Fraktionsanfrage SP betreffend die Nutzung von Lawinenverbauungen als Träger von Solaranlagen zur Stromgewinnung
Session: 18.04.2011
In St. Antönien wird das grösste Solarkraftwerk der Schweiz geplant. Die Solarmodule sollen an Lawinenverbauungen mit einer Gesamtlänge von 12 km montiert werden. Die Solaranlage sollte nach jetzigen Schätzungen in der Lage sein, rund 1‘000 Haushaltungen mit Strom zu versorgen.
Angesichts seiner geografischen Lage bietet sich der Kanton Graubünden zur Realisierung solcher Projekte an. Um den grösstmöglichen Solarertrag zu erreichen bieten die höher gelegenen Regionen eine nebelfreie Lage mit hoher jährlicher Sonneneinstrahlung, ideale Lichtreflexion durch Schnee, sowie ganzjährig kühle Temperaturen.
Durch die Nutzung von Lawinenverbauungen als Träger der Solarzellen gibt es keinen neuen Landverbrauch und somit keine weitere Belastung der Umwelt. Ausserdem beabsichtigt das Projekt in St. Antönien die Schaffung neuer qualifizierter Arbeitsplätze in der abgelegenen Region.
Dieses Projekt soll für Graubünden aufzeigen, dass eine ökologische Stromproduktion und eine dezentrale Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien für die höher gelegenen Regionen möglich und sinnvoll ist.
Der Regierung werden deshalb folgende Fragen gestellt:
1. Wie beurteilt die Regierung das kantonale Potenzial des Stromertrages von Lawinenverbauungen als Träger von Solaranlagen, der in ein öffentliches Netz gespeist werden kann?
2. Wie beurteilt die Regierung die Standorte der bestehenden Lawinenverbauungen in Graubünden bezüglich Montage der Anlagen und Netzleitungen zur Einspeisung des gewonnenen Stroms in ein öffentliches Netz?
3. Wie beurteilt die Regierung die regionale Wertschöpfung im technischen, administrativen sowie touristischen Bereich?
4. Welche gesetzlichen Bestimmungen stehen solchen Bauvorhaben entgegen?
Chur, 18. April 2011
Müller (Davos Platz), Jaag, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Locher Benguerel, Noi-Togni, Peyer, Pult, Thöny, Trepp, Michel (Igis), Monigatti, Pedrini (Soazza)
Antwort der Regierung
Lawinenverbauungen befinden sich meist in alpiner Umgebung und sind entsprechend häufig Steinschlag, Wind, Schneeverwehungen und weiteren Naturgefahren ausgesetzt. Durch lokale Wächtenbildungen, Schneegleiten und Anfrieren der Schneedecke, aber auch durch Bodenbewegungen und Rutschungen können beträchtliche Kräfte auftreten, die gemäss langjährigen Erfahrungen sogar die Stahlstützen der Verbauungen beschädigen können. In extremen Wintern sind Teile davon vollständig eingeschneit und Schneerutsche oder kleinere Lawinen können in der Verbauung oder über die einzelnen Werke abgleiten. Unter solchen Bedingungen müsste mit grösseren Schäden an darauf montierten Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) gerechnet werden. Auch können die Solarpannels lokale Schneeansammlungen bewirken, die die Wirksamkeit und damit die Schutzfunktion der Lawinenverbauungen reduzieren können. Analog der jahrzentelangen Entwicklung und Verbesserung der Lawinenverbauungen müssten wohl auch mit PV-Anlagen auf Lawinenverbauungen längerfristige Erfahrungen gesammelt werden. Es bestehen noch beachtliche Unsicherheiten und Risiken. Eine Pilotanlage, wie in St. Antönien geplant und bewilligt, ist deshalb zu begrüssen, bevor grosse Investitionen getätigt werden.
Zu den gestellten Fragen:
1. Das kantonale Potenzial für Solarkraftwerke auf hiefür geeignete Lawinenverbauungen wird auf eine Gesamtleistung von rund 10 MW geschätzt. Die jährliche Stromproduktion würde sich auf rund 15 GWh belaufen. Im Vergleich dazu würde die geplante Windenergieanlage in Haldenstein mit einer Leistung von rund 3 MW rund 4 GWh Strom produzieren. Das kantonale Potenzial entspricht somit rund 4 solchen Windenergieanlagen.
2. Strom aus PV-Anlagen auf Lawinenverbauungen erfordert wegen der periferen Lage in der Regel eine Einspeisung ins Mittelspannungsnetz. Daher sind die Rahmenbedingungen individuell im Detail abzuklären. Die Distanz von Lawinenverbauung zur Trafostation wird ein wesentliches Kriterium für die Wirtschaftlichkeit einer Investition sein (Netzeinspeisung). Kleine Verbaugebiete mit zu grossen Anschlussdistanzen werden damit wegfallen. Eine grobe Schätzung ergibt, dass von den als grundsätzlich möglich betrachteten 60 km Verbauungen rund 40 km für PV-Anlagen wirtschaftlich erschliessbar sind.
3. Die regionale Wertschöpfung ist sehr schwierig zu beziffern. Würde das mögliche Potential genutzt, so wären sicher Investitionen von mehr als 100 Mio. Franken erforderlich. Einzelne grössere Anlagen, wie etwa St. Antönien, könnten voraussichtlich auch touristisch genutzt werden (Solarpark-Führungen, Solar-Workshops etc).
4. Ob einem Bauvorhaben gesetzliche Bestimmungen entgegen stehen und es die erforderlichen Bewilligungen erhält, ist im Einzelfall zu prüfen. Dieser Grundsatz gilt auch für PV-Anlagen auf Lawinenverbauungen, wobei für die Prüfung insbesondere die Raumplanungs-, Umweltschutz-, Natur- und Heimatschutz- sowie Waldgesetzgebung massgebend sind. Erforderlich ist eine Plangenehmigungsverfügung des Eidgenössischen Starkstrominspektorats. Dabei muss aber die einwandfreie Funktionsfähigkeit des Schutzbauwerkes in jedem Fall überwiegen. Für das in St. Antönien geplante Solarkraftwerk sind übrigens auch Untersuchungen betreffend die Lichtreflexion im Gange. Wie das durchgeführte Vorprüfungsverfahren gezeigt hat, erscheint die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich möglich.
8. Juli 2011