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Session: 13.06.2019

Trotz vieler Fortschritte im Kampf für die Rechte von LGBTQ-Menschen (LGBTQ steht für «Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer» und bezeichnet alle Menschen, welche ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre Geschlechtsidentität abseits der Heteronormativität verorten)  bleibt ein langer Weg zu gehen, bis tatsächlich Gleichstellung erreicht ist. Insbesondere erleiden LGBTQ-Personen auch heute im Kanton Graubünden noch regelmässig psychische, verbale, körperliche oder sexuelle Gewalt. Diese Gewalt ist alltäglich: Die LGBTQ-Dachverbände erfassen mittels einer Helpline durchschnittlich zwei Hassverbrechen gegen LGBTQ-Menschen in der Schweiz jede Woche, wobei das Ausmass der körperlichen Gewalt mit fast einem Drittel der Fälle besonders schockierend ist. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Fälle ist zudem sehr hoch.

Offizielle Statistiken dazu fehlen leider: Trotz zahlreicher internationaler, von der Schweiz unterzeichneter Abkommen, erfassen die Polizeibehörden den homo-, bi-, inter- und trans-feindlichen Charakter physischer und verbaler Gewalttaten nicht. Der Europarat riet deshalb in seinem 5. Bericht zur Schweiz 2014 den Behörden, endlich «statistische Daten über rassistische, homophobe oder transphobe Motive von Straftaten» zu erfassen. Die vom nationalen Parlament im letzten Herbst beschlossene Erweiterung der Antidiskriminierungs-Strafnorm um das Kriterium der «sexuellen Orientierung» wird zwar – als neuer Straftatbestand – die Erfassung gewisser Arten von Hassdelikten gegen Homo- und Bisexuelle nach sich ziehen. Das gilt jedoch bei Weitem nicht für alle Straftaten, denen ein LGBTQ-feindliches Tatmotiv zugrunde liegt.

Die häufige Straflosigkeit eines grossen Anteils der LGBTQ-feindlichen Aggressionen treibt die Opfer in Schweigen, Angstzustände, Isolation und manchmal in den Suizid – insbesondere Jugendliche. Es wird geschätzt, dass bloss 10-20 % der LGBTQ-feindlichen Gewaltfälle angezeigt werden. Laut Schweizer Kennzahlen liegt die Suizidrate bei Jugendlichen, welche nicht heterosexuell sind, fünfmal höher als bei denen, die heterosexuell sind. Bei trans und inter Menschen ist die Gefahr sogar zehnmal höher.

In Anbetracht der gegenwärtigen Zunahme von physischen und verbalen Angriffen gegenüber LGBTQ-Menschen, die den kantonalen und nationalen Organisationen gemeldet werden, ist es umso dringlicher, die derzeitige Praxis der Polizei zu ändern und die LGBTQ-feindlichen Aggressionen in den Kantonen klar zu erfassen. Zu diesem Zweck ist es ebenfalls wichtig, die Justiz- und Polizeibehörden in einer Grundausbildung zu schulen sowie Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Das Erfassen von Statistiken werden ein klares Bild der Sicherheitslage im Kanton Graubünden liefern. Es ist unerlässlich, dass der Staat den Umfang dieser Aggressionen kennt, um effizient gegen die Hassverbrechen vorgehen zu können.

Die Unterzeichnenden dieses parlamentarischen Vorstosses wollen bei den Behörden des Kantons Graubünden ein starkes Zeichen setzen, damit sich der Kanton gegen jegliche Art von Gewalt gegen LGBTQ-Personen einsetzt und alles unternimmt, damit diese in ihrer Integrität und Würde geschützt werden. Deshalb ergeben sich daraus folgende Fragen:

1.     Wäre die Regierung bereit, die heutige Polizeipraxis dahingehend zu ändern, dass Aggressionen mit LGBTQ-feindlichem Charakter im Kanton erfasst, analysiert und in einer Statistik publiziert werden?

2.     Wäre die Regierung bereit, die Ausbildung der Kantons- und Gemeindepolizeien um eine Schulung für den Umgang mit LGBTQ-feindlichen Aggressionen zu erweitern?

3.     Welche Anstrengungen betreibt der Kanton Graubünden bisher, um LGBTQ-Menschen vor Hassverbrechen zu schützen?

4.     Welche zukünftigen Massnahmen hat die Regierung geplant, um LGBTQ-Menschen wirksamer vor Diskriminierung und Hassverbrechen schützen zu können?

