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Session: 19.10.2011
Gemäss Art. 36 Ziff. 3 KV wählt der Grosse Rat die Mitglieder des Kantonsgerichts und des Verwaltungsgerichts. Fraktionen sind nach Art. 57 Grossratsgesetz in der Regel entsprechend ihrer Stärke zu berücksichtigen. Das weitere Wahlverfahren ist in Art. 22 des GOG geregelt. Danach schreibt die für die Justiz zuständige Kommission des Grossen Rats frei werdende Stellen öffentlich aus. Sie prüft daraufhin die Bewerberinnen und Bewerber auf ihre persönliche und fachliche Eignung und gibt zuhanden des Grossen Rats eine Empfehlung ab. Bei der Wahl schliesslich hat der Grosse Rat die drei Amtssprachen des Kantons gebührend zu berücksichtigen.

Durch die Beachtung der Fraktionsstärken sind Richterwahlen auch heute noch politische Wahlen. Die vorgeschriebene öffentliche Ausschreibung, die kostspielig auch in ausserkantonalen Zeitungen erfolgt, suggeriert dagegen ein unpolitisches und offenes Verfahren. Folge davon ist, dass die Kommission für Justiz und Sicherheit mit Bewerbungen von persönlich und fachlich geeigneten, politisch aber chancenlosen Personen konfrontiert ist. Gleichwohl müssen Hearings veranstaltet und schliesslich dem Grossen Rat Empfehlungen abgegeben werden.

Zu erwähnen ist, dass sich nach geltender Rechtslage Kandidatinnen und Kandidaten dem Auswahlverfahren nicht zwingend stellen müssen. Fraktionen können auch nach Ablauf der in der Ausschreibung genannten Fristen und selbst unter Umgehung der Kommission für Justiz und Sicherheit dem Grossen Rat Personen zur Wahl vorschlagen.

Das heute geltende Verfahren mit der öffentlichen Ausschreibung erweist sich letztlich als Farce. Es zwingt die Kommission für Justiz und Sicherheit zu einem erheblichen Aufwand. Von persönlich und fachlich geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern wird es zu Recht als unfair empfunden.

Mit der Besetzung der kantonalen Gerichte unter Berücksichtigung der Fraktionsstärke einerseits und der Sprachen andererseits hat der Kanton Graubünden gute Erfahrungen gemacht. Für eine sinnvolle Evaluation durch die Kommission für Justiz und Sicherheit ist die öffentliche Ausschreibung jedoch nicht zielführend. Diese ist folglich abzuschaffen und durch eine Regelung zu ersetzen, wonach die Anspruch auf einen Sitz erhebenden Fraktionen ihre Vorschläge zu Handen der Kommission für Justiz und Sicherheit abzugeben haben. Erst nach Erhalt der Vorschläge hat die Kommission für Justiz und Sicherheit die Bewerberinnen und Bewerber auf ihre persönliche und fachliche Eignung hin zu überprüfen.

Die Regierung wird ersucht, dem Grossen Rat eine Botschaft zur entsprechenden Änderung des Wahlverfahrens von Art. 22 GOG vorzulegen.

Chur, 19. Oktober 2011

Cavegn, Kollegger (Chur), Caduff, Aebli, Albertin, Bondolfi, Buchli-Mannhart (Safien-Platz), Caluori, Candinas, Casty, Casutt-Derungs, Clalüna, Conrad, Dermont, Dosch, Engler, Fallet, Fasani, Geisseler, Gunzinger, Heiz, Hitz-Rusch, Jeker, Joos, Kleis-Kümin, Koch (Tamins), Kollegger (Malix), Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Mani-Heldstab, Märchy-Caduff, Michael (Donat), Nick, Niederer, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Parolini, Parpan, Rathgeb, Sax, Steck-Rauch, Stiffler (Davos Platz), Stiffler (Chur), Tenchio, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Zanetti, Calonder, Cortesi, Derungs, Liesch

