Seit rund 22 Monaten ist nun die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) in Betrieb. Die KESB hat die Aufgaben der ehemaligen Vormundschaftsbehörde übernommen. Dies bedeutet unter anderem, dass die KESB Adressatin für Meldungen wie Gefährdungsmeldungen ist, welche vormundschaftlich relevant sein können. Im Interesse der Betroffenen ist in diesen Fällen eine professionelle und zügige Abklärung der gemeldeten Probleme unabdingbar. Des Weiteren werden Entscheide betreffend vormundschaftlicher Massnahmen (wie Errichtung einer Beistandschaft, Fremdplatzierung, Sondersettings etc.) nicht mehr auf Gemeindeebene, sondern auf kantonaler Ebene - mit teils enormen Kostenfolgen für die Gemeinden - gefällt. Innerhalb der letzten Monate ist hier schweizweit ein grosser Unmut über das „schwarze Loch“ der KESB entstanden. Praktische Erfahrungen aus anderen Kantonen zeigen, dass die betroffenen Gemeinden zur Kostengutsprache und zur Finanzierung der Massnahmen, welche von der KESB beschlossen wurden, verpflichtet sind und werden, sie aber gar nicht oder nur sehr zurückhaltend informiert werden. Aus Sicht der Gemeinden und Steuerzahler kann es nicht angehen, dass den in das Verfahren involvierten Gemeindebehörden, welche genauso wie die KESB selbst dem Datenschutz und der Schweigepflicht unterstehen, unter dem Deckmantel des Datenschutzes und Amtsgeheimnisses massgebliche Informationen systematisch vorenthalten werden.
Nach nun bald zwei Jahren ist es an der Zeit, ein Fazit über die KESB zu ziehen und allenfalls nötige Anpassungen vorzunehmen. Da die evtl. nötigen Anpassungen aber rechtliche Grundlagen bzw. die finanziellen und personellen Ressourcen betreffen könnten, bitte ich den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie stellt sich die Regierung zum Beschwerderecht der Gemeinden zur Anfechtung von KESB-Beschlüssen?
2. Ist ein Fall von Anfechtung von KESB-Beschlüssen im Kanton Graubünden bekannt?
3. Wie lange dauert es durchschnittlich nach Eingang einer Meldung, bis die KESB tätig wird und wie lange dauert es durchschnittlich bis die KESB einen Entscheid fällt? Hat sich die Dauer von der Meldung bis zum Entscheid verlängert, seit die Gemeinden nicht mehr zuständig dafür sind?
4. Ist der Regierung bekannt, ob die Gemeinden mit der Effizienz und den Lösungen der KESB zufrieden sind?
5. Nimmt die KESB vor dem Fällen eines Entscheids mit der Gemeinde, welche die Kosten übernehmen muss, Kontakt auf? Versucht die KESB bei ihren Entscheiden zwischen den vormundschaftlichen Interessen und den finanziellen Folgen für die betroffenen Gemeinden eine ausgeglichene Lösung zu finden?
6. Haben sich seit der Einführung der KESB die Kosten für die Gemeinden erhöht? Falls ja, kann die Regierung diese ungefähr beziffern?
7. Welche durchschnittlichen Kosten pro Fall entstehen in den Organisationen der KESB? Wie hoch sind die höchsten Kosten für einen Einzelfall bis anhin?
8. Sieht die Regierung nach Klärung obiger Fragen Handlungsbedarf bei der Organisation KESB oder den rechtlichen Grundlagen?
Chur, 22. Oktober 2014
Brandenburger, Marti, Casanova-Maron (Domat/Ems), Albertin, Alig, Baselgia-Brunner, Blumenthal, Bondolfi, Burkhardt, Caluori, Casanova (Ilanz), Casty, Caviezel (Davos Clavadel), Crameri, Danuser, Della Vedova, Epp, Felix (Scuol), Florin-Caluori, Giacomelli, Hug, Jenny, Joos, Kappeler, Koch (Igis), Kunfermann, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Kuoni, Lamprecht, Lorez-Meuli, Mathis, Müller, Nay, Niederer, Niggli (Samedan), Papa, Paterlini, Pedrini, Pfäffli, Salis, Schutz, Steiger, Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Toutsch, Valär, von Ballmoos, Weber, Widmer-Spreiter, Wieland, Bonderer, Candrian, Natter, Sgier, Sonder
Antwort der Regierung
1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Kreis der Beschwerdeberechtigten abschliessend im Schweizerischen Zivilgesetzbuch geregelt. Das finanzielle Interesse der Gemeinden an möglichst kostengünstigen Massnahmen ist kein rechtlich geschütztes Interesse, das eine Beschwerdelegitimation begründen würde (Urteil des Bundesgerichts 5A_979/2013 vom 28.03.2014).
2. Nach Auskunft des Kantonsgerichts von Graubünden gab es bisher eine einzige Beschwerde einer Gemeinde, welche allerdings zurückgezogen wurde.