5.     Welche Massnahmen hat die Regierung geplant, um die 5- bis 10-fach erhöhte Suizidrate von LGBTQ-Jugendlichen zu senken?

Pontresina, 13. Juni 2019

Pajic, Hofmann, Widmer (Felsberg), Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Cantieni, Caviezel (Chur), Deplazes (Chur), Epp, Gasser, Gugelmann, Hardegger, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Horrer, Kohler, Locher Benguerel, Maissen, Märchy-Caduff, Müller (Felsberg), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Perl, Preisig, Rettich, Rutishauser, Schwärzel, Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), Wilhelm

Antwort der Regierung

Die Regierung hält es für wichtig, Minderheiten zu schützen und die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung, namentlich aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, zu fördern. 

Zu Frage 1: Die Kantone wurden im Frühsommer 2017 vom Bundesamt für Statistik (BFS) befragt, ob Straftaten gegen LGBTQ-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer) separat in der Kriminalstatistik erfasst werden sollen. Dabei hat sich eine Mehrheit der Kantone gegen die Erhebung des zusätzlichen Tatmotivs ausgesprochen. Straftaten gegen LGBTQ-Menschen werden gemäss dem zuständigen BFS somit auch künftig nicht separat in der Kriminalstatistik erfasst. Eine Aufnahme in die Kriminalstatistik kann nur von Seiten des BFS entschieden werden. Solange "hate crimes" gegenüber LGBTQ-Menschen keinen eigenen Straftatbestand darstellen oder die differenzierte Angabe eines Motivs nicht in allen Kantonen obligatorisch ist, wird es nicht möglich sein, diesbezüglich qualitativ hochstehende Daten in der nationalen Statistik zu veröffentlichen. Aussagekräftige statistische Erhebungen sind nur dann möglich, wenn die Zahlen in der gesamten Schweiz einheitlich erfasst werden und eine aussagekräftige Datenmenge zur Verfügung steht. Zudem ermöglicht die Erfassung ausserhalb der Kriminalstatistik, Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung einer Person zu. Dies ist aus Datenschutzgründen problematisch. Die Regierung unterstützt aber künftig die Aufnahme in die Kriminalstatistik.

Zu Frage 2: Ganz grundsätzlich müssen Lösungen im gesamtgesellschaftlichen Rahmen gefunden werden. Eine Schulung und Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden, namentlich der Polizei, auf verschiedenste Herausforderungen im Polizeialltag, findet im Prüfungsfach Menschenrecht und Ethik bereits statt. 

Zu Frage 3: Am wirksamsten sind die Anzeigen der Betroffenen bei der Polizei, obwohl wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen gewisse Hemmschwellen bestehen. Jede Polizistin und jeder Polizist wird eine solche Anzeige entgegennehmen. Die Strafverfolgung hat letztlich eine grosse Präventivwirkung.

Zu Frage 4: Wer in Zukunft gegen LGBTQ-Menschen hetzt, muss mit Konsequenzen rechnen. Das Bundesparlament hat im Dezember 2018 entschieden, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, durch Erweiterung des Anti-Rassismus-Artikels, unter Strafe zu stellen. Bisher war Aufruf zu Hass und dergleichen gegen Rasse, Ethnie oder Religion verboten. Eine konsequente Strafverfolgung und Rechtsprechung ist ein wirksamer Schutz vor Diskriminierung und Hassverbrechen. 

Zu Frage 5: In der eidgenössischen Jugendsession vom 11. November 2018 wurde die staatliche Unterstützung eines Netzwerks verlangt, um die sehr hohe Suizidrate bei jungen LGBTQ-Menschen zu senken. An einer Bundeslösung würde sich auch die Regierung beteiligen. Zudem unterstützt der Kanton jährlich die Beratung und Hilfe 147 der Pro Juventute Schweiz und damit auch die Suizidkampagne "Prävention Jugendsuizid". Vor zwei Jahren haben die Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) mit dem Aufbau einer Sprechstunde für Geschlechtervielfalt begonnen. Gleichzeitig organisiert die PDGR verschiedene Anlässe wie Vorträge und Podiumsdiskussionen, um zu sensibilisieren und zu informieren.

23. August 2019