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Session: 13.06.2017

Gemäss den von den zuständigen Ämtern (Betreibungs- und Konkursamt, Steueramt, kantonales Handelsregister, etc.) zur Verfügung gestellten Informationen geht hervor, dass die Anzahl der im Moesano gegründeten und in verschiedenen Bereichen tätigen Gesellschaften in den letzten Jahren zugenommen hat. Die normale Marktsituation ist mit Sicherheit nicht der Grund für diese Entwicklung. Vielmehr ist diese Zunahme auf den Umstand zurückzuführen, dass im Kanton Graubünden - im Unterschied zum nahegelegenen Kanton Tessin - keine Regelungen existieren (Gesetze wie das Tessiner Gewerbegesetz LIA, LEPICOSC, das Treuhändergesetz, etc.), welche die Gründung sowie die Tätigkeit dieser Gesellschaften erschweren, die oftmals in nicht gänzlich transparenten Bereichen tätig sind. Der Kanton Tessin hat diese Gesetze verabschiedet, um den starken Druck aus dem angrenzenden Italien etwas abzufedern. Durch das Erfordernis eines Strafregisterauszugs, welcher den Ersuchen zum Erhalt der B-Bewilligung beigefügt werden muss, werden solche Bewilligungen im Kanton Tessin nicht mehr allen gesuchstellenden Personen erteilt.

Das Moesano ist zu einem "Eldorado" für Briefkastenfirmen geworden, welche nichts zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beitragen, sondern sich vielmehr negativ auf diese auswirken. Die Gründung dieser Gesellschaften geht oft mit der Beantragung und der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen (B-Bewilligungen) vonseiten des Kantons einher. Dies geschieht oft durch das Aufsetzen von "unechten" Arbeitsverträgen. Die Gemeinden üben keine ausreichende Kontrolle hinsichtlich des Aufenthalts aus, da sie oft nicht angemessen organisiert sind (Gemeindepolizei). Mögliche und gewünschte Steuereinnahmen entfallen infolge von Betreibungs- und Konkursverfahren.

Im Jahr 2014 stellte das für das Moesano zuständige Amt in Roveredo 3429 Zahlungsbefehle aus. In den Jahren 2015 und 2016 waren es 3595 resp. 4128 Zahlungsbefehle. In der Zeitspanne 2013-2014 ist die Anzahl der Zahlungsbefehle um 170% angestiegen. Im Jahr 2016 lag das Verhältnis zwischen Zahlungsbefehlen und Bevölkerung - bei einer Bevölkerung von 8300 Einwohnern - bei eins zu zwei. Zum Vergleich: In der Region Bernina lag dieses Verhältnis bei eins zu acht. Bei der Anzahl der Konkurse liegt das Moesano im Kanton Graubünden nach Chur auf Platz zwei. Im Jahr 2017 liegt die Anzahl der Konkurse nach fünf Monaten bereits bei über 20, während im Vorjahr insgesamt rund 40 Konkurse verzeichnet worden waren.

Diese Situation ist auch für die Sozialversicherungen (AHV/IV, ALV) sowie für die verschiedenen Arbeitslosenkassen mit beachtlichen organisatorischen und finanziellen Problemen verbunden.

In Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen ersuche ich deshalb die Regierung um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Stellt die Einführung eines Treuhändergesetzes (ein solches gab es bis 1985) auch im Kanton Graubünden für die Regierung eine vertrebare Massnahme dar, selbst wenn sie diese Regelung schon im Jahr 2003 als zu aufwändig und "überflüssig" bezeichnete?

2. Wie viele Gesellschaften in den verschiedenen Rechtsformen haben in den vergangenen vier Jahren ihren Sitz vom Kanton Tessin in den Kanton Graubünden verlegt und haben eine Betriebsstätte mit Büros, Lagerhallen, Angestellten, etc. eingerichtet?

3. Wie viele B-Bewilligungen wurden in den vergangenen vier Jahren an im Moesano tätige Personen erteilt und wie viele dieser Personen sind tatsächlich im Misox und im Calancatal wohnhaft?

4. Wie viele dieser Personen haben in den vergangenen vier Jahren von den Arbeitslosenkassen Leistungen bezogen?

5. Ist die Regierung bereit, das Erfordernis des Strafregisterauszuges für die Antragsteller von B-Bewilligungen einzuführen, wie dies bereits im Kanton Tessin gemacht wurde, selbst wenn diese Einschränkung von der Europäischen Union als nicht den bilateralen Abkommen konform eingestuft wird und somit umstritten ist?

Chur, 13. Juni 2017

Wellig, Pedrini, Papa, Atanes, Berther (Disentis/Mustér), Bleiker, Burkhardt, Caluori, Casanova-Maron (Domat/Ems), Casty, Caviezel (Chur), Clalüna, Darms-Landolt, Davaz, Della Vedova, Fasani, Felix (Scuol), Hartmann, Jeker, Kollegger, Mani-Heldstab, Marti, Michael (Donat), Michael (Castasegna), Monigatti, Müller, Noi-Togni, Perl, Peyer, Pfenninger, Pult, Salis, Schutz, Steiger, Thomann-Frank, Thöny, Vetsch (Klosters Dorf), Weidmann, Pfister

Antwort der Regierung

Die Regierung nimmt die Situation betreffend Briefkastenfirmen und B-Bewilligungen in der Region Moesa ernst und verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Verschiedene Massnahmen wurden bereits ergriffen. Sowohl auf politischer als auch auf Amtsebene steht der Kanton Graubünden mit dem Kanton Tessin in Kontakt.

Frage 1 Auf Bundesebene hat sich die Politik mit den angesprochenen Problemkreisen schon mehrmals beschäftigt. Unter dem Eindruck der raschen Entwicklung und des strukturellen Wandels im Finanzbereich wurde die Wichtigkeit einer wirksamen Regulierung sowie entsprechender Aufsichtsinstrumente zum Schutze des Publikums auch für den Wirtschaftsstandort Schweiz erkannt. Zurzeit werden das neue Finanzdienstleistungs- und das neue Finanzinstitutsgesetz im eidgenössischen Parlament beraten. Ersteres enthält Verhaltensregeln, die Finanzdienstleister gegenüber ihren Kunden einhalten müssen, während letzteres im Wesentlichen die Bewilligungsregeln für Finanzdienstleister vereinheitlicht. Seit längerem stehen die Bundesgesetze über die Börsen und den Effektenhandel (1. Februar 1997), zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (1. April 1998) und über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (22. Juni 2007) in Kraft. Das Bundesgesetz über Banken und Sparkassen (8. November 1934) befindet sich zurzeit in Revision. Zusätzlich bieten Selbstregulierungsorganisationen, so auch die SRO Treuhand Suisse, Gewähr dafür, dass unseriöse Finanzunternehmen gar nicht gegründet oder zumindest schnell als solche erkannt werden. Angesichts dessen, der nach wie vor aktuellen Antwort der Regierung vom 13. Januar 2004 zur Anfrage Noi vom 9. Dezember 2003 und des Umstands, dass ein kantonales Gesetz aufgrund dessen Geltung für das ganze Kantonsgebiet (nicht nur für das Misox) unverhältnismässig und unzweckmässig erscheint, sieht die Regierung keinen Anlass für die Schaffung einer entsprechenden kantonalen Regelung.

Frage 2 Seit 2014 sind insgesamt 281 Betriebe vom Tessin in das Misox transferiert worden (2014: 64; 2015: 78; 2016: 84; 1. Januar – 26. Juli 2017: 55). Ein Teil dieser Firmen sind in Konkurs gefallen, liquidiert, gelöscht oder wieder zurückverlegt worden. Effektiv verbleiben noch 194 Betriebe. 99 davon beschäftigen Angestellte. Bereits 32 wurden vom KIGA auf das Vorhandensein einer Betriebsstätte überprüft, wobei elf Betriebe keine nachweisen konnten. Diesen Betrieben wurde die Arbeitgebereigenschaft mittels Verfügung abgesprochen, wobei einige Beschwerden hängig sind.

Frage 3 Folgende B-Bewilligungen für ausländische Personen mit Wohnsitz und Arbeitsort in der Moesa sind erteilt worden: Jahr 2013: 108; 2014: 78; 2015: 83; 2016: 78; 1. Januar – 31. Mai 2017: 29. Zusätzlich sind seitens des Kantons Tessin in diesem Zeitraum insgesamt 69 B-Bewilligungen erteilt worden, bei denen der Wohnort der ausländischen Person im Kanton Tessin und der Arbeitsort in der Moesa war. Wie viele der bewilligten ausländischen Personen aber tatsächlich in der Moesa wohnen, ist dem Kanton nicht bekannt. Deuten konkrete Umstände auf einen fehlenden Wohnsitz in der Schweiz (z.B. Arbeitgeber weist keine Betriebsstätte auf), erfolgt seitens AFM eine Überprüfung mit allfälligem Entzug der B-Bewilligung.

Frage 4 Seit 1. August 2013 waren im RAV Roveredo insgesamt 109 italienische Staatsangehörige mit Aufenthaltsbewilligung B angemeldet, welche mindestens ein Arbeitslosentaggeld (ALE-Taggeld) bezogen haben.

Frage 5 Gemäss der geltenden Gesetzgebung und dem Freizügigkeitsabkommen ist es rechtlich unzulässig, bei allen Gesuchen standardisiert einen Strafregisterauszug einzufordern. Die Regierung des Kantons Graubünden ist nicht bereit, eine gesetzeswidrige Praxis einzuführen. Dies gilt vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass eventuelle Strafregistereinträge keinen direkten Zusammenhang mit den erwähnten Konkursen und Betreibungen aufweisen. Die Einforderung von Strafregisterauszügen würde einzig eine zusätzliche administrative Hürde darstellen. Strafen sind nur dann relevant, wenn sich daraus eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ableiten liesse.

30. August 2017