Alters- und Pflegeheime sind für viele Betagte für die letzten Lebensjahre Wohnsitz, aber auch trautes Heim und Zuhause. Viele Menschen machen sich Gedanken, ob sie ihrem Leben mehr Jahre oder aber ihren Jahren mehr Leben geben wollen. Dabei spielen Gedanken bezüglich «letzter Dinge» und vor allem das Bedürfnis, darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, eine zunehmend grösser werdende Rolle. In der Schweiz wächst die Zahl der Menschen, welche die Möglichkeit eines freiwilligen Lebensendes in Betracht ziehen für den Fall, dass ihre Lebensqualität nicht mehr ihren persönlichen Wertmassstäben entspricht. Dementsprechend ist die Zahl der Vereinsmitglieder der grössten Schweizer Selbstbestimmungsorganisation «Exit» mittlerweile auf über 130 000 Mitglieder angestiegen. Dennoch ist die Zahl der ärztlich assistierten Suizide in der Schweiz sehr gering – sowohl in absoluten Zahlen als auch in Relation zur Gesamtzahl der Todesfälle.
Bewohner*innen eines Alters- oder Pflegeheims in Graubünden ist heute nicht garantiert, dass sie diese – vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, aber auch vom Schweizer Bundesgericht anerkannte – Freiheit in Anspruch nehmen können. Heute liegt es in der Kompetenz der individuellen Heimleitungen, assistierte Suizide zu dulden oder nicht. Deshalb müssen Bewohner*innen unter Umständen ihr letztes Wohnumfeld und ihre vertraute Umgebung verlassen, weil sie von Heimleitungen daran gehindert werden, ihr Menschenrecht auf Selbstbestimmung am Lebensende im eigenen Bett auszuüben.
Menschen an der Ausübung dieser Freiheit zu hindern, darf nicht legal möglich sein – sofern die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden. Im Gegenteil, diese Freiheit muss gesetzlich garantiert werden, weil sonst eine Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Pflegebetrieben möglich wäre, was grundsätzlich inakzeptabel ist. Vorgeschlagen wird deshalb eine Ergänzung des bestehenden Gesundheitsgesetzes, mit welcher Alters- und Pflegeheime, die (teilweise oder vollständig) von der öffentlichen Hand unterstützt werden, verpflichtet werden, die Freiheit der in ihrer Obhut lebenden Menschen nicht zu behindern. Diese Bestimmungen werden vom Bundesgericht (BGE 142 I 195) gestützt. Die persönliche Freiheit von Bewohner*innen einer solchen Einrichtung steht über der Gewissens- oder Religionsfreiheit des Trägers einer solchen Einrichtung. Es ist inakzeptabel, dass Bewohner*innen von den willkürlichen ethischen Ansichten einzelner Heimleiter*innen abhängig sind. Wenn die gesetzlichen Kriterien für eine Sterbebegleitung erfüllt sind, muss es grundsätzlich möglich sein, diese auch in einem Alters- oder Pflegeheim in Anspruch zu nehmen. Sinnvoll ist dabei auch eine entsprechende Begleitung der Mitarbeitenden und anderen Bewohner*innen.
Zudem hat das Bundesgericht bereits 2006 in einem Urteil (BGE 133 I 58) bestätigt, dass das Recht eines Menschen, der in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln, auch die Entscheidungsfreiheit über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes umfasst. Das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende ist somit ein anerkanntes Grund- und Menschenrecht, das es zu achten gilt.
In diesem Sinne beauftragen die Unterzeichnenden die Regierung, die entsprechenden Wege einzuleiten, damit Personen, welche in Alters-/Pflegeheimen wohnen, die mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden, das Recht haben, in dieser Einrichtung die Hilfe von externen Organisationen für einen begleiteten Suizid nach den in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch zu nehmen. Als unverbindlicher Vorschlag folgt untenstehende Gesetzesänderung.
Konkrete Gesetzesänderung:
Das Gesundheitsgesetz wird wie folgt ergänzt:
Art. 41 Aufnahme- und Behandlungspflicht (neuer Absatz 4)
4 Personen, welche in Einrichtungen gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c dieses Gesetzes wohnen, haben, insoweit der Betrieb dieser Einrichtungen mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird, das Recht, in dieser Einrichtung die Hilfe Beauftragter externer Organisationen für einen begleiteten Suizid nach den in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch zu nehmen.
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Davos, 18. Februar 2021
Pajic, Hardegger, Holzinger-Loretz, Atanes, Baselgia-Brunner, Cantieni, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Clalüna, Degiacomi, Della Cà, Deplazes (Rabius), Föhn, Gartmann-Albin, Gugelmann, Hartmann-Conrad, Hofmann, Hohl, Horrer, Jochum, Kasper, Kuoni, Loepfe, Müller (Felsberg), Paterlini, Perl, Rettich, Ruckstuhl, Rutishauser, Schmid, Schwärzel, Tanner, von Ballmoos, Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Altmann, Bürgi-Büchel, Spadarotto, Tomaschett (Chur)