Der Kanton Graubünden verfolgt im Asylbereich die Strategie der verfahrensabhängigen Unterbringung. Er unterhält als Kollektivunterkünfte ein Erstaufnahmezentrum, mehrere Transitzentren und ein Ausreisezentrum. Für alle diese Zentren ist die Betreuung während der ganzen Woche gewährleistet. Die Mitarbeitenden der Kollektivunterkünfte sorgen für einen störungsfreien Betrieb innerhalb der Unterkünfte sowie gegenüber der Nachbarschaft.
Daneben unterhält der Kanton ein Minimalzentrum, wo er verfahrensunabhängig und vorübergehend Menschen unterbringt, die sich gewalttätig verhalten oder sich nicht an die Regeln der Kollektivunterkünfte halten. Im Minimalzentrum ist die Betreuung auf das minimalste Ausmass beschränkt: Gemäss Konzept des Amts für Migration und Zivilrecht ist dies eine tägliche Anwesenheitskontrolle, während welcher das Essensgeld ausbezahlt wird.
Als Minimalzentrum wird die Containersiedlung in der Waldau Landquart genutzt. Bei Überbelegung in den Kollektivunterkünften nutzt das AFM die Containersiedlung zudem provisorisch als Ausreisezentrum. Aufgrund der sehr rudimentären Infrastruktur ist auch in diesem Fall nur eine minimale Betreuung möglich. Seit der Kanton das Minimalzentrum in der Waldau betreibt, kommt es deshalb immer wieder zu Zwischenfällen: Brände, Tätlichkeiten unter den Bewohnern, Messerstechereien. Tragischer Tiefpunkt dieser Serie von Vorkommnissen ist das Tötungsdelikt vom März 2013.
Dass der Kanton ausgerechnet bei gewalttätigen Personen oder Menschen, die in den Zentren andersweitig verhaltensauffällig werden, auf eine eigentliche Betreuung verzichtet, ist verantwortungsethisch problematisch. Aus der Warte der Sicherheit der Bewohner selbst sowie der Nachbarschaft. Eine schriftliche Umfrage bei 14 anderen Kantonen hat ergeben, dass diese bei Problemfällen auf Sonderstrukturen verzichten, grossmehrheitlich die Betreuungsintensität beibehalten und andere Massnahmen zur Sanktionierung von Unruhestiftern bevorzugen. Die meisten Kantone platzieren diese in ein anderes betreutes Zentrum um, was Konflikte zwischen den Bewohnern oft entschärft.
Der Kanton Graubünden konnte im Bereich Asyl und Vollzug in den letzten Jahren regelmässig grosse transitorische Abgrenzungen (Rückstellungen) tätigen, muss diese Gelder aber zweckgebunden im Asylbereich einsetzen. Der finanzielle Spielraum für die Problemlösung ist also vorhanden. Die Unterzeichnenden beauftragen die Regierung deshalb, das Unterbringungs- und Betreuungskonzept im Asylbereich in dieser Frage folgendermassen zu ändern.
1. In kantonalen Minimalzentren ist eine Betreuung aufrecht zu erhalten, die die Gefahr von Auseinandersetzungen minimiert und die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Nachbarschaft erhöht.
2. Kantonale Minimalzentren verfügen über eine Infrastruktur, die eine permanente Betreuung ermöglicht. Gerade auch für den Fall der provisorischen Umnutzung.
3. Gestaltet sich die Umsetzung der ersten beiden Punkte für den Kanton Graubünden zu aufwendig, verzichtet er auf Sonderstrukturen für Renitente. Er orientiert sich beim Umgang mit renitenten Asylsuchenden an der Praxis anderer Kantone ohne Sonderstrukturen.
Chur, 28. August 2015
Perl, Märchy-Caduff, Hardegger, Albertin, Atanes, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp, Casanova (Ilanz), Caviezel (Chur), Darms-Landolt, Deplazes, Gartmann-Albin, Geisseler, Holzinger-Loretz, Jaag, Kunfermann, Locher Benguerel, Monigatti, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Peyer, Pult, Schneider, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), von Ballmoos, Zanetti (Landquart), Degiacomi, Engler (Surava), Föhn, Gugelmann, Tuor
Antwort der Regierung
Asylsuchende werden in Graubünden kollektiv untergebracht, bis über ihr definitives oder vorläufiges Bleiberecht entschieden wurde und sie zumindest in einer teilweisen finanziellen Selbständigkeit für sich und ihre Angehörigen sorgen können. Nach der Zuteilung durch den Bund werden die Personen des Asylwesens für einige Monate im Erstaufnahmezentrum untergebracht und anschliessend auf die Transitzentren verteilt. Rechtskräftig abgewiesene Asylbewerber, die um Nothilfe ersuchen und ihrer Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachkommen, werden im Ausreisezentrum (ARZ) Flüeli untergebracht. Diese Personen müssen die Schweiz umgehend verlassen und erhalten lediglich eine Nothilfe. Solche Personen, welche überdies durch ihr Verhalten besonders negativ auffallen und zu Gewalttätigkeit neigen, können zeitlich befristet im Minimalzentrum Waldau (MIZ) in Landquart untergebracht werden. Aufgrund der momentanen Platzverhältnisse in den Transitzentren musste das MIZ über die letzten Monate zwei Mal kurzfristig als sogenannte Time-out-Struktur betrieben werden. Das heisst, es wurden auch renitente Asylsuchende aus den Transitzentren dorthin verlegt. Festzuhalten ist ausserdem, dass dem MIZ keine Frauen zugewiesen werden.
