• Klärung der Frage, ob eine rechtliche Grundlage für die zwangsweise Erhältlichmachung so genannter Ankerrechte besteht;
• Allenfalls Klärung der Frage, ob eine solche Rechtsgrundlage im kantonalen Recht geschaffen werden kann;
• Bejahendenfalls Schaffung dieser Rechtsgrundlagen.
Im Rahmen von Neubau- und Umbauprojekten ist die Bauherrschaft - gerade im Kanton Graubünden (mit seinen vielen Hanglagen und der oft auftretenden geschlossenen Bauweise) - häufig darauf angewiesen, zwecks Sicherung der Baugrube das Recht eingeräumt zu erhalten, Bewehrungen in das Erdreich von Nachbargrundstücken setzen zu können (so genannte Ankerrechte). Die Einräumung solcher Ankerrechte wird in aller Regel entschädigt, was nicht zu beanstanden ist, solange die Entschädigung angemessen ist. In der Praxis kommt es indes nicht selten vor, dass unangemessene (weil viel zu hohe) Entschädigungen gefordert werden und dies fraglos im Bewusstsein, dass Verzögerungen oder andere technische Lösungen (ohne Beanspruchung der Nachbargrundstücke) Bauherrschaften letztlich noch teurer zu stehen kommen. Nachbarn können sodann versucht werden, durch Verweigerung der Einräumung von Ankerrechten Bauvorhaben ganz zu verhindern.
Hiervor beschriebene Missbräuche finden nicht zuletzt deshalb statt, weil unklar ist, ob eine rechtliche Grundlage besteht, solche Ankerrechte im Streitfall ohne Zustimmung der verweigernden Nachbarschaft rechtlich durchzusetzen. Die Regierung wird daher ersucht, die Frage zu klären, ob eine rechtliche Grundlage für die zwangsweise Erhältlichmachung so genannter Ankerrechte bereits besteht. Sofern dies nicht der Fall sein sollte, wird die Regierung um Abklärung gebeten, ob eine solche Rechtsgrundlage im kantonalen Recht geschaffen werden kann. Sollte dies möglich sein, wird die Regierung schliesslich ersucht, die entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen.
Chur, 19. Oktober 2010
Bondolfi, Troncana-Sauer, Kunz (Chur), Albertin, Augustin, Berther (Disentis/Mustér), Berther (Camischolas), Bezzola (Zernez), Caduff, Caluori, Campell, Casutt, Casutt-Derungs, Cavegn, Clavadetscher, Della Vedova, Dosch, Engler, Fallet, Fasani, Foffa, Gasser, Geisseler, Hartmann (Champfèr), Kappeler, Kasper, Kollegger (Chur), Kollegger (Malix), Kunz (Fläsch), Marti, Michael (Castasegna), Niederer, Nigg, Perl, Rathgeb, Righetti, Rosa, Sax, Steck-Rauch, Tenchio, Waidacher, Monigatti
Antwort der Regierung
Der Auftrag thematisiert die Problematik der Baugrubensicherung unter Verwendung von Erdankern. Soweit solche Anker in das Terrain von Nachbargrundstücken hineinragen, bedarf die Bauherrschaft sog. Ankerrechte.
Zu Punkt 1:
In einem ersten Punkt erkundigen sich die Auftraggeber im Sinne einer Anfrage nach dem Bestand einer Rechtsgrundlage für die "zwangsweise Erhältlichmachung" von Ankerrechten.
