Einbürgerungen sind unabhängig der politischen Orientierung und der Auswirkungen, eine wichtige staatspolitische Aufgabe, die die ganze Gesellschaft bewegt und betrifft. Als einer der wenigen Kantone liegt diese Kompetenz im Kanton Graubünden, wo noch solche bestehen, bei den Bürgergemeinden. Hatten zu Beginn der Eidgenossenschaft Bürgergemeinden vielfältige und zentrale Staatsaufgaben, sind sie heute vor allem damit beschäftigt ihre Vermögen zu bewirtschaften und als weitaus wichtigste staatspolitische Aufgabe, haben sie die Kompetenz zur Einbürgerung. Die Einwohner- und Bürgergemeinden waren früher praktisch deckungsgleich, grössere Einwohnerwechsel waren nicht zu verzeichnen. Heute bestimmen die Einwohnergemeinden jedoch die Geschehnisse in einer Gemeinde. Die Einwohner einer Gemeinde tragen in der Mehrheit nicht mehr das jeweilige Gemeindebürgerrecht.
Bürgergemeinden sind keine territorialen, sondern personale Körperschaften. Damit wird in einem Einbürgerungsverfahren ein grosser Teil der Bevölkerung von seinen Volksrechten ausgeschlossen. Was alle betrifft, muss von allen mitbestimmt werden können. Alle müssen letzten Endes die Konsequenzen und die Verantwortung von Einbürgerungen mittragen. Dies beinhaltet auch die vom Bundesgericht verlangte Begründungspflicht.
Leider ist das in denjenigen politischen Gemeinden, wo es noch Bürgergemeinden gibt, nicht der Fall. So bestimmen zum Beispiel in der Stadt Chur ca. 12% der stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner, die sowohl der politischen als auch der Bürgergemeinde angehören, darüber, wer in Chur eingebürgert werden soll oder nicht. Umgekehrt wird ca. 88% der stimmberechtigten Churerinnen und Churer dieses Recht verwehrt.
Das ist ein unhaltbares Demokratiedefizit, eine Verweigerung der demokratischen Rechte in einer wichtigen Frage, die alle Stimmberechtigten betrifft.
Aus oben dargestellten Gründen bitten die Unterzeichnenden die Regierung, das Bürgerrechtsgesetz und das Gemeindegesetz in diesem Sinne zu ändern und den Einwohnergemeinden das alleinige Recht über Einbürgerungen zuzuweisen.
Chur, 23. Oktober 2012
Trepp, Meyer-Grass, Blumenthal, Augustin, Baselgia-Brunner, Bezzola (Samedan), Bucher-Brini, Caluori, Casutt, Clavadetscher, Fontana, Gartmann-Albin, Heiz, Jaag, Locher Benguerel, Müller (Davos Platz), Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pult, Thöny, Zweifel-Disch, Camathias, Hensel, Monigatti, Patt (Jenaz), Scartazzini, Sgier
Antwort der Regierung
Gemäss Art. 38 Abs. 2 BV erlässt der Bund Mindestvorschriften über die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern durch die Kantone, welche die Erteilung des Bürgerrechts von der Erfüllung weiterer Erfordernisse abhängig machen können. Bei der Ausgestaltung des Verfahrens und der Kompetenzzuteilung waren die Kantone so lange Zeit frei. Mit den Grundsatzentscheiden BGE 129 I 217 und BGE 129 I 232 engte das Bundesgericht diesen Spielraum ein. Der Einbürgerungsentscheid sei als Rechtsanwendungsakt und nicht als politischer Entscheid zu betrachten. Die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Teilrevision des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG, SR 141.10) setzte die Bundesgerichtspraxis um. Art. 15b Abs. 2 BüG statuiert die Begründungspflicht bei negativen Entscheiden. Unter diesem Vorbehalt können auch weiterhin Gemeindeversammlungen über Einbürgerungen befinden (Art. 15a Abs. 1 BüG).
Das kantonale Bürgerrechtsgesetz (KBüG, BR 130.100) wurde 2005 totalrevidiert und trat auf den 1. Januar 2006 in Kraft. Ablehnende Entscheide sind zu begründen, und es besteht die Möglichkeit, Entscheide an das Verwaltungsgericht weiterzuziehen (Art. 25 KBüG). Die gegebene kantonale Autonomie ausnutzend, sieht das KBüG im Kontext des Gemeindebürgerrechts die Zuständigkeit der Bürgergemeinden vor. Die Aufgaben und Kompetenzen finden sich in Art. 10 ff. KBüG. Sie umfassen unter anderem die bis dahin teilweise polizeilich vorgenommenen Abklärungen, welche Aufschluss über die Erfüllung der materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen geben (Art. 12 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 3 KBüG). Sodann obliegt der Bürgerversammlung der eigentliche Entscheid über die Erteilung beziehungsweise die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts (Art. 14 Abs. 1 KBüG). Schliesslich sind die Bürgergemeinden gemäss Art. 11 Abs. 2 KBüG befugt, die Mindestwohnsitzdauer für Schweizerinnen und Schweizer von vier auf höchstens sechs beziehungsweise bei Ausländerinnen und Ausländern auf maximal zwölf Jahre zu erhöhen. Besteht keine Bürgergemeinde, so tritt die politische Gemeinde an deren Stelle (Art. 78 Abs. 3 Gemeindegesetz; BR 175.050).
Neu hielt das Bundesgericht (1D_6/2011) fest, dass die Einbürgerungsbehörde aufgrund der Begründungspflicht nicht frei sei, „eine Person, welche alle auf eidgenössischer und kantonaler Ebene statuierten gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt und folglich integriert ist, trotzdem nicht einzubürgern“. Zwar dürfe die Einbürgerungspraxis gegenüber den Gesuchstellenden streng oder entgegenkommend sein. Sie müsse aber im Rahmen der Möglichkeiten rechtsgleich erfolgen. Nach Auffassung der Regierung hat sich der Gesetzgeber von diesen Grundsätzen bei der Regelung der Zuständigkeit für Einbürgerungsentscheide leiten zu lassen. Und es verbietet sich, den einzelnen Einbürgerungsakt auch weiterhin fast ausschliesslich unter dem Aspekt der Partizipation möglichst vieler oder als Möglichkeit der politischen Meinungsäusserung zu verstehen. Im Zentrum steht die Sicherstellung einer willkürfreien und rechtsgleichen Rechtsanwendung. Die Erhebungen und der Einbürgerungsentscheid werden dabei idealerweise einer „Behörde“ in die Hände gelegt, die sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst ist und die Aufgaben mit der nötigen Fachkompetenz und Kenntnis der örtlichen Begebenheiten zu erfüllen vermag. In diesem Zusammenhang liegt es nahe, an die Bürgergemeinde anzuknüpfen. Die in den letzten knapp sieben Jahren gemachten Erfahrungen zeigen, dass die Vertreter der Bürgergemeinden – wie im Übrigen auch jene der politischen Gemeinden – äusserst motiviert ans Werk gehen. Die Erhebungen werden seriös und unter Zuhilfenahme der vom Amt für Migration und Zivilrecht ausgearbeiteten Formulare vorgenommen. Dies bietet Gewähr für eine korrekte Rechtsanwendung und zwar unabhängig davon, ob der Einbürgerungsentscheid durch die Bürgerversammlung, den Vorstand der Bürgergemeinde oder eine gesetzlich zulässige Kommission getroffen wird. Die Regierung sieht denn auch keinerlei Anlass, den Bürgergemeinden die Kompetenz zu entziehen, über Einbürgerungsgesuche zu befinden. Die Regierung beantragt aus diesen Gründen die Ablehnung des Auftrages.
16. Januar 2013