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Session: 29.08.2019

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass in der Sprachregion Deutschbünden die Abwahl der ersten Fremdsprache Italienisch und in Italienischbünden die Abwahl der zweiten Fremdsprache Englisch eine gängige und pädagogisch sinnvolle Praxis war, zugunsten der Stärkung der Hauptfächer Mathematik und Erstsprache.

Dennoch soll diese neu nur noch mit einer Bewilligung des Amtes möglich sein, obwohl niemand näher bei den Schülerinnen und Schülern ist, als die Schulleitung und die Lehrpersonen, was die SVP als unnötige Verbürokratisierung eines Prozesses erachtet ohne Mehrwert für Schülerinnen und Schüler und Schule.

Aktuell liegt eine Ungleichbehandlung vor von fremdsprachigen Schülerinnen und Schülern und jenen, welche als Muttersprache eine Kantonssprache haben, wie auch ein Widerspruch: einerseits beharrt die Regierung auf dem Prinzip der gleichwertigen Behandlung aller Pflichtfächer und hat die Abwahlmöglichkeit für die Pflichtfremdsprache aufgehoben. Andererseits fallen im Rahmen der Individualisierung auf der dritten Oberstufe gar 3 Lektionen von den so wichtigen Grundfächern aus dem Pflichtlektionenbereich weg. Ein zentraler Punkt des Lehrplans 21 ist, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die verstärkte Individualisierung, insbesondere am Schluss der obligatorischen Schulzeit. So sollen die Schülerinnen und Schüler besser auf weiterführende Schulen und insbesondere auf die Berufsbildung vorbereitet werden. Diese Absicht steht im Widerspruch zur neuen und wesentlich erschwerten Praxis für die Abwahl einer Fremdsprache resp. zur „Befreiung von einzelnen Fächern“.

Da bleibt auch noch die Frage offen, was passiert mit Schülerinnen und Schülern, welche aus anderen Schweizer Kantone nach Graubünden zügeln? Müssten diese im Falle eines Zuzuges im 3. Oberstufenalter noch von z.B. Französisch auf Italienisch wechseln? Oder sind hier pragmatische Lösungen auf der Schulebene möglich?

Und natürlich, welche zusätzlichen Ressourcen werden vom Kanton zur Verfügung gestellt, so dass die Schule als Institution und die Lehrpersonen die Erreichung der Grundansprüche in den vier Fachbereichen Mathematik, Schulsprache, 1. Fremdsprache und «Natur, Mensch, Gesellschaft» erreichen kann?

Wir stellen fest, dass in anderen Kantonen wie zum Beispiel im Kanton Luzern auch nach Einführung des Lehrplans 21 eine Abwahl von Fremdsprachen auf der Oberstufe möglich ist.

Daher reicht die SVP Graubünden folgenden Auftrag ein:

Die Regierung legt

·       vor Ablauf der Übergangsfrist Umsetzung Lehrplan 21 einen Bericht über die gemachten Erfahrungen hinsichtlich der abgeschafften Abwahlmöglichkeit von Pflichtfremdsprachen vor.

·       einen Vergleich mit den Kantonen Luzern und Aargau, welche beide auch nach Einführung des Lehrplans 21 Abwahlmöglichkeiten auf der Oberstufe anbieten, vor.

·       alternative Lösungsvorschläge für eine niederschwellige „Befreiung von einzelnen Fächern“ vor.

Chur, 29. August 2019

Favre Accola, Brandenburger, Della Cà, Dürler, Gort, Hug, Koch, Salis

Antwort der Regierung

Der Lehrplan 21 Graubünden (LP21 GR) definiert Grundansprüche für die vier Fachbereiche "Mathematik", "Schulsprache", "1. Fremdsprache" und "Natur, Mensch, Gesellschaft". Die Schule als Institution und die Lehrpersonen haben den Auftrag, die Erreichung dieser Grundansprüche im Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler (SuS) zu ermöglichen.

