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Session: 29.08.2019

Im Hinblick auf die Grossratswahlen vom 10. Juni 2018 hat die Regierung des Kantons Graubünden die Zahl der in jedem Wahlkreis für die Legislaturperiode 2018-2022 zu wählenden Abgeordneten festgelegt. Gegen den Beschluss der Regierung erhoben 54 Privatpersonen sowie fünf im Kanton Graubünden tätige politische Parteien Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden sowie an das Bundesgericht.

Mit Urteil vom 29. Juli 2019 wurde diese Beschwerde vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen. Das Bundesgericht hält fest, dass das derzeit geltende Majorzwahlverfahren für die Wahl des Grossen Rates zum grossen Teil, aber nicht in allen Belangen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar sei. Vor der Bundesverfassung nicht standzuhalten vermag die Anwendung des Mehrheitswahlrechts im kleinsten Wahlkreis Avers und in den sechs bevölkerungsreichsten Wahlkreisen Chur, Fünf Dörfer, Oberengadin, Rhäzüns, Davos und Ilanz.

Klar hält das Urteil fest, dass das Majorzwahlverfahren für 32 Wahlkreise nicht zu beanstanden ist. In diesen Kreisen steht die Persönlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten für einen Grossteil der Bevölkerung im Vordergrund und nicht die Parteizugehörigkeit. Damit bestehen verschiedene Möglichkeiten für Graubünden, sein Wahlsystem anzupassen. Einerseits kann am Majorzwahlverfahren festgehalten werden, wenn der Kreis Avers als kleinster Wahlkreis vergrössert wird und die zu grossen Wahlkreise entsprechend in kleinere Wahlkreise aufgeteilt werden. Eine zweite Möglichkeit ist die Durchführung von Proporzwahlen in diesen Wahlkreisen. Dabei soll in den 32 unbeanstandeten Wahlkreisen weiterhin am bestehenden Majorzwahlverfahren festgehalten werden.

Die Vertretung im Parlament unserer Sprachen, Täler, Regionen und Kulturen ist für Graubünden unabdingbar. Eine Einführung des reinen Proporzwahlsystems ist deshalb abzulehnen.

Die Regierung wird beauftragt, dem Grossen Rat eine Botschaft zur Anpassung des Wahlsystems für den Grossen Rat zu unterbreiten. Dabei ist in den 32 unbeanstandeten Wahlkreisen weiterhin am bestehenden Wahlverfahren festzuhalten. Für die vom Bundesgericht beanstandeten Wahlkreise sind zwei Varianten vorzuschlagen:

1.     Das Festhalten am Majorzwahlverfahren mit einer Vergrösserung des Wahlkreises Avers und einer Aufteilung der 6 bevölkerungsreichsten Wahlkreise in mehrere, kleinere Wahlkreise.

2.     Die Einführung des Proporzwahlsystems in den 6 bevölkerungsreichsten Wahlkreisen. Ergänzend kann eine Aufteilung einzelner dieser Wahlkreise in kleinere Wahlkreise mit Majorzwahlverfahren geprüft werden. Ebenfalls ist der Wahlkreis Avers anzupassen.

Chur, 29. August 2019

Claus, Michael (Donat), Cavegn, Berther, Bettinaglio, Bigliel, Brunold, Buchli-Mannhart, Caluori, Cantieni, Caviezel (Davos Clavadel), Censi, Clalüna, Danuser, Derungs, Ellemunter, Engler (Davos Dorf), Epp, Fasani, Felix, Flütsch, Föhn, Giacomelli, Grass, Gugelmann, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hefti, Hitz-Rusch, Hohl, Holzinger-Loretz, Jenny, Jochum, Kasper, Kohler, Kunfermann, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Kuoni, Loepfe, Loi, Maissen, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Castasegna), Mittner, Müller (Susch), Natter, Niggli (Samedan), Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Paterlini, Pfäffli, Ruckstuhl, Rüegg, Sax, Schmid, Schneider, Schutz, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Tomaschett (Breil), Ulber, Valär, Waidacher, Weidmann, Wellig, Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Sent), Costa, Davaz, Engler (Surava), Niederreiter

