Navigation

Inhaltsbereich

Session: 19.06.2020

Die Wolfspräsenz in Graubünden bewegt die Bevölkerung und schürt Angst und grosse Befürchtungen. Die Wolfspopulation wächst unaufhaltsam an. Dadurch nehmen auch die Übergriffe von Wölfen zu. In der ersten Phase der Wolfsansiedelung waren vor allem Risse von Wildtieren zu vermelden. In der zweiten Phase – und mit steigender Population – haben sich die Wölfe auf das Reissen von Kleinvieh spezialisiert. Es häufen sich die Meldungen von Landwirten, dass Mutterkuhherden durch den Wolf aufgescheucht oder wegen der Präsenz von Wölfen durchgebrannt seien. Neben Wildtieren und Kleinvieh scheint sich der Wolf neu auch auf Angriffe auf Grossvieh zu spezialisieren. Wenn dies eintrifft, dann sind weitreichende Konsequenzen für die Landwirtschaft, Tourismus und die Bevölkerung zu befürchten.

Die Bauern aus der Surselva haben im Februar 2020 in einem offenen Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga das Problem wie folgt beschrieben: «Greift ein Wolfsrudel auf der Alp oder auf dem Heimbetrieb eine Mutterkuhherde an, reagiert diese äusserst aggressiv. Eine eigentlich handzahme Mutterkuhherde gerät dann derart in Rage, dass sie einer Lawine gleich alles niedertrampelt, was sich ihr in den Weg stellt. Nach einem solchen Vorfall könnten wir für die Sicherheit von Wanderern und unserer Alphirten nicht mehr garantieren und müssten jede Haftung für unsere Tiere ablehnen. Auch unsere eigene Sicherheit wäre akut gefährdet, weil sich die Tiere bis in den Winter hinein äusserst sensibel und nervös verhalten. Sie erhöhen dadurch die Unfallgefahr selbst im Stall in einem nicht verantwortbaren Masse.»

Obwohl die Landwirtschaft immer bessere und rigorosere Herdenschutzmassnahmen umsetzt, steigt die Anzahl Wolfsübergriffe zusammen mit dem Wachstum der Wolfspopulation unaufhaltsam an. Der Wolf entwickelt sich auch weiter und überlistet immer wieder die Schutzmassnahmen. In den stark betroffenen Regionen stellt sich immer mehr ein Ohnmachtsgefühl ein, dass die Ängste der Bevölkerung nicht ernst genommen werden. Es entsteht der Eindruck, dass in der politischen Güterabwägung der Naturschutz über die Interessen der Landwirtschaft, des Tourismus sowie die Sicherheit der Bevölkerung gestellt wird. Das Hauptproblem dieser unausgeglichenen Güterabwägung scheint nicht beim Kanton Graubünden zu liegen, sondern auf Bundesebene. Es scheint so, als seien die Interessen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) wichtiger als die Anliegen und Ängste aus Landwirtschaft, Tourismus und Bevölkerung.

Die Unterzeichnenden sind der Meinung, dass der Kanton Graubünden Gegensteuer geben muss. Deshalb beauftragen die Unterzeichnenden die Regierung, bei der Bundesverwaltung darauf hinzuwirken, dass die Interessen von Landwirtschaft, Tourismus und Schutz der Bevölkerung bei der Wolfsthematik genügend berücksichtigt werden.

Chur, 19. Juni 2020

Brunold, Michael (Donat), Hug, Alig, Berther, Brandenburger, Buchli-Mannhart, Caluori, Cantieni, Casutt-Derungs, Cavegn, Deplazes (Rabius), Derungs, Ellemunter, Epp, Fasani, Geisseler, Grass, Hardegger, Hohl, Jochum, Kasper, Kohler, Kunfermann, Lamprecht, Maissen, Mittner, Müller (Susch), Niggli (Samedan), Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Ruckstuhl, Sax, Schmid, Schneider, Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart), Giudicetti