zu Punkt 1
Das MIZ in Landquart steht in einem gewissen Abstand zur Nachbarschaft und soweit bekannt ist, wurde durch den Betrieb bis anhin nie die Sicherheit der Bewohner der umliegenden Liegenschaften tangiert. Zudem werden sämtliche Zuweisungen umgehend dem Polizeiposten Landquart gemeldet, welcher eine verstärkte Polizeipräsenz vor Ort sicherstellt. Die Betreuung im MIZ erfolgt durch die Mitarbeitenden des ARZ Flüeli. Während der temporären Umnutzung hielten sich die Betreuenden des ARZ zudem vermehrt in Landquart auf. Die Rückkehrberatung steht diesen Personen stets mit Beratung und Unterstützung zur Verfügung. Die Erreichbarkeit der Betreuerinnen und Betreuer ist durch einen Pikettdienst während 24 Stunden gewährleistet. Den Bewohnern des Minimalzentrums wird jeweils zur Kenntnis gebracht, dass sie sich mit persönlichen und/oder gesundheitlichen Fragen und Problemen an die an den Wochentagen anwesenden Betreuenden oder an die Sachbearbeiter des AFM wenden können. Praktisch jede dieser Personen verfügt über mindestens ein Mobiltelefon und kann sich deshalb bei Bedarf selbständig bei der Polizei oder den anderen Notfallnummern melden. Trotzdem wird zusätzlich noch ein fixer Telefonanschluss installiert. Die zugewiesenen Personen nutzen erfahrungsgemäss den Tag (und oft auch die Nacht) ausserhalb der Strukturen und sind eher selten dort anzutreffen – ausser bei der Auszahlung der Unterstützungsgelder. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich mit einer permanenten Anwesenheit von Betreuungspersonen etwas an diesem Umstand ändern würde. Eine sinnvolle Beschäftigung dieser Personen ist weder realistisch und je nach Verfahrensstand auch in rechtlicher Hinsicht ausgeschlossen. Eine allfällige Ausgestaltung von Tagesprogrammen in Form von Beschäftigung/Unterhaltung ist weder im Sinn des rechtswidrigen Aufenthalts noch dem mit der angeordneten Unterbringungsform angestrebten Zweck (time out). Aus diesen Gründen würde auch eine dauernde Anwesenheit von Betreuungspersonen die Gefahr von Auseinandersetzungen kaum verringern und wäre auch nicht verhältnismässig.
zu Punkt 2
Die provisorische Umnutzung erfolgte im Jahr 2014 aufgrund des plötzlichen Anstiegs der Asylgesuche als Notmassnahme und in der Folge der vielen neu zugewiesenen Personen in den Kanton Graubünden. Das AFM benötigte einige Zeit, bis neue Strukturen zur Unterbringung von Asylsuchenden betriebsbereit waren. Seitdem die Ausreisepflichtigen im Mai 2015 wieder nach Valzeina ins ARZ transferiert werden konnten, wurde das MIZ lediglich für knapp vier Tage belegt. In der Zwischenzeit konnte den konstant hohen Neuzuweisungen nur begegnet werden, indem provisorische Unterkünfte angemietet wurden. Eine erneute Umnutzung als Ausreisezentrum ist derzeit nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich, muss jedoch als absolute Notmassnahme weiterhin vorbehalten bleiben. Die Ausgestaltung der Räumlichkeiten, sowohl im ARZ wie auch im MIZ hat für die Bewohner in der Regel eine untergeordnete Bedeutung und gelegentlich werden Einrichtungen mutwillig beschädigt.
zu Punkt 3
Tatsache ist, dass sich eine beschränkte Anzahl der zu betreuenden Personen nicht an die vorgegebenen Regeln hält und deshalb ein Bedarf für ein angemessenes Sanktionierungssystem besteht. Die Forderung des Verzichts auf die Sonderstruktur für Renitente würde sich nicht zuletzt gegen die grosse Mehrheit der Asylsuchenden in den Zentren richten, welche sich anständig verhalten und die Regeln einhalten. Renitente Personen drohen und/oder sind ausfällig und/oder üben Gewalt aus und sind meistens überdurchschnittlich aggressiv und gewaltbereit. Sie verursachen oft Angst und Schrecken, jedoch nicht in einem Mass, welches durch die Justiz geahndet werden kann. Trotzdem stören sie einen geordneten Betrieb im Asylzentrum massiv. Wenn alle milderen Massnahmen wie Gespräche, Verwarnungen, Sanktionen in Form einer Kürzung der Unterstützungsleistungen oder Versetzen in andere Zentren ausgeschöpft sind und keine Wirkung zeigen, muss eine zeitweilige Entlastung der übrigen Asylsuchenden und Betreuenden sichergestellt werden können. Oftmals kann durch einen befristeten Aufenthalt im MIZ, mit beschränkter Aufmerksamkeit durch die Betreuung, eine Abkehr des Verhaltens oder ein Überdenken der persönlichen Situation erreicht werden.
Aus den genannten Gründen lehnt die Regierung den Auftrag ab.
28. Oktober 2015