Für geflüchtete Kinder und Jugendliche ist Bildung das zentrale Fundament für ihre Lebenslaufbahn. Der freie Zugang zu Bildung, das Recht auf Gleichbehandlung sowie kulturelle und soziale Teilhabe sind grundlegende UNO-Kinderrechte.
Laut Konzept zum Betrieb von Schulen in Kollektivunterkünften verfolgen diese Schulen u.a. das Ziel, die Schülerinnen und Schüler gezielt auf einen Übertritt in die Regelstrukturen vorzubereiten. Ziffer 19 regelt den Aufenthalt in den Schulen in Kollektivunterkünften und unterscheidet zwischen Kindern und Jugendlichen mit hängigen Verfahren und mit vorläufiger Aufnahme. Für Kinder und Jugendliche mit hängigen Verfahren gilt: "Sind die entsprechenden schulischen Voraussetzungen gegeben und die nötigen sprachlichen Kompetenzen (…) gegeben, wird die Schul- und Ressortleitung Unterbringung und Betreuung beauftragt, zusammen mit den Betroffenen (…) die notwendigen Schritte für den Eintritt in die Regelschule einzuleiten." (S. 12).
Alle Beteiligten leisten enorme Arbeit, um das geltende Konzept bestmöglich umzusetzen. Für das sorgfältige Ankommen und den Spracherwerb ist der Start in der Schule einer Kollektivunterkunft sinnvoll. In Bezug auf einen raschen Übertritt in die Regelschule zeigen sich in der Praxis jedoch strukturelle Mängel.
Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, welche derzeit die Schule in einer Kollektivunterkunft besuchen, tun dies bereits seit mehr als zwei Jahren. Expertisen und wissenschaftliche Erkenntnisse sehen den Aufenthalt in segregativen Heimklassen nur als befristete Übergangslösung als sinnvoll. Langzeitiger Unterricht in separierten Schulen schränkt die Lernmöglichkeiten und die soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ein. Laut Studien ist Integration für den Spracherwerb zentral, da Kinder von ihrem Umfeld lernen. Je früher die Sozialisierung geschieht, desto lernförderlicher ist es für Betroffene. Je jünger Kinder sind, desto wirkungsvoller ist frühe Eingliederung. Zu lange Separation steht also im Widerspruch zur bestmöglichen Bildungsförderung und zu kinderrechtlichen Vorgaben. Integration oder Teilintegration in die Regelschule sollten daher nach dem Erlangen der Grundvoraussetzungen so rasch als möglich geschehen.
Gemäss Bundesverfassung und Kinderrechtskonvention haben alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in der Schweiz das Recht und die Pflicht, die obligatorische Schule (inkl. Kindergarten) zu besuchen. Abweichende Regelungen für Kinder von Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen sind beim Grundrecht auf Bildung nicht zulässig.
Aus diesen Gründen fordern die Unterzeichnenden die Regierung auf, das Konzept zum Betrieb von Schulen in Kollektivunterkünften zu überprüfen und mit folgenden Punkten anzupassen:
a) Der Übertritt in die Regelschule soll für alle Kinder spätestens auf den Beginn des dritten Semesters nach Eintritt in die entsprechende Heimschule erfolgen. Wobei ein früherer Übertritt im Sinne der bestmöglichen Förderung der Schülerin oder des Schülers laufend geprüft und gefördert wird. Ein späterer Übertritt in die Regelschule ist individuell zu begründen.
b) Kinder im Kindergartenalter sollen direkt den öffentlichen Kindergarten besuchen.
c) Das Grundrecht auf Bildung ist in jedem Fall höher zu gewichten als asylrechtliche Sachverhalte. Das Konzept ist dahingehend anzupassen, dass für alle Kinder in Heimschulen in Bildungsbelangen keine Unterschiede nach Aufenthaltsstatus gemacht werden.
d) Die Integration in die Regelschule bedeutet für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung, gerade für Lehrpersonen, Familien und Schulgemeinden. Deshalb muss die Integration von Flüchtlingskindern in die Regelschule professionell und mit entsprechenden finanziellen Mitteln des Kantons begleitet und unterstützt werden.
e) Die Anstellungsbedingungen von Lehrpersonen an Schulen in Kollektivunterkünften entsprechen denjenigen der Lehrpersonen an Volksschulen.
f) Das Konzept soll betreffend die niederschwelligen sonderpädagogischen Massnahmen (Ziffer 15) dahingehend angepasst werden, dass mindestens die Hälfte des Unterrichts im Teamteaching von der Klassenlehrperson und einer heilpädagogisch oder psychologisch ausgebildeten Fachperson durchgeführt wird.
Chur, 30. August 2019
Locher Benguerel, Niggli-Mathis (Grüsch), Märchy-Caduff, Atanes, Baselgia-Brunner, Bettinaglio, Bigliel, Cahenzli-Philipp, Caluori, Casutt-Derungs, Cavegn, Caviezel (Chur), Censi, Clalüna, Degiacomi, Deplazes (Chur), Deplazes (Rabius), Derungs, Fasani, Florin-Caluori, Föhn, Gartmann-Albin, Gasser, Geisseler, Hitz-Rusch, Hofmann, Holzinger-Loretz, Horrer, Kasper, Kunfermann, Loi, Maissen, Müller (Felsberg), Noi-Togni, Papa, Perl, Pfäffli, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Rüegg, Rutishauser, Schneider, Schwärzel, Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Waidacher, Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Zanetti (Sent), Niederreiter