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Session: 26.08.2010
Im Rahmen einer Informationsveranstaltung des Bauernvereins Herrschaft/Fünf Dörfer und des Bündner Bauernverbandes Ende Juni 2010 stand der Kulturlandverlust insbesondere im Churer Rheintal im Mittelpunkt. Die «Zahlen und Fakten» lieferte dabei das Amt für Landwirtschaft und Geoinformation. Dabei wurde gemäss Medienbericht die Aussage gemacht, der Flächenverbrauch von Landwirtschaftsfläche im Bündner Rheintal sei unverhältnismässig hoch, ausgelöst durch die bauliche Tätigkeit. Demnach soll der Flächenverbrauch zum Beispiel in der Gemeinde Igis-Landquart in den letzten 5 Jahren 104 ha umfasst haben. Igis-Landquart sei bei diesem anhaltenden Flächenkonsum innert 20 Jahren vollständig überbaut. Bei der baulichen Tätigkeit wurde nicht unterschieden zwischen Wohnüberbauungen, Gewerbe und Industrie oder weiteren Flächenbeanspruchungen wie für Strassenbauten.

Gefordert wird, den Wald der Raumplanungsgesetzgebung zu unterstellen und Waldrodungen für bauliche Entwicklungen ebenfalls freizugeben und griffige gesetzliche Vorschriften zu erlassen, welche den Schutz der landwirtschaftlichen Produktionsfläche sichert.

Der Regierung werden in diesem Zusammenhang folgende Fragen unterbreitet:

1. Welche Datenquellen und Erhebungen wurden vom Amt für Landwirtschaft und Geoinformation für diese Aussagen verwendet? Inwieweit sind diese Daten geeignet, um verlässliche Aussagen zum Verlust an Landwirtschaftsfläche, zur Ausdehnung des Waldes und zur Siedlungsentwicklung zu machen?

2. Offensichtlich verliert das Bündner Rheintal einen grösseren Anteil der Landwirtschaftsflächen durch Verwaldung und Verbuschung, also letztendlich durch die ungenügende Bewirtschaftung durch die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung. Welche Stossrichtung verfolgt die Regierung, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?

3. Wald untersteht nicht der Raumplanungsgesetzgebung. Im Rahmen der raumplanerischen Verfahren und der darin stattfindenden Interessenabwägungen werden die Interessen der Waldentwicklung gegenüber derjenigen der Landwirtschaft in der Regel höher gewichtet. Welche Strategie verfolgt die Regierung, um diese unerwünschte Entwicklung zu korrigieren?

4. Die Wirtschaft im Bündner Rheintal hat für die Bündner Volkswirtschaft eine strategische Bedeutung. Auch gemäss Kantonalem Richtplan soll ein grosser Teil der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich Gewerbe und Industrie im Bündner Rheintal stattfinden. Wie trägt die Regierung diesem Aspekt Rechnung?

Chur, 26. August 2010

Nick, Nigg, Dudli, Barandun, Brandenburger, Buchli, Burkhardt, Caluori, Casanova-Maron, Casty, Casutt, Claus, Conrad, Davaz, Della Vedova, Dermont, Engler, Felix, Foffa, Furrer-Cabalzar, Geisseler, Giacomelli, Grass, Gunzinger, Hartmann (Chur), Heiz, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jeker, Kappeler, Kasper, Koch (Tamins), Koch (Landquart), Komminoth-Elmer, Krättli-Lori, Kunz, Marti, Michael (Donat), Michael (Castasegna), Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Parolini, Pedrini, Righetti, Rosa, Steck-Rauch, Stiffler (Davos Platz), Troncana-Sauer, Vetsch (Klosters Dorf), Waidacher, Wieland, Zweifel-Disch

Antwort der Regierung

Frage 1: Das Amt für Landwirtschaft und Geoinformation (ALG) hat für die Informationsveranstaltung die Daten der landwirtschaftlichen Strukturerhebung ausgewertet, welche jährlich im Rahmen des Direktzahlungsvollzugs erhoben werden. Bei der Auswertung hat sich trotz Kontrolle ein Fehler eingeschlichen, der die Aussagen zu einzelnen Gemeinden markant überzeichnet hat, so speziell zu Igis und Chur. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche (Wiesen, Äcker, hofeigene Weiden und Dauerkulturen wie Obst, Reben und Beeren) insbesondere im Bündner Rheintal unter starkem Druck anderer Interessen steht. Im Rheintal gingen von 2004 bis 2009 ca. 89 ha Landwirtschaftsland verloren. Bei der Strukturdatenerhebung werden die Flächen parzellenscharf erfasst. Als Grundlage dienen die Daten der amtlichen Vermessung. Entsprechend genau können die Auswertungen vorgenommen werden. Es existiert keine bessere, jährlich nachgeführte Erfassung.