Aufgrund einer Analyse des einschlägigen Rechts (ZGB; EGzZGB; KRG) sowie der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass eine solche Rechtsgrundlage derzeit weder im öffentlichen Baurecht noch im privaten Nachbarrecht besteht. Zwar hat der Bündner Gesetzgeber im Rahmen der Ausschöpfung der aus Art. 695 ZGB fliessenden Gesetzgebungskompetenz in Art. 103 EGzZGB bestimmt, dass der Nachbar dem Bauwilligen "das Betreten oder die vorübergehende Benützung seines Grundstückes" zu gestatten hat, wenn dies für den Bauwilligen z.B. für die Errichtung oder Sanierung eines Gebäudes unumgänglich ist (sog. "Hammerschlags-" oder "Leiterrecht"). Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit einer analogen Norm eines anderen Kantons jedoch entschieden, dass die Einlassung von Erdankern nicht mehr unter dieses Hammerschlags- resp. Leiterrecht subsumiert werden könne (BGE 5A_176/2009, E.5.4, vom 5. Juni 2009). Dieses berechtige den Bauwilligen lediglich dazu, das Nachbargrundstück etwa zur vorübergehenden Lagerung von Baumaterialien und Baumaschinen oder zur Errichtung eines Gerüstes zu benützen, nicht jedoch auch zur Einlassung von Erdankern, selbst wenn diese nach Beendigung der Bauarbeiten wieder entspannt und entfernt würden.
Zu Punkt 2:
In einem zweiten Punkt, welcher ebenfalls eine Anfrage darstellt, erkundigen sich die Auftraggeber danach, ob es denn zulässig wäre, eine Rechtsgrundlage für Ankerrechte neu zu schaffen.
Erste Abklärungen haben ergeben, dass dies nicht ausgeschlossen ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die Kantone die aus Art. 695 ZGB sich ergebenden Duldungspflichten des Nachbarn nur verdeutlichen, nicht aber ausdehnen dürfen. Das ZGB kennt indessen noch weitere Vorbehalte zugunsten des kantonalen Privatrechts (z.B. in Art. 686 Abs. 2 ZGB). Abgesehen davon kommt den Kantonen und Gemeinden eine allgemeine verfassungsmässige Kompetenz zum Erlass öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Beschränkung des Grundeigentums zu.
Zu Punkt 3:
Der dritte Punkt des Vorstosses enthält den Auftrag, eine Rechtsgrundlage für Ankerrechte zu schaffen, sofern dies rechtlich zulässig ist.
Mit der Einführung des Instruments des Ankerrechts im Sinne des vorliegenden Vorstosses würde dem Nachbarn eine zusätzliche Duldungspflicht auferlegt, welche die Ausübung seiner eigenen Eigentumsrechte unter Umständen empfindlich einschränken könnte. Aus diesem Grunde rechtfertigt sich die Schaffung einer Rechtsgrundlage für ein gesetzliches Ankerrecht nur, wenn dafür ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse geltend gemacht werden kann. Generell besteht ein öffentliches Interesse daran, dass eingezontes Bauland auch effektiv überbaut wird resp. werden kann (Baulandverfügbarkeit, vgl. Art. 19 Abs. 2 KRG). Wenn man davon ausgeht, dass die Verweigerung von Ankerrechten im schlimmsten Fall zur Unüberbaubarkeit einer Baulandparzelle führen kann, könnte die Einführung eines gesetzlichen Ankerrechts somit durchaus im öffentlichen Interesse liegen. Wegen der gebotenen Zurückhaltung beim Erlass neuer Reglementierungen rechtfertigen sich indessen nur dann konkrete gesetzgeberische Aktivitäten, wenn es gesamtkantonal häufig vorkommen sollte, dass Bauparzellen wegen verweigerten (oder zu teuren) Ankerrechten unüberbaut bleiben resp. bleiben müssen. Dies dürfte aber wohl eher selten sein, jedenfalls verglichen mit den Fällen, in denen Baugrundstücke aus anderen Gründen, z.B. wegen Hortung, unüberbaut bleiben. Gleichwohl will die Regierung das Bedürfnis näher abklären und dem Grossen Rat gegebenenfalls entsprechende Vorschläge unterbreiten, sei es im Rahmen der nächsten KRG-Revision, sei es im Rahmen einer Teilrevision des EGzZGB.
In diesem Sinne ist die Regierung bereit, den Auftrag entgegenzunehmen.
27. Dezember 2010