bundesrates und der Bundesversammlung und gelangte am 20. Februar 1938 vors Volk. Der vorgeschlagene Sprachenartikel 116 der Bundesverfassung lautete: «1. Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind Nationalsprachen der Schweiz. 2. Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt."
Bei einer Stimmbeteiligung von 54,33% stimmten 574 991 für und 52 827 gegen die Vorlage. Somit nahmen 91,6% der Stimmenden und alle Stände das Rätoromanische als Nationalsprache an. In Graubünden betrug der Anteil der Ja-Stimmen 92,7%, in anderen Kantonen gab es sogar noch höhere Werte.
Weitere Meilensteine auf Bundes- und Kantonsebene
Zu einer Würdigung der damaligen Ergebnisse gehört auch ein kurzer Ausblick auf die weiteren Meilensteine, welche auf dieser Grundlage in den vergangenen Jahrzehnten erfolgt sind: Auf Bundesebene erlangte die romanische Sprache im Rahmen der Revision des Sprachenartikels im Jahr 1996 den Status einer Teilamtssprache des Bundes. Mit der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1999 wurde zudem das Territorialitätsprinzip in der nationalen Sprachpolitik verankert. Mit der "Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen" (1997) und dem "Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten" (1998) hat die Schweiz darüber hinaus in jüngster Zeit Instrumente des internationalen Sprachenrechts ratifiziert.
Auf Kantonsebene trat im Jahr 2004 die neue Kantonsverfassung in Kraft, in welcher das kantonale Sprachenrecht auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und in grundlegender Weise revidiert wurde.
Dieser Rechtsetzungsprozess im Bereich der Landes- und Amtssprachen fand seinen vorläufigen Abschluss im kantonalen Sprachengesetz, welches im Jahr 2008 in Kraft trat sowie im "Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften" aus dem Jahr 2010.
Auskunftsperson:
Dr. Ivo Berther, Beauftragter Sprachenförderung, Tel. 081 257 48 06, E-Mail
ivo.berther@afk.gr.ch
Gremium: Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement
Quelle: dt Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement