Nach dem Abschuss des Problembären M13 stellt sich die Frage wie weiter. Diese Frage muss nicht nur im Zusammenhang mit Bären im Speziellen, sondern mit Grossraubtieren im Allgemeinen (Bär, Wolf) gestellt werden. Einerseits herrscht in der von Umwelt- und Tierschutzorganisationen geprägten öffentlichen Diskussion die Meinung vor, dass wir Menschen lernen müssen, mit diesen Grossraubtieren zu leben und umzugehen. Es ist nach dem Abschuss von M13 seitens der erwähnten Organisationen sogar davon die Rede, dass der Druck auf den Kanton und die Gemeinden massiv erhöht werden soll. Für eine Eidgenössische Initiative, die den Schutz von Grossraubtieren in der Bundesverfassung verankern will, werden Unterschriften gesammelt.
Auf der anderen Seite bestehen Sorgen und Ängste in der Bevölkerung, die ein Zusammenleben mit Grossraubtieren ausschliessen. Diese Stimmungslage findet Ausdruck in vielen öffentlichen Unmutsbekundungen oder in der Gründung eines Antibären-Vereins. Für diese Bevölkerungskreise ist es unverständlich, dass von Aussenstehenden und „von oben herab“ bestimmt wird, wie mit diesem Thema umzugehen ist. Es kann festgestellt werden, dass Regionen vor der konkreten Erfahrung mit Grossraubtieren, dem Thema durchaus positiv gegenüber eingestellt waren. Die direkte Betroffenheit hat die Meinung aber in eine kritische bis ablehnende Haltung kippen lassen. Es ist daher nicht zielführend, den Betroffenen eine Meinung und ein Umgang mit dem Thema aufzuzwingen. In der auch vom Kanton verfolgten Stossrichtung wird die kritische/ablehnende Haltung der betroffenen Bevölkerung aber weitestgehend ausser Acht gelassen.
Bevor kostspielige Massnahmen wie beispielsweise die Umrüstung von Infrastrukturen forciert, die Schaffung eines Bärenbeauftragten eingeleitet oder der Herdenschutz ausgedehnt werden, ist die Grundsatzfrage zu klären, welche der eingangs erwähnten Entwicklungen von der betroffenen Bevölkerung mitgetragen wird. Meinungen, Studien und Expertisen von Dritten sind in dieser Debatte wichtig. Genauso wichtig aber ist eine aktive, basisdemokratische Einbindung der betroffenen Bevölkerung, das heisst der Bündnerinnen und Bündner.
Die Regierung wird beauftragt, die Meinung und Anliegen der Bevölkerung ernsthaft zu analysieren (z.B. durch Einberufung eines sog. „Runden Tischs“ mit Gemeindevertretern) und in geeigneter Weise in die Debatte und den politischen Prozess einfliessen zu lassen.
Chur, 24. April 2013
Kollegger (Chur), Monigatti, Steck-Rauch, Blumenthal, Bondolfi, Brandenburger, Buchli-Mannhart, Burkhardt, Caduff, Casty, Cavegn, Conrad, Davaz, Della Vedova, Dosch, Fallet, Foffa, Geisseler, Hitz-Rusch, Jeker, Kasper, Koch (Igis), Kollegger (Malix), Komminoth-Elmer, Mani-Heldstab, Meyer-Grass, Michael (Castasegna), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Parpan, Perl, Stiffler (Davos Platz), Tscholl, Vetsch (Pragg-Jenaz), Decurtins-Jermann, Lauber, Pedrini (Soazza), Vassella
Antwort der Regierung
Die Grossraubtiere Bär, Wolf und Luchs haben gemäss dem Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (SR 0.455; nachfolgend Berner Konvention) einen internationalen Schutzstatus. Bär und Wolf gehören demnach zu den "streng geschützten Tierarten", während der Luchs den Status einer "geschützten Tierart" hat. Die Schweiz hat diese Konvention am 19. September 1979 in Bern abgeschlossen. Nach Genehmigung der Konvention durch die Bundesversammlung am 11. Dezember 1980 und nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 12. März 1981 ist die Konvention für die Schweiz am 1. Juni 1982 in Kraft getreten. Ebenso sind Bär, Wolf und Luchs gemäss eidgenössischem Jagdgesetz geschützte Raubtierarten.
Der strenge Schutzstatus von Bär und Wolf bedeutet, dass jede Form des absichtlichen Fangens, des Haltens und des absichtlichen Tötens verboten ist (Art. 6 der Berner Konvention). Ausnahmen sind gemäss Berner Konvention nur unter äusserst einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Dazu gehören beispielsweise Massnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit wie etwa der Abschuss von Risikobären oder Massnahmen zur Verhütung ernster Schäden an Viehbeständen wie etwa Einzelabschüsse schadensstiftender Wölfe. Einzig beim Luchs sind nach Berner Konvention selektive Massnahmen zur Regulation des Bestandes gestattet.
Die Frage nach der Akzeptanz der Grossraubtiere bei der ansässigen Bevölkerung im Alpenraum ist durchaus berechtigt. Diesbezüglich bleibt aber festzuhalten, dass die Berner Konvention und das eidgenössische Jagdgesetz auch für Graubünden bindend sind. Aufgrund des international und national verankerten Schutzstatus von Bär, Wolf und Luchs muss sich die Bevölkerung im Alpenraum zwangsläufig wieder an das Zusammenleben mit Grossraubtieren gewöhnen. Wahlfreiheit – wie sie im Auftrag formuliert wird – gibt es nicht. Die Regierung kann daher den Auftrag nicht entgegennehmen, weil sie diesen Auftrag aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht erfüllen könnte. An diesen rechtlichen Rahmenbedingungen dürfte sich auch mittelfristig nichts ändern. Bestrebungen, die Berner Konvention zu kündigen, scheiterten im Jahr 2010 bereits im Nationalrat. Ebenso wurde das Begehren der Schweiz, den Wolfschutz zu lockern, vom Ständigen Komitee der Berner Konvention Ende 2012 abgelehnt.
Präventionsmassnahmen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Grossraubtieren sind von zentraler Bedeutung. Anzuführen sind in diesem Zusammenhang vor allem der Herdenschutz sowie der Ausbau einer bärensicheren Abfallentsorgung im Siedlungsbereich und entlang der Kantonsstrassen. Diese Massnahmen sind gezielt und nach Prioritäten geordnet weiterzuführen. Gleiches gilt in den Bereichen Information und Öffentlichkeitsarbeit. Ebenso sind mehr Bundesmittel für den zusätzlichen Aufwand der Landwirtschaft und des Amtes für Jagd und Fischerei sowie für den Herdenschutz einzufordern. Diese Massnahmen sind vordringlich und erlauben – entgegen den Ausführungen im vorliegenden parlamentarischen Vorstoss – kein Zuwarten. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen sprechen somit auch diese Überlegungen gegen eine Entgegennahme des Auftrags. Die Regierung beantragt dem Grossen Rat, den Auftrag abzulehnen.
10. Juni 2013