Antwort der Regierung

Das geltende Wahlverfahren – insbesondere die öffentliche Ausschreibung freier Richterstellen beim Kantons- und Verwaltungsgericht – wurde im Rahmen der Optimierung der kantonalen Gerichtsorganisation (Justizreform 2, Botschaft Heft Nr. 6/2006-2007, S. 491 f.) eingeführt. Nachdem sich in der Vernehmlassung fast alle Parteien für die öffentliche Ausschreibung von freien Richterstellen ausgesprochen hatten, wurde diese Neuerung in der parlamentarischen Beratung diskussionslos angenommen. Auch anlässlich der formellen Totalrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes im Rahmen der Umsetzung der Schweizerischen Straf- und Zivilprozessordnung auf Gesetzesstufe im Jahr 2010 wurde das Wahlverfahren diskussionslos genehmigt. Zu Diskussionen Anlass gab beide Male einzig die Frage, ob und in welcher Form die kantonalen Amtssprachen bei der Besetzung von Richterstellen zu berücksichtigen sind (vgl. GRP 2006/2007, S. 224 ff. und GRP 2009/2010, S. 863 ff.). Eine öffentliche Ausschreibung erfolgte bislang zweimal, nämlich im Jahr 2008 bei der Wahl der Mitglieder des Kantons- und des Verwaltungsgerichts nach der neuen Organisation für die Amtsperiode 2009 bis 2012 sowie im Jahr 2011 anlässlich einer Ersatzwahl eines Mitglieds des Kantonsgerichts.

Die Justiz gehört zu den Kernaufgaben eines Staatswesens und ist als dritte Gewalt neben Legislative und Exekutive ein Teil des Gewaltenteilungsprinzips. In einem demokratischen Rechtsstaat kommt den Gerichten eine wichtige Rolle bei der Wahrung der Rechtsordnung und des Rechtsfriedens zu. Entsprechend hoch sind die organisatorischen und strukturellen Anforderungen an die Justiz und die einzelnen Gerichte einerseits sowie die fachlichen und persönlichen Anforderungen an die einzelnen Richterinnen und Richter andererseits. Die Unabhängigkeit der Justiz erfordert, dass die Gerichte ausgewogen zusammengesetzt sind. Art. 57 des Grossratsgesetzes konkretisiert dieses Anliegen für die Wahl der Mitglieder des Kantons- und des Verwaltungsgerichts. Die Qualität der Rechtsprechung verlangt zudem, dass die fachlichen und persönlichen Qualifikationen der Kandidierenden bei der Wahl im Vordergrund stehen müssen. Transparenz bei Richterwahlen bietet am besten Gewähr dafür; die erforderliche Öffentlichkeit kann über Volkswahlen (wie bei den Bezirksgerichten) oder die öffentliche Ausschreibung (wie beim Kantons- und Verwaltungsgericht) sichergestellt werden. Je nach Konstellation ist nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall – d.h. bei einer konkreten Wahl – die Anforderungen an die Justiz im Allgemeinen und die fachlichen und persönlichen Fähigkeiten der Kandidierenden in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen können. Die Erfahrungen im Bund und in zahlreichen Kantonen zeigen jedoch eindeutig, dass sich eine öffentliche Ausschreibung von frei werdenden Richterstellen und die Wahl von Richterinnen und Richtern durch ein Parlament keineswegs ausschliessen.

Die Grundsätze einer guten Gesetzgebung verlangen eine gewisse Beständigkeit der Rechtsordnung. Ein Ändern von Gesetzesbestimmungen kurz nach deren Inkrafttreten oder wegen allfälligen Nachteilen in einem konkreten Einzelfall ist vor diesem Hintergrund abzulehnen. Zudem rechtfertigt nicht ein einzelnes, möglicherweise unbefriedigendes Verfahren bereits eine Reaktion des Gesetzgebers. Es bleibt der für das Verfahren zuständigen Kommission des Grossen Rates selbstverständlich unbenommen zunächst zu prüfen, ob und inwiefern sich das Wahlverfahren für die kantonalen Gerichte ohne Gesetzesrevision optimieren lässt. Teil dieser Prüfung könnte auch die Verbindlichkeit des Auswahlverfahrens bilden. Sollte die Kommission zum Ergebnis gelangen, dass sich auf diesem Weg keine Verbesserung erreichen lässt, so müsste das gesamte Wahlverfahren – unter Einschluss der Wahlbehörde – überprüft werden. Nach Auffassung der Regierung wäre es falsch, mit der öffentlichen Ausschreibung nur einen Aspekt zu thematisieren.

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen besteht für die Regierung kein Handlungsbedarf auf Gesetzesstufe. Die Regierung beantragt aus diesen Gründen die Ablehnung des Auftrages.

11. Januar 2012