3. In absoluten Zahlen lässt sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den KESB nicht darlegen. Gefährdungsmeldungen werden von den KESB unverzüglich an die Hand genommen. Je nach Sachlage und Dringlichkeit erlässt die KESB innert ein bis zwei Arbeitstagen einen Entscheid. Nicht jede Gefährdungsmeldung führt indes zu einer Massnahme bzw. einem Entscheid. Im Erwachsenenschutz werden rund ein Drittel und im Kindesschutz rund 40% der Abklärungen ohne Massnahme bzw. Entscheid abgeschlossen. Bei latenten Gefährdungslagen kann es aber auch Jahre dauern, bis ein Entscheid gefällt werden kann, weil auf Informationen bzw. Handlungen Dritter gewartet werden muss oder ein längerer Beobachtungszeitraum angemessen ist.
Das Vormundschaftswesen war in Graubünden seit 1862 eine Kreis- und nicht eine Gemeindeangelegenheit. Der Vergleich über die Verfahrensdauer zwischen dem früheren und dem aktuellen System ist nicht möglich, da keine Erhebungen über die Bearbeitungszeiten in den Kreisen vorliegen.
4. Zwar sind gewisse Unmutsäusserungen von Gemeindevertretern gegenüber dem Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit (DJSG) als Aufsichtsbehörde gemacht worden; offiziell sind sie nur sehr vereinzelt an die Aufsichtsbehörde herangetreten. Sorgen bereiten insbesondere die Höhe der Massnahmekosten, welche subsidiär von den Gemeinden zu tragen sind, und mitunter auch die Ausführlichkeit von KESB-Entscheiden und die Zusammenarbeit zwischen den KESB und den Berufsbeistandschaften. Eine generelle Unzufriedenheit mit der Arbeit der KESB war aber nicht festzustellen.
5. Sofern insbesondere die finanziellen Interessen einer Gemeinde von einer geplanten Massnahme wesentlich berührt sind, haben sie gemäss Art. 11 der Verordnung zum Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV) ein Anhörungsrecht. Die Gemeinden werden daher vorgängig oder - im Fall von Gefahr im Verzug - nachträglich von den KESB angehört. Ein Akteneinsichtsrecht haben die Gemeinden von Bundesrechts wegen allerdings nicht.
Die KESB haben den bundesrechtlichen Auftrag, Gefährdungen von schutz- und hilfsbedürftigen Erwachsenen oder Kindern adäquat abzuwenden bzw. aufzufangen. Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht ist stark vom Subsidiaritätsprinzip (KESB greift erst ein, wenn Eltern oder Erwachsene nicht selbst unter Ausnutzung der freiwilligen Angebote Abhilfe schaffen) und vom Verhältnismässigkeitsprinzip ("so viel wie nötig, so wenig wie möglich") geprägt. Dem Verhältnismässigkeitsprinzip folgend, ordnen die KESB die jeweils kostengünstigste angemessene Massnahme an. Dabei ist aber zu bedenken, dass vielfach keine Wahlmöglichkeit besteht, da überhaupt nur ein angemessenes Angebot vorhanden ist.
6. Kosten entstehen für die Gemeinden in zweifacher Hinsicht. Einerseits tragen sie anteilsmässig die Kosten für die Führung der regionalen Berufsbeistandschaften. Andererseits sind sie zur subsidiären Tragung der Massnahmekosten im Kindes- und Erwachsenenschutz verpflichtet (Art. 63a Abs. 2 Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [EGzZGB]). Die dabei pro Gemeinde anfallenden Kosten können seitens des Kantons nicht beziffert werden.
7. Der Kostenrahmen für die Verfahrenskosten der KESB ist in der KESV vorgegeben. Pro Fall wurden von den KESB im Jahr 2013 durchschnittliche Verfahrenskosten von rund CHF 400.-- bis CHF 500.-- erhoben. Der höchste Rechnungsbetrag für Verfahrenskosten in einem Einzelfall betrug CHF 4'580.--.
8. Alle KESB in der Schweiz befinden sich noch in der Aufbau- bzw. in der Konsolidierungsphase, so dass eine abschliessende Beurteilung über den gesetzgeberischen Anpassungsbedarf noch nicht erfolgen kann. In gewissen Bereichen hat sich allerdings schon heute ein Revisionsbedarf gezeigt, weshalb das DJSG zurzeit eine Teilrevision der KESV vorbereitet. In der KESV werden insbesondere die Bestimmungen betreffend Verfahrens- und Massnahmekosten revidiert. Weiter geprüft wird eine Teilrevision des EGzZGB, welche auch den Auftrag Kleis-Kümin zur Prüfung einer Verbesserung des Abrechnungsmodus für die Mandatsträgerkosten der Berufsbeistände behandeln wird. Schliesslich hat der Bundesrat am 19. November 2014 zwei Anfragen aus dem Nationalrat zur Annahme empfohlen und in Aussicht gestellt, die Qualität, die Kosten und die Zahl der Massnahmen (betroffene Personen) sowie die Zielerreichung der Revision des Vormundschaftsrechts auf Bundesebene zu evaluieren.
14. Januar 2015