Frage 2: Die von der Einwaldung betroffenen und bedrohten Flächen liegen mehrheitlich in den Grenzertragslagen, also in höheren Lagen, an den Talflanken und der oberen Waldgrenze. Hier werden über kantonale landwirtschaftliche Kredite Bewirtschafter, Eigentümer und Gemeinden unterstützt, welche vom Einwalden bedrohte Flächen der Bewirtschaftung zurückführen und die Pflege während 10 Jahren sicherstellen. Auf diese Weise wurden seit 2001 jährlich im Durchschnitt 80 ha geräumt. Im Sömmerungsgebiet können nach der Sömmerungsbeitragsverordnung des Bundes Beiträge gekürzt werden, wenn der Unterhalt der Weiden vernachlässigt wird.

Frage 3: Der Schutz der Waldfläche wird übergeordnet im eidgenössischen Waldgesetz geregelt. Zudem sind wie der Wald auch sogenannte ökologisch wertvolle Flächen durch Bundesgesetze weitgehend geschützt. Falls Wald oder solche Flächen weichen müssen, ist eine Kompensation in der Regel zulasten von Landwirtschaftsland, welches keinen dermassen weitgehenden Schutz geniesst, zu leisten. Die Problematik kann wegen fehlenden Handlungsspielraums des Kantons nur auf Bundesebene gelöst werden. Die Abwägung zwischen den Interessen der Landwirtschaft und des Waldes findet nicht in den raumplanerischen Verfahren statt. Die Raumplanung kann dazu beitragen, dass die Voraussetzungen für Rodungen geschaffen werden. Bei Rodungen ist aber das Waldgesetz massgebend. Dabei findet eine Interessenabwägung statt, wobei die landwirtschaftlichen Ansprüche nicht vor andere gestellt werden. Derzeit läuft im Rahmen der Kommissionsinitiative "Flexibilisierung der Waldflächenpolitik" die Vernehmlassung zur Änderung des Waldgesetzes. Der Entwurf der UREK-S zielt teils in die Richtung der Anliegen des Vorstosses. Er soll den Kantonen die Möglichkeit geben, zu verhindern, dass aus einwachsenden Flächen automatisch Wald wird. Ausserhalb des Baugebietes soll ein statischer Waldbegriff geschaffen werden können, um die schleichende Zunahme von Wald dort zu stoppen, wo es aus der Sicht der Kantone Sinn macht (z.B. in landwirtschaftlich oder touristisch genutzten Gebieten). Zudem sollen die Kantone mit Waldzunahme Rodungen ohne Rodungs- oder Realersatz zulassen können. Wald hat im Talboden in ökologischer Hinsicht, in Bezug auf die Erholungsfunktion und für die Siedlungsgliederung einen sehr hohen Wert. Die Auenwaldreste stehen zusätzlich unter besonderem Schutz. Eine strenge Rodungspraxis in diesem Zusammenhang ist begründet.

Frage 4: Das Bündner Rheintal ist für die Bündner Volkswirtschaft von sehr grossem Interesse. Der kantonale Richtplan legt 10 sogenannte Arbeitsplatzgebiete fest, die besonders gut erreichbar sind und zu den besten Standorten im Kanton gehören. Fünf davon liegen im Bündner Rheintal, zwei davon im Domleschg. Im geltenden Richtplan werden bei den bezeichneten Standorten die Interessen der baulichen Entwicklung höher gewichtet als diejenigen der Landwirtschaft. Gemäss Fachkreisen werden gut qualifizierte Arbeitskräfte der Knappheitsfaktor der Zukunft sein. Gut qualifizierte Arbeitskräfte haben hohe Anforderungen an ihr Umfeld im Bereich Arbeiten, Wohnen und Familie. Im Rahmen einer ganzheitlichen Raumordnungspolitik trägt die Regierung auch diesen Ansprüchen Rechnung.

01. November 2010