Mit der Einführung des LP21 GR auf Beginn des Schuljahres 2018/19 wurden deshalb das Prinzip der gleichwertigen Behandlung aller Pflichtfächer eingeführt und die Abwahlmöglichkeiten für die Pflichtfremdsprachen aufgehoben.

Die Befreiung von einzelnen Fächern ist jedoch seit dem Inkrafttreten des totalrevidierten Gesetzes für die Volksschulen des Kantons Graubünden (Schulgesetz; BR 421.000) am 1. August 2013 sowohl auf der Primarstufe als auch auf der Sekundarstufe I für SuS im Rahmen der Integrativen Förderung mit Lernzielanpassung möglich. Laut Art. 48 Abs. 2 der Verordnung zum Schulgesetz (Schulverordnung; BR 421.010) ist dafür eine Bewilligung des Amtes notwendig. Das Amt für Volksschule und Sport hat diese Aufgabe an die schulnahen sprachregionalen Bezirksinspektorate delegiert. Das kantonal standardisierte und niederschwellige Bewilligungsverfahren hat sich bewährt.

Vor Einführung des aktuellen LP21 GR wurde die Abwahl der Pflichtfremdsprachen nicht mit dem Besuch der Pflichtfächer Schulsprache oder Mathematik kompensiert. Der Schulrat konnte die Abwahl auf Antrag der Erziehungsberechtigten bewilligen. Dabei sollte sich die Abwahl von Fremdsprachen im Pflichtfachbereich gemäss den damals geltenden kantonalen Vorgaben als Ausnahme auf SuS mit Lernzielanpassung beschränken. Zwischen den Schulträgerschaften und Sprachregionen bestand eine sehr unterschiedliche Praxis in Bezug auf die Abwahl von Pflichtfremdsprachen. Dies hatte für die betroffenen SuS der Sekundarstufe I Unterrichtsausfälle von bis zu sechs Wochenlektionen zur Folge. Zudem verfügten die SuS an der Schnittstelle zur Sekundarstufe II über keine oder sehr unterschiedliche Fremdsprachenvorkenntnisse. Die Kompensation von abgewählten Lektionen im Bereich der Pflichtfremdsprachen durch Mathematik und Schulsprache würde basierend auf diesen Erfahrungen sowie aus stundenplantechnischen Gründen Zusatzkosten für die Schulträgerschaften verursachen.

Das neue Fach Individualisierung stärkt die Grundlagenfächer Mathematik und Schulsprache. Den SuS wird nämlich neu die Möglichkeit geboten, im Hinblick auf eine Berufslehre oder eine weiterführende Schule einen individuellen Schwerpunkt aus den Pflichtsprachen und/oder Mathematik zu setzen. Von dieser Regelung profitieren alle SuS unabhängig von ihrer Herkunft respektive ihrem sprachlichen Hintergrund.

Bei Zuzug von SuS aus anderen Schweizer Kantonen in die 3. Klasse der Sekundarstufe I wurde bereits bisher ein pragmatisches Vorgehen in enger Zusammenarbeit zwischen den Schulträgerschaften und den Bezirksinspektoraten praktiziert.

Wie bereits ausgeführt, bestand nie eine Regelung bezüglich Abwahl von Pflichtfremdsprachen und gleichzeitiger Kompensation mit Mathematik sowie Schulsprache. Deshalb fehlt die Grundlage zur Erstellung eines Berichts, welcher entsprechende Erfahrungen darlegen könnte. Ebenso ist ein Vergleich zwischen den einsprachigen Kantonen Aargau oder Luzern und dem Kanton Graubünden mit seinen insgesamt sieben Schulsprachen nicht zielführend.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag betreffend die Punkte 1 und 2 abzulehnen und betreffend den Punkt 3 wie folgt abzuändern:

Im Rahmen der nächsten Teilrevision des Schulgesetzes prüft die Regierung, ob die Regelung der Zuständigkeiten bei der Befreiung von Pflichtfremdsprachen mit entsprechenden Kompensationsauflagen an die Schulträgerschaften delegiert werden soll.

18. Oktober 2019