Antwort der Regierung

Angesichts der Zunahme des Wolfsdrucks haben sich in diesem Jahr Vertreter der Regierung bereits mit betroffenen Landwirten und Landwirtinnen sowie mit Vertretern verschiedener Verbände zum Austausch getroffen. Thema bilden das räumlich konzentrierte, häufige Vorkommen von Rissen an Schafen und Ziegen vor allem in der Region Surselva sowie die Sorge um die Sicherheit für die Menschen wegen Verhaltensänderungen bei Rindviehherden in Gebieten mit Wolfspräsenz. Von den Herausforderungen im Umgang mit den Grossraubtieren ist die Landwirtschaft in besonderem Mass betroffen. Eine konfliktbringende Entwicklung des Verhaltens einzelner Wölfe und einzelner Rudel ist aufgrund der Vorkommnisse in diesem Jahr augenscheinlich. Auch mit dem Übergriff auf Tiere der Rindergattung ist eine neue Dimension in der Wolfsproblematik erreicht worden. Nicht zuletzt hat das auch für den Tourismus in unserem Kanton Konsequenzen.

Die Vertreter der verschiedenen Ämter, insbesondere des Amts für Jagd und Fischerei, des Amts für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit sowie des Plantahofs, sind ständig mit den Bundesbehörden in Kontakt, sei es bezüglich des Herdenschutzes, bezüglich der Wolfsregulierung, bezüglich der Sicherheit des Alppersonals und Passanten oder auch bezüglich des Vorantreibens der Revision des Jagdgesetzes (und dessen Umsetzung), über welches nun im September 2020 abgestimmt wird. Im 2020 hat der Kanton den Bund aufgefordert, das Potenzial zur Gefährdung von Menschen wegen des Abwehrverhaltens beim Rindvieh in Gebieten mit Wolfspräsenz zu analysieren und Massnahmen zu erarbeiten. Entsprechend wurde ein Projekt "Mutterkuh und Grossraubtiere" aufgegleist, dem grosse Bedeutung zukommt.

Auch die Regierung hat sich bereits mehrmals beim Bund dafür eingesetzt, die verschiedenen Problematiken betreffend Wolf ernst zu nehmen und für Lösungswege einzustehen. Letztmals wurde die Bundespräsidentin bzw. der Bund im Juni 2020 seitens Regierung darum ersucht, die Kommunikation in Sachen Wolf als sehr wichtiges Mittel zur Bewältigung des Themas zu überarbeiten und weiterzuentwickeln sowie auf die derzeitigen Verhältnisse und Bedürfnisse von Bevölkerung und wirtschaftlich betroffenen Akteuren in der Landwirtschaft, im Tourismus und in weiteren Branchen zu fokussieren. Weiter wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es griffiger Instrumente bedarf, um die Herausforderungen und die Problematik im Umgang mit der Wolfspräsenz und der Nutztierhaltung zu bewältigen; entsprechend wurde verlangt, dass der Bund sich der Bereitstellung von Instrumenten im umschriebenen Spannungsfeld und Sinn annimmt. Die heutige Situation mit dieser enormen Rudeldichte in unserem Kanton bzw. in der Surselva kann kein hinzunehmender Zustand sein, auch vor dem Hintergrund, dass dieser Situation mit denselben rechtlichen Grundlagen und Massnahmen zu begegnen ist wie in der übrigen Schweiz. Insofern wäre auch der Gedanke verfolgenswert, dass die Wolfspopulation für die Schweiz umfangmässig festgelegt und anteilsmässig auf die Kantone verteilt würde. Weil die Möglichkeiten des Kantons in der Wolfsthematik begrenzt sind, sei es bei der Regulierung, sei es beim Herdenschutz, aber auch in Fragen der Haftung oder touristischer Natur (Wandernde/Bikende, Wanderwege etc.), ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Bund die Lage und die Sorgen der Betroffenen erkennt und im Rahmen seiner Möglichkeiten Lösungen erarbeitet oder mindestens unterstützt.

Entsprechend betrachtet die Regierung und die zuständigen kantonalen Stellen das im Auftrag Verlangte als Daueraufgabe. Sie werden sich weiterhin auf allen Ebenen beim Bund dafür einsetzen, dass den gewichtigen Interessen der Landwirtschaft und des Tourismus sowie der Sicherheit von Menschen gebührend Rechnung getragen wird, insbesondere auch in Abwägung mit dem Interesse am Schutz von Grossraubtieren.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag zu überweisen.

3. September 2020