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Session: 01.09.2018

Die jüngsten massiven Gewalttaten gegen Frauen in der Schweiz, die hohen Opferzahlen im Bericht der Opferhilfe des Kantons Graubünden sowie die Äusserungen in diversen Diskussionsforen der sozialen Medien haben in der Öffentlichkeit erneut für Aufsehen gesorgt. Sie rufen in Erinnerung, dass Gewalt gegen Frauen weitaus verbreiteter ist, als allgemein angenommen.

Gewalt gegen Frauen betrifft die ganze Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Den Kollegen im Team, wenn seine Kollegin zuhause verprügelt wird. Die Grossmutter, deren Enkelin im Ausgang belästigt wird. Den Bruder, dessen Schwester an ihrem Arbeitsplatz sexuelle Übergriffe erleidet. Die Kinder, deren Eltern sich in gewalttätiger Weise auseinandersetzen.

Gewalt gegen Frauen verletzt nicht nur die betroffenen Frauen, sie belastet auch familiäre und private Beziehungen. Sie verhindert ein selbstbestimmtes Leben. Sie schüchtert Frauen ein, ob sie nun direkt betroffen sind, Zeuginnen werden oder sich aus Angst vor Gewalt nicht frei bewegen können.

Gewalt gegen Frauen bzw. häusliche Gewalt ist strafbar, diskriminierend und eine Verletzung der Menschenrechte. Es liegt deshalb im Interesse der gesamten Gesellschaft und des Staates, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, zu ahnden und ihr vorzubeugen. Mit dieser Einsicht hat die Schweiz die Instanbul-Konvention des Europarates angenommen und ratifiziert. Umgesetzt wird sie nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in jedem Kanton. Sie trat am 1. April 2018 in Kraft.

In ihrer Antwort vom 23. August 2017 auf die Anfrage Locher Benguerel hält die Regierung in Wiederholung des Wortlauts aus der bundesrätlichen Botschaft unter anderem fest: Bund und Kantone erfüllten die Anforderungen der Istanbul-Konvention weitestgehend. Und weiter wolle sie abwarten und prüfen, welche zusätzliche Massnahmen der Bund den Kantonen empfehlen wird.

Im Jahr 2009 wurde das Bündner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt beendet. Es dauerte fünf Jahre, bis die Regierung eine der Forderungen des Projektes umsetzte, indem sie eine Koordinationsstelle im Sozialamt einrichtete. Seither sind wiederum vier Jahre vergangen, und es ist nicht sichtbar geworden, wie die Koordinationsstelle wirkungsvolle Massnahmen umsetzt, die den Anforderungen der Istanbul-Konvention entsprechen. Obwohl ein neuer Leistungsvertrag mit dem Frauenhaus Graubünden in Kraft ist, arbeiten diese und andere Organisationen und Fachkräfte nach wie vor zu einem grossen Teil mit Spenden von privater Seite. Prävention und Sensibilisierung als wichtige Anforderungen der Istanbul-Konvention sind für die Öffentlichkeit kaum sichtbar.

Wir gelangen deshalb mit folgenden Fragen an die Regierung:

1. Wird die Regierung in der Umsetzung der Istanbul-Konvention eine aktive Rolle einnehmen und dazu beizutragen, dass Massnahmen mit den nötigen Mitteln ausgestattet und umgesetzt werden?

2. Plant die Regierung, dass die Koordinationsstelle im Sozialamt nicht nur koordiniert, sondern auch Mittel zur Verfügung hat, konzeptionell zu arbeiten und interdisziplinäre Projekte umzusetzen?

3. Wie gedenkt die Regierung die Bevölkerung in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu informieren und zu sensibilisieren?

4. Werden jene Stellen, welche mit Opfern von häuslicher Gewalt oder mit gewaltbetroffenen Frauen zu tun haben (Stabsstelle für Chancengleichheit, Polizei, Justiz, Soziale Dienste usw.) zur Umsetzung der Istanbul-Konvention geschult? Wenn nein, wann ist dies geplant?