Antwort der Regierung

Mit Urteil vom 29. Juli 2019 hat das Bundesgericht festgestellt, dass das derzeit im Kanton Graubünden für die Wahl des Grossen Rats geltende Majorzverfahren zum grossen Teil, aber nicht in allen Belangen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist (1C_495/2017). Vor der Bundesverfassung nicht standhalten vermag nach dem Bundesgericht die Anwendung des Mehrheitsverfahrens im kleinsten Wahlkreis Avers (dies unter dem Aspekt der Stimmkraft-/Repräsentationsgleichheit) und in den sechs bevölkerungsreichsten Wahlkreisen Chur, Fünf Dörfer, Oberengadin, Rhäzüns, Davos und Ilanz (dies unter dem Aspekt der Erfolgswertgleichheit). Das Bundesgericht fordert die zuständigen Behörden des Kantons Graubünden im Sinne eines Appellentscheides auf, im Hinblick auf die nächste Wahl des Grossen Rats (2022) unter Beachtung der richterlichen Erwägungen eine verfassungskonforme Wahlordnung zu schaffen.

Aufgrund des Urteils des Bundesgerichts ist im Hinblick auf die nächste Erneuerungswahl des Grossen Rats im Frühjahr 2022 eine Anpassung des bisherigen Wahlsystems erforderlich. Es gilt also, in relativ kurzer Zeit, ein Wahlsystem zu finden, das einerseits verfassungskonform und andererseits politisch breit akzeptiert ist.  Ein künftiges Wahlsystem muss stabil, transparent/nachvollziehbar, gerecht und rechtskonform sein. Es muss insbesondere die geografische (Talschaften), kulturelle, wirtschaftliche, sprachliche, gesellschaftliche und konfessionelle Vielfältigkeit unseres Kantons berücksichtigen und garantieren, dass diese Vielfalt durch eine entsprechende Vertretung im Grossen Rat abgebildet wird.

Die Regierung erachtet es als wichtig, dass dieser sehr anspruchsvolle Prozess unter Beachtung der vom Bundesgericht aufgezeigten Möglichkeiten und auf Grundlage der vorgenannten Kriterien, aber ohne zu frühe Einschränkung auf konkrete Modelle angegangen werden kann. Das für Graubünden optimale Wahlsystem soll auf der Basis einer breiten Analyse und offenen Auslegeordnung gesucht werden. In diesem Prozess sind insbesondere die im Auftrag favorisierten Wahlsystem-Modelle näher abzuklären, einschliesslich auch Varianten dieser Modelle; auch bei Majorz- und gemischten Wahlsystemen gibt es in mehrfacher Hinsicht Gestaltungsmöglichkeiten, die auf ihre Eignung für die Verhältnisse in Graubünden geprüft werden sollen. In einer folgenden Vernehmlassungsvorlage soll dann das Ergebnis dieser Evaluation offengelegt und das aus Sicht der Regierung zu favorisierende konkrete Modell, allenfalls mit Varianten, zur Diskussion gestellt werden. Der politische Diskurs über das richtige Wahlsystem soll so in Kenntnis der Fakten und von verschiedenen Möglichkeiten und ihren jeweiligen Auswirkungen geführt werden können. Dies bietet nach Ansicht der Regierung besser Gewähr, dass das für Graubünden rechtlich und politisch passende Wahlsystem gefunden werden kann. Diese Chance würde verpasst, wenn man sich bereits jetzt, wie im Auftrag gefordert, auf ganz bestimmte Modelle festlegen würde.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern:

Die Regierung wird beauftragt, dem Grossen Rat eine Botschaft zur Anpassung des Wahlsystems des Grossen Rats zu unterbreiten. Das künftige Wahlsystem muss stabil, transparent/nachvollziehbar, gerecht und rechtskonform sein. Es muss insbesondere die geografische (Talschaften), kulturelle, wirtschaftliche, sprachliche, gesellschaftliche und konfessionelle Vielfältigkeit unseres Kantons berücksichtigen und garantieren, dass diese Vielfalt durch eine entsprechende Vertretung im Grossen Rat abgebildet wird.

29. Oktober 2019