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Session: 04.12.2019

Die Sozialhilfe umfasst gemäss kantonalem Sozialhilfegesetz die persönliche und die materielle Hilfe. Unter persönlicher Sozialhilfe wird gemeinhin die Sozialberatung und unter materieller Sozialhilfe die klassische Fürsorge verstanden.

Das Sozialhilfegesetz sieht vor, dass die persönliche Sozialhilfe durch private, gemeindeeigene oder kantonale Sozialdienste erbracht wird. In der Praxis sind fast alle Bündner Gemeinden zu klein, um dies professionell sicherstellen zu können. Deshalb stellen dies seit dem kantonalen Fürsorgegesetz von 1920 kantonale Stellen sicher, seit 1943 regional im gesamten Kanton organisiert (mit Ausnahme der Landschaft Davos). Jedoch werden die Kosten der Regionalen Sozialdienste seit Inkrafttreten der FA–Reform am 1. Januar 2016 nach Art. 7 des Sozialhilfegesetzes auf die Gemeinden im jeweiligen Einzugsgebiet verteilt. Sie können weder auf die Kostenentwicklung noch auf die Leistungserbringung der Sozialberatung massgeblich Einfluss nehmen. Dies widerspricht dem Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz. Gemäss dieser soll nämlich diejenige staatliche Ebene eine Aufgabe erbringen, welche sie auch bezahlt und einen Nutzen aus ihr zieht.

Die materielle Sozialhilfe ist gemäss Art. 4 Abs. 2 Sache der Gemeinden. Der Kanton beteiligt sich daran gemäss Unterstützungsgesetz. Darüber hinaus entlastet er nach Massgabe des Finanzausgleichsgesetzes Gemeinden, welche übermässige finanzielle Soziallasten zu tragen haben. Weil die materielle Sozialhilfe ein zunehmend komplexeres Rechtsgeschäft ist, können viele Gemeinden ihre Aufgaben der Prüfung der Gesuche und der aktiven professionellen Bewirtschaftung nur sehr beschränkt wahrnehmen. Die kommunale Zuständigkeit in der materiellen Sozialhilfe führt zudem dazu, dass bei Umzügen formalrechtliche Abläufe wiederholt werden müssen, weil Verfügungen nicht auf die neue Wohngemeinde übertragen werden.

Die Sozialhilfe ist zentral für das gute Zusammenleben und den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft. Umso mehr, weil fast jede dritte Person, die Sozialhilfe bezieht, ein Kind oder eine jugendliche Person ist. Ihre Unterstützung bedeutet eine Investition in die Zukunft. Rund 80% aller Fälle können zudem in weniger als 5 Jahren abgeschlossen werden. Die Förderung der beruflichen und sozialen Integration ist deshalb eine wichtige Zielsetzung der Sozialhilfe. Geld kann in der Sozialhilfe vor allem dann eingespart werden, wenn eine rasche und nachhaltige Integration erfolgt. Eine über den Kanton einheitlich hohe Beratungsqualität ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Für eine nachhaltige Ablöse und Integration ist die Koordination von persönlicher und materieller Sozialhilfe von zentraler Bedeutung. Das Sozialhilfesystem funktioniert im Grundsatz gut. In Graubünden ist die Sozialhilfe aber offensichtlich nicht im Sinne der fiskalischen Äquivalenz organisiert und finanziert.

Die Regierung wird daher beauftragt, die Organisation und Finanzierung der Sozialhilfe so zu verbessern, dass eine optimalere Steuerung im Sinne der fiskalischen Äquivalenz möglich wird und dass die Aufgaben jenen staatlichen Ebenen zugewiesen werden, die sie in aller Regel am professionellsten erbringen können. Dadurch soll die Beratungsqualität für hilfesuchende Personen mindestens erhalten, wenn irgendwie möglich jedoch verbessert werden. Die Qualität und Leistung soll dabei nicht davon abhängen, wo jemand im Kanton wohnhaft ist.

Chur, 4. Dezember 2019

Degiacomi, Rüegg, Widmer (Felsberg), Berweger, Bettinaglio, Bigliel, Caluori, Casty, Cavegn, Claus, Deplazes (Chur), Dürler, Flütsch, Hartmann-Conrad, Hitz-Rusch, Hofmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Jenny, Jochum, Kienz, Kunfermann, Marti, Natter, Noi-Togni, Pfäffli, Ruckstuhl, Stiffler, Thomann-Frank, Thür-Suter, Pajic

Antwort der Regierung

Am 28. November 2004 haben Volk und Stände der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA Bund) zugestimmt. Im Rahmen dieser Reform wurden in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101) die Grundsätze der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz verankert. Diese beiden Grundsätze bilden staatstragende Gestaltungsprinzipien für den Schweizerischen Föderalismus. Gemäss Art. 5a BV ist bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Gemäss Art. 43a Abs. 2 und 3 BV trägt das Gemeinwesen, in dem der Nutzen einer staatlichen Leistung anfällt, deren Kosten und dieses Gemeinwesen kann über diese Leistungen bestimmen. Die NFA-Reform wurde 2008 umgesetzt.