Chur, 1. September 2018

Müller (Felsberg), Widmer (Felsberg), Atanes, Baselgia-Brunner, Bigliel, Brandenburger, Cahenzli-Philipp, Cantieni, Caviezel (Chur), Clalüna, Degiacomi, Deplazes (Chur), Erhard, Gasser, Gugelmann, Hartmann-Conrad, Hefti, Hitz-Rusch, Hofmann, Holzinger-Loretz, Horrer, Locher Benguerel, Maissen, Märchy-Caduff, Müller (Susch), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Perl, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Rutishauser, Schwärzel, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thöny, Ulber, von Ballmoos, Widmer-Spreiter (Chur), Wieland, Wilhelm, Zanetti (Sent)

Antwort der Regierung

Am 1. April 2018 ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (SEV-Nr. 210; Istanbul-Konvention) für die Schweiz in Kraft getreten. Sie ist das umfassendste internationale Übereinkommen, welches sich die Bekämpfung dieser Art von Menschenrechtsverletzungen zum Ziel setzt. Die Eckpfeiler des Übereinkommens sind die Bereiche Gewaltprävention, Opferschutz, Strafverfolgung sowie ein integrativer Politikansatz.

Die Istanbul-Konvention hat das Ziel, physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Frauen europaweit auf einem vergleichbaren Standard zu verhüten, zu bekämpfen und zu verfolgen. Dies gilt auch für Stalking, Zwangsheirat, die Verstümmelung weiblicher Genitalien sowie Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation. Bei häuslicher Gewalt erfasst das Übereinkommen alle Opfer von Gewalt, unabhängig vom Geschlecht.

Zu Frage 1: Für die Umsetzung des Übereinkommens sind im Rahmen ihrer Aufgaben und Kompetenzen sowohl Bund wie Kantone zuständig. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) koordiniert die Umsetzung des Übereinkommens auf nationaler Ebene. Es erstattet dem Europarat hierzu regelmässig Bericht.

Auf kantonaler Ebene übernimmt die Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG) im Auftrag der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Konferenz der Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) die Koordination. Die Koordinationsstelle gegen häusliche Gewalt Graubünden ist Mitglied der SKHG. Wesentliche Kompetenzen zur Umsetzung der Anforderungen liegen bei den Kantonen, namentlich die Strafverfolgung, die Opferhilfe sowie der Erwachsenen- und Kindesschutz.

Am 13. November 2018 findet eine vom EBG organisierte nationale Konferenz zur Istanbul-Konvention in Bern statt. Die Konferenz zeigt die Grundzüge der Istanbul-Konvention auf, informiert über die völkerrechtliche Verantwortung und den Monitoringprozess des Europarats. Beleuchtet wird die Rolle von Bund, Kantonen und Nichtregierungsorganisationen im Umsetzungsprozess und wie sie ihre Zusammenarbeit im Hinblick auf eine integrale und koordinierte Politik gestalten.

Zu Frage 2, 3 und 4: Die Koordinationsstelle gegen häusliche Gewalt hat seit ihrer Schaffung im Jahr 2015 Massnahmen zur Sensibilisierung vorgenommen, die Vernetzung mit nationalen Konferenzen sichergestellt und die Kooperation der beteiligten Institutionen und Ämter im Kanton eingeleitet. Im Rahmen des integralen Ansatzes haben Abklärungen mit der Kantonspolizei, der Staatsanwaltschaft, der Opferhilfe, dem Amt für Migration und Zivilrecht, der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, der Stiftung Frauenhaus, dem Amt für Justizvollzug, der Beratungsstelle für gewaltausübende Personen, dem Kantonsarzt, dem Erziehungsdepartement und der Stabsstelle für Chancengleichheit stattgefunden.

Der Kanton Graubünden wird nach der nationalen Konferenz zur Istanbul-Konvention in Bern die Ergebnisse und die empfohlenen Massnahmen der Arbeitsgruppe prüfen und aufgrund der kantonsinternen Abklärungen über das weitere Vorgehen entscheiden. Er beabsichtigt, die Umsetzung wenn möglich interkantonal zu koordinieren.

27. September 2018