Trotz vieler Fortschritte im Kampf für die Rechte von LGBTQ-Menschen (LGBTQ steht für «Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer» und bezeichnet alle Menschen, welche ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre Geschlechtsidentität abseits der Heteronormativität verorten) bleibt ein langer Weg zu gehen, bis tatsächlich Gleichstellung erreicht ist. Insbesondere erleiden LGBTQ-Personen auch heute im Kanton Graubünden noch regelmässig psychische, verbale, körperliche oder sexuelle Gewalt. Diese Gewalt ist alltäglich: Die LGBTQ-Dachverbände erfassen mittels einer Helpline durchschnittlich zwei Hassverbrechen gegen LGBTQ-Menschen in der Schweiz jede Woche, wobei das Ausmass der körperlichen Gewalt mit fast einem Drittel der Fälle besonders schockierend ist. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Fälle ist zudem sehr hoch.
Offizielle Statistiken dazu fehlen leider: Trotz zahlreicher internationaler, von der Schweiz unterzeichneter Abkommen, erfassen die Polizeibehörden den homo-, bi-, inter- und trans-feindlichen Charakter physischer und verbaler Gewalttaten nicht. Der Europarat riet deshalb in seinem 5. Bericht zur Schweiz 2014 den Behörden, endlich «statistische Daten über rassistische, homophobe oder transphobe Motive von Straftaten» zu erfassen. Die vom nationalen Parlament im letzten Herbst beschlossene Erweiterung der Antidiskriminierungs-Strafnorm um das Kriterium der «sexuellen Orientierung» wird zwar – als neuer Straftatbestand – die Erfassung gewisser Arten von Hassdelikten gegen Homo- und Bisexuelle nach sich ziehen. Das gilt jedoch bei Weitem nicht für alle Straftaten, denen ein LGBTQ-feindliches Tatmotiv zugrunde liegt.
Die häufige Straflosigkeit eines grossen Anteils der LGBTQ-feindlichen Aggressionen treibt die Opfer in Schweigen, Angstzustände, Isolation und manchmal in den Suizid – insbesondere Jugendliche. Es wird geschätzt, dass bloss 10-20 % der LGBTQ-feindlichen Gewaltfälle angezeigt werden. Laut Schweizer Kennzahlen liegt die Suizidrate bei Jugendlichen, welche nicht heterosexuell sind, fünfmal höher als bei denen, die heterosexuell sind. Bei trans und inter Menschen ist die Gefahr sogar zehnmal höher.
In Anbetracht der gegenwärtigen Zunahme von physischen und verbalen Angriffen gegenüber LGBTQ-Menschen, die den kantonalen und nationalen Organisationen gemeldet werden, ist es umso dringlicher, die derzeitige Praxis der Polizei zu ändern und die LGBTQ-feindlichen Aggressionen in den Kantonen klar zu erfassen. Zu diesem Zweck ist es ebenfalls wichtig, die Justiz- und Polizeibehörden in einer Grundausbildung zu schulen sowie Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Das Erfassen von Statistiken werden ein klares Bild der Sicherheitslage im Kanton Graubünden liefern. Es ist unerlässlich, dass der Staat den Umfang dieser Aggressionen kennt, um effizient gegen die Hassverbrechen vorgehen zu können.
Die Unterzeichnenden dieses parlamentarischen Vorstosses wollen bei den Behörden des Kantons Graubünden ein starkes Zeichen setzen, damit sich der Kanton gegen jegliche Art von Gewalt gegen LGBTQ-Personen einsetzt und alles unternimmt, damit diese in ihrer Integrität und Würde geschützt werden. Deshalb ergeben sich daraus folgende Fragen:
1. Wäre die Regierung bereit, die heutige Polizeipraxis dahingehend zu ändern, dass Aggressionen mit LGBTQ-feindlichem Charakter im Kanton erfasst, analysiert und in einer Statistik publiziert werden?
2. Wäre die Regierung bereit, die Ausbildung der Kantons- und Gemeindepolizeien um eine Schulung für den Umgang mit LGBTQ-feindlichen Aggressionen zu erweitern?
3. Welche Anstrengungen betreibt der Kanton Graubünden bisher, um LGBTQ-Menschen vor Hassverbrechen zu schützen?
4. Welche zukünftigen Massnahmen hat die Regierung geplant, um LGBTQ-Menschen wirksamer vor Diskriminierung und Hassverbrechen schützen zu können?
5. Welche Massnahmen hat die Regierung geplant, um die 5- bis 10-fach erhöhte Suizidrate von LGBTQ-Jugendlichen zu senken?
Pontresina, 13. Juni 2019
Pajic, Hofmann, Widmer (Felsberg), Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Cantieni, Caviezel (Chur), Deplazes (Chur), Epp, Gasser, Gugelmann, Hardegger, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Horrer, Kohler, Locher Benguerel, Maissen, Märchy-Caduff, Müller (Felsberg), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Perl, Preisig, Rettich, Rutishauser, Schwärzel, Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), Wilhelm