Am 28. September 2014 hatte das Bündner Stimmvolk das Gesetz über die Reform des Finanzausgleichs im Kanton Graubünden (FA-Reform) angenommen. Die FA-Reform hatte die Regierung auf den 1. Januar 2016 in Kraft gesetzt. Der Grosse Rat hatte die Vorlage in der Dezembersession 2013 beraten. Ergänzend zur Reform des innerkantonalen Finanzausgleichs im engeren Sinne wurden die Finanzströme zwischen dem Kanton und den Gemeinden neu so geordnet, dass sie mit der gesetzlich festgelegten Aufgabenzuteilung und -verantwortung besser übereinstimmen. Dafür wurden insgesamt 18 Beiträge in Richtung Kanton verschoben und elf Beiträge in Richtung Gemeinden. Eine Verschiebung in Richtung Gemeinden hat dabei auch die Finanzierung der persönlichen Sozialhilfe beziehungsweise der Sozialdienste erfahren. Gemäss dem Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe im Kanton Graubünden (Sozialhilfegesetz; BR 546.100) sind die Gemeinden primär für die materielle und persönliche Sozialhilfe zuständig (siehe Botschaft über die Reform des Finanzausgleichs im Kanton Graubünden, Heft Nr. 7/2013–2014, Seite 281). Der Finanzierungswechsel bei der Sozialberatung trägt den Grundsätzen der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz Rechnung und war im Grossen Rat unbestritten. Der Grosse Rat hat in diesem Zusammenhang Art. 5 mit einem Zusatz ergänzt, wonach die Sozialdienste ihre Aufgaben durch ausgebildetes Fachpersonal erfüllen. Die bestehende Aufgaben- und Kompetenzzuteilung wurde belassen.

Das Sozialhilfegesetz umschreibt den Zweck, den Geltungsbereich und die Art der Sozialhilfe. Es weist in Art. 3 die persönliche und materielle Hilfe als Teilbereiche der Sozialhilfe aus und stellt sicher, dass jede Person Zugang zur Sozialhilfe hat. Gestützt auf Art. 4 ist die materielle Sozialhilfe Sache der Gemeinden. Gemäss Art. 5 erfolgt die Sozialhilfe durch private, gemeindeeigene und, wenn keine gemeindeeigenen Sozialdienste tätig sind, subsidiär durch kantonale Sozialdienste. Diese Kompetenzzuteilung knüpft am Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz an, wonach die Finanzierung und der Nutzen der Sozialdienste grundsätzlich am gleichen Ort anfallen sollen. Die Gemeinden können gestützt auf Art. 6 die Sozialdienste allein wahrnehmen. Sie entscheiden damit, ob sie die persönliche Sozialhilfe selber erbringen, einer Region oder einem Gemeindeverband oder Privaten übertragen oder vom Kanton vollziehen lassen wollen. Für den kantonalen Vollzug stellt das Sozialamt den Gemeinden die Kosten des jeweils betroffenen Dienstes – gestützt auf transparente Grundlagen – im Verhältnis der Bevölkerungszahl in Rechnung. Der Verteilschlüssel beinhaltet eine Solidaritätskomponente unter den jeweiligen Gemeinden.

Die Regierung teilt die Einschätzung des Auftrags, wonach das geltende Sozialhilfesystem im Grundsatz gut funktioniert. Die aktuelle Finanzierungsregelung trägt den Grundsätzen der Subsidiarität – im Sinne des Auftrags Albertin betreffend Stärkung der Gemeinden – und der fiskalischen Äquivalenz – im Rahmen der bestehenden Verbundaufgabe – so gut wie möglich Rechnung. Im Zuge der FA-Reform wurde ausschliesslich die Finanzierung angepasst, ohne die geltenden Kompetenz- und Aufgabenzuständigkeiten zu hinterfragen. Die Regierung ist bereit, die Aufgabenteilung in der Sozialhilfe unter besonderer Beachtung der beiden genannten Grundsätze zu überprüfen. Ihr ist es ein Anliegen, dass die Sozialhilfe auch künftig bürgernah, effizient und in guter Qualität angeboten wird.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag zu überweisen.

